Regierungserklärung zu Afghanistan:Merkels Krieg

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Angela Merkel hat den Krieg in Afghanistan nicht begonnen. Aber spätestens seit den drei Toten vom Karfreitag ist es ihr Krieg geworden. Sie hat das verstanden.

Stefan Braun

Die Bundesrepublik Deutschland ist das Sterben und Töten nicht gewohnt. Das ist kein Makel, es ist eine Errungenschaft. Vielleicht ist es sogar das bedeutendste Ergebnis einer Politik, die Lehren gezogen hat aus den von Deutschen verursachten Verheerungen in der Geschichte. Die Bundeswehr ist seit bald zwanzig Jahren an vielen Orten im Auslandseinsatz. Aber die Bundesrepublik hat keine Form und erst recht keine Routine im Umgang damit, dass ihre Soldaten inzwischen töten und getötet werden.

Zum ersten Mal muss Merkel erläutern, was es bedeutet, dass die Bundeswehr de facto im Krieg steht. (Foto: Foto: AP)

Die Bundeswehr wurde 1955 als Abschreckungsarmee gegründet: Sie sollte kämpfen können, um niemals kämpfen zu müssen. Als sie nach dem Fall der Mauer in ihre ersten, von den Vereinten Nationen erbetenen Auslandseinsätze geschickt wurde, sollte sie Frieden sichern und im Idealfall auch Häuser errichten und Brunnen bohren.

Das war kein Krieg. Es war ein beschützter Wiederaufbau. Als Verteidigungsminister Volker Rühe 1993 im Staub von Somalia stolperte, spöttelte mancher, der Minister sei gefallen. Das war schwarzer Humor, der damals noch möglich war. Wie dramatisch hat sich seitdem die Welt der Bundeswehr verändert.

Am Donnerstag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Regierungserklärung zu Afghanistan abgegeben. Es war nicht die erste zu diesem seit acht Jahren währenden Einsatz.

Aber Merkels Auftritt hat in einer neuen Zeit stattgefunden. Die Bilder der letzten Wochen haben offengelegt, wie weit man sich von den Anfängen entfernt hat. Jeden Tag muss man mit getöteten Soldaten rechnen, jeden Tag sind sie in lebensgefährliche Gefechte verwickelt. Als das Abenteuer Afghanistan unter einer rot-grünen Regierung begann, war die Zustimmung groß und die Gefahren waren eher gering. Heute ist es genau umgekehrt.

Das hat auch für die Bundesregierung und das Parlament viel verändert. Zum ersten Mal muss Merkel erläutern, was es bedeutet, dass die Bundeswehr de facto im Krieg steht. Sie hat diesen Krieg nicht begonnen. Aber spätestens seit den drei Toten vom Karfreitag ist es ihr Krieg geworden. Am Donnerstag konnte man sehen: Sie hat das verstanden.

Die Kanzlerin hat insbesondere über die Folgen nicht mehr geschwiegen. Sie hat den Krieg zwar nicht offiziell Krieg genannt, aber sie hat die Konsequenzen des Krieges nicht ausgespart, vor allem mit Blick auf die deutschen Soldaten. Sie hat dabei den Ton getroffen und glaubhaft den Eindruck vermittelt, dass sie auch fühlt, was sie sagt.

Das ist nicht immer so, oft genug führt Merkels nüchterne Herangehensweise an Themen dazu, dass Gefühle kaum spürbar werden. Diesmal war das anders. Die Kanzlerin zitierte die Namen der zuletzt gefallenen Soldaten. Und sie betonte, dass die Opfer, die von Soldaten und ihren Familien erbracht werden müssen, nicht länger als Kollateralschaden behandelt werden würden.

Die Geschichte Afghanistans
:Im 30-jährigen Krieg

Fast zehn Jahre nach den Terroranschlägen in New York und dem Einmarsch der USA in Afghanistan fragt sich die internationale Gemeinschaft noch immer, wie es am Hindukusch weiter gehen soll. Seit Jahrzehnten muss das Land mit Krieg und Armut leben. Die Geschichte in Bildern.

Schäden also, um die man zwar weiß, aber die man nicht hervorhebt, weil man fürchtet, das könnte die Ablehnung des Einsatzes in der Bevölkerung weiter fördern. Viel zu lange haben viel zu viele Politiker lieber geschwiegen als offen darüber zu reden. Das ist, so darf man hoffen, endlich vorbei.

So emphatisch die Kanzlerin auf die Soldaten einging, so sehr stützte sie sich auf andere, um den Einsatz selbst zu begründen. Sie zitierte Altkanzler Helmut Schmidt, US-Präsident Barack Obama und den ehemaligen SPD-Fraktionschef Peter Struck, um sich in ihrer Nähe weniger angreifbar zu machen.

Afghanistan wird viel verlangen von der Kanzlerin

Das war auch Taktik, um die SPD weiter einzubinden. Vor allem aber zeigt es, dass Merkel diesen Teil ihrer Aufgabe nicht allein bestreiten möchte. Sie ahnt, dass Afghanistan von ihr mehr verlangen wird als die allermeisten ihrer Aufgaben. Gefragt sind Einfühlungsvermögen, Führung und sehr gute Argumente.

Dabei hat Merkel zum ersten Mal von Rückschritten und unerreichbaren, zum Teil gar falschen Zielen gesprochen. Sie räumt ein, dass mehr Freiheiten für die Frauen, die Schaffung von Mädchenschulen und der Bau von Straßen zwar aller Ehren wert seien, aber als Rechtfertigung dieses gefährlichen Einsatzes nicht ausreichen. Sie will weg von den Illusionen der ersten Jahre und scheut sich nicht vor großen Worten.

Um mehr gehe es: Um den hochgefährlichen, weltweiten Terrorismus, der von Afghanistan aus seinen Anfang nahm - und wieder nehmen könnte. Um die Gefahr, dass Terroristen auch in Atomstaaten wie Pakistan mächtig werden. Das wäre eine Bedrohung, die noch weit schlimmere Folgen haben könnte als die Anschläge vom 11. September 2001.

Drei Versprechen

Diese Gründe, allesamt nicht neu, werden die Ablehnung in der Bevölkerung kaum ändern. Neu war die Ernsthaftigkeit, mit der Merkel sie vortrug. Die aber wirkt erst, wenn Merkel sie glaubhaft fortsetzt.

Immerhin hat die Kanzlerin drei Versprechen abgegeben: Die Regierung werde nichts mehr verharmlosen. Sie werde die Soldaten nie missbrauchen. Und man werde Afghanistan nicht verlassen, bevor eine verantwortbare Übergabe gewährleistet ist. Solche Aussagen sind bei Merkel nicht üblich. Sie bindet sich, obwohl sie nicht weiß, wie es ausgeht. Afghanistan hat sie verändert. Sie wollte das nicht, aber der Krieg und ihre politische Zukunft sind nicht mehr zu trennen.

© SZ vom 23.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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