Reinhard Loske:"Wir dürfen nicht in die Links-Falle tappen"

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Zu wenig Mut, zu viele Farbenspiele, zu wenig Ökologie. Der grüne Bremer Umweltsenator Loske hält sich mit Kritik an seiner Partei nicht zurück.

Thorsten Denkler

Der Grünen-Politiker Reinhard Loske ist seit 2007 in Bremen Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa.

Der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske will ein Ende der Koalitionsdebatte bei den Grünen. (Foto: Foto: Andreas Goral)

sueddeutsche.de: Herr Loske, die Grünen wollen immer Partei der Inhalte seien. Stattdessen streiten sie um Koalitionsoptionen und zanken sich über Spitzenteambesetzungen. Ist das die neue Wahloffensive der Grünen?

Loske: Die Ampel-Debatte hat uns geschadet. Wenn man sagt, wir sind die Partei der Inhalte, sich aber vorwiegend über Farbkonstellationen und Posten auslässt, dann bekommt das schnell den Ruch, man sei auf dem Wege zu einer Funktionspartei. Das wollen unsere Wähler nicht. Es kann für uns Grüne nicht um Farbenspiele sondern immer nur um Inhalte gehen. Die Grünen müssen dafür stehen, dass wir die Wirtschafts- und die Klimakrise gleichzeitig angehen.

sueddeutsche.de: Die Debatte hört nicht auf. Einige wollen sich explizit eine rot-rot-grüne Option offenhalten.

Loske: Das führt uns nicht weiter. Ich hoffe, dass diese Auseinandersetzung mit dem Wahlaufruf, den der Bundesvorstand beschlossen hat, beendet ist. Darin schließen wir eine Jamaika-Koalition faktisch aus. Wir stehen nicht als Mehrheitsbeschaffer für CDU plus FDP zur Verfügung.

sueddeutsche.de: Was dann?

Loske: Wir wollen, dass Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot nicht die beiden einzigen Alternativen sind. Wir wollen mit unseren Inhalten eine grüne Regierungsbeteiligung aktiv anstreben und das ist auch richtig. Da bleiben dann eben nach Lage der Dinge zwei Optionen übrig: Rot-Rot-Grün ...

sueddeutsche.de: ... was die SPD nicht will ...

Loske:... und eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP.

sueddeutsche.de: Was die FDP nicht will.

Loske: Darum kann es jetzt doch auch gar nicht gehen. Wir werden sehen, wie die Wähler den nächsten Bundestag zusammenwürfeln. Dann wird sich entscheiden, wer wem welche Angebote machen kann. Wir sind dann am stärksten, wenn wir die größte der drei "kleinen" Parteien werden.

sueddeutsche.de: Dennoch: Wenn Sie die FDP im Boot haben wollen, müssen sie Westerwelle doch irgendetwas bieten, damit er ins linke Lager wechselt.

Loske: Im Gegensatz zu uns ist die FDP vor allem eine Funktionspartei: Sie muss regieren. Es würde trotzdem nicht einfach werden, keine Frage. Übrigens auch nicht für uns. Wir reden ja hier nicht über die FDP von Karl-Hermann Flach oder Gerhart Baum. Die FDP ist eine Partei, die heute schamlosen Neoliberalismus predigt.

sueddeutsche.de: Und das durchaus mit Erfolg.

Loske: In den Umfragen, ja. Was der Wähler am Ende dazu sagt, wird sich zeigen. Aber klar ist, der kulturelle Unterschied zwischen Grünen und FDP ist mit Ausnahme der Bürgerrechte gewaltig, vielleicht noch größer als der zwischen Grünen und CDU.

sueddeutsche.de: Dann wäre doch auch Schwarz-Grün eine Option.

Loske: Ein Zweierbündnis ist immer einfacher als ein Dreierbündnis. Aber wie gesagt: Da ist im Moment nebensächlich. Wir müssen jetzt ins Zentrum stellen, was wir mit grünem New Deal umschrieben haben.

sueddeutsche.de: Das meint?

Loske: Dass wir die Klima- und die Wirtschaftskrise als Problem mit gleichen Wurzeln begreifen und zusammen bekämpfen müssen.

sueddeutsche.de: Das wollen die anderen auch.

Loske: Mag sein. In der Realpolitik sieht das aber ganz anders aus. Schauen Sie sich allein die Kohle- oder die Automobilpolitik der anderen Parteien an.

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Von Oliver Das Gupta

sueddeutsche.de: In den Vordergrund stellen die Grünen gerade lieber ihre vermeintlichen Wahlgeschenke. Eine Millionen neue Jobs werden im Wahlprogramm versprochen. Grünen-Chef Cem Özdemir verspricht 5000 Euro Bonus bei Anschaffung eines Elektroautos ab 2010. Fahren Grünen-Wähler neuerdings auf billige Wahlkampftricks ab?

Die Grünen dürfen keine dritte Linkspartei werden, sagt Reinhard Loske. (Foto: Foto: dpa)

Loske: Die eine Millionen Jobs sind ja kein Geschenk. Dahinter steckt eine Strategie, nämlich die des ökologischen Umbaus der Wirtschaft. Mehr erneuerbare Energien, mehr Ressourceneffizienz, mehr Kreislaufwirtschaft. Das ist realistisch und grundiert. Aber wir müssen natürlich aufpassen, dass wir nicht in den allgemeinen Chor einfallen, möglichst allen was zu versprechen. Die Abwrackprämie ist schon Blödsinn genug. In dem Zusammenhang sehe ich den Vorschlag, 5000 Euro für neue Elektroautos zu geben, auch nicht nur mit Wohlwollen, um es mal vorsichtig auszudrücken.

sueddeutsche.de: Was haben Sie gegen eine grüne Variante der Abwrackprämie?

Loske: Das entspricht einer Staatsfixierung, die den Grünen nie Eigen war. Das Geld wäre anderswo wesentlich besser angelegt.

sueddeutsche.de: Die eine Million Jobs können auch nur über hohe staatliche Investitionen realisiert werden.

Loske: Nachhaltige Zukunftsinvestitionen in eine "grüne Infrastruktur" und Bildung sind notwendig. Aber wir sollten es mit der Staatsgläubigkeit nicht übertreiben. Die öffentliche Verschuldung müssen wir als Partei der Generationengerechtigkeit in Grenzen halten. Der Staat soll einen sozial-ökologischen Ordnungsrahmen setzen, er muss nicht alles selber machen.

sueddeutsche.de: Sollen die Grünen eine Art nette Ausgabe der FDP werden?

Loske: Nein, aber wir sollten auch nicht in die Links-Falle tappen und versuchen, neben SPD und Linken eine dritte linke Partei zu werden. Das wäre ein ebenso schwerer Fehler. Drei linke Parteien braucht Deutschland nicht.

sueddeutsche.de: Sind die Grünen nicht links?

Loske: Sie sind auch links. Früher haben wir gesagt, die Grünen sind nicht rechts, nicht links, sondern vorn. Es gibt unter den Grünen-Wählern eben auch Liberale, Wertkonservative und Staatsferne. In Bremen hat jeder fünfte Unternehmer bei der letzten Landtagswahl grün gewählt. Die würden Rot-Rot-Grün vielleicht noch mitmachen, wenn es nicht anders geht. Mit einer grundsätzlichen Orientierung auf Rot-Rot-Grün aber würde man ihr Lebensgefühl sicher nicht treffen.

sueddeutsche.de: Sie haben vor einigen Jahren gefordert, die Grünen müssten mit neuer Radikalität für ökologische Themen eintreten. Ist Ihnen das aktuelle Wahlprogramm der Grünen radikal genug?

Loske: Ökologie ist mehr als Umweltpolitik. Wenn Sie sich die gewaltigen globalen Herausforderungen allein in der Bekämpfung des Klimawandels anschauen, dann sehen Sie, dass wir mit kleineren Reparaturen hier und da nicht mehr weiterkommen. Ob das Programm diesem Ansatz in vollem Umfang genügt, darüber kann man sicher streiten. Aber es ist ja auch Programm für die nächsten vier Jahre. Dafür ist es ein gutes Programm.

sueddeutsche.de: Das klingt jetzt doch etwas verhalten.

Loske: Die Idee von einem "grünen New Deal" führen mittlerweile alle im Munde. Umweltminister Sigmar Gabriel nennt es ökologische Industriepolitik, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon New Green Deal. Selbst EU-Kommissionspräsident Barroso spricht vom grünen Riesen Europa, obwohl man davon in seinen Vorschlägen nichts merkt.

sueddeutsche.de: Was fehlt Ihnen am grünen Konzept?

Loske: Wir müssen wieder mehr gesellschaftliche Experimente fördern, die eng mit der ökologischen Frage gekoppelt sind, die aber nicht unbedingt den klassischen Gesetzen der Ökonomie folgen.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie?

Loske: Wenn die Grünen wieder Avantgarde sein wollen, reicht es nicht aus, das Hohelied der ökologischen Ressourceneffizienz zu singen. Das machen heute alle. Wir müssen uns mehr Gedanken über neue Formen einer ökologisch ausgerichteten Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft machen. Da gibt es viele gute Beispiele. Nehmen Sie genossenschaftliche Ansätze, Stiftungsunternehmen, Arbeiten ohne klassisches Erwerbseinkommen.

sueddeutsche.de: Sie meinen das Grundeinkommensmodell.

Loske: Ja, auch. Ich bedauere, dass das noch nicht mehrheitsfähig ist bei den Grünen. Es gibt zunehmend Menschen, die nicht länger bereit sind, ihr Leben lang dem Geld hinterherzurennen. Und dennoch wollen sie ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten. Das sind Fragen, die die Grünen bisher ein bisschen unterbelichtet haben. Hier würde ich mir mehr Mut wünschen. Die Grünen müssen wieder der Ort sein, wo neue Räume erschlossen werden.

sueddeutsche.de: Was läuft schief bei den Grünen?

Loske: Die Grünen sind vielleicht zu stark eine Partei geworden, die Ökologie nur noch begreift als Mittel, um auf neue Weise wirtschaftliches Wachstum zu generieren. Ökologie aber ist ein Thema aus eigenem Recht. Davon hängen existentielle, elementare Fragen ab. Nach dem Klima, nach der Artenvielfalt, nach unseren Meeren. Letztlich nach der Überlebensfähigkeit des Menschen auf diesem Planeten.

sueddeutsche.de: So grundsätzlich laufen die Diskussionen bei den Grünen offenbar nur noch selten.

Loske: Darum ärgert es mich, wenn manche in meiner Partei glauben, Ökologie könne auf die Rolle eines Wachstumsmotors zur Überwindung der Wirtschaftskrise reduziert werden.

sueddeutsche.de: Sie sprechen auf das Papier von Gerhard Schick an, dem finanzpolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, der darin auch für Rot-Rot-Grün plädiert.

Loske: Sein Ansatz ist zu kurz gegriffen. Mit der Ökologie ist die historische Existenzberechtigung der Grünen verbunden. Sie ist der Grund, weshalb es die Grünen überhaupt gibt. Das scheinen einige vergessen zu haben.

sueddeutsche.de: Wenn die Grünen im Wahlprogramm eine Million Jobs versprechen, dann machen sie doch genau das: Ökologie ist nur noch Mittel für den Zweck, Arbeitsplätze zu sichern.

Loske: Solange die Jobs als Hilfsargument dienen, um den Menschen ökologische Politik näher zu bringen, ist das in Ordnung. Schwierig wird es, wenn das Hilfsargument zum zentralen Argument wird. Dann wird nämlich nur noch der Teil der Ökologie als wichtig erachtet, mit dem Arbeitsplätze geschaffen und Exportchancen erhöht werden können. Mir ist das entschieden zu wenig.

sueddeutsche.de: Das klingt, als wären die Grünen in Gefahr.

Loske: Wenn die Grünen anfangen, Ökologie nur noch unter Wachstumsgesichtspunkten zu begreifen, werden sie eine Partei wie jede andere.

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