Landtag:Aufarbeitung: Behördenleiter erneut in U-Ausschuss Ahrtal

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Thomas Linnertz, Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion ADD. (Foto: Sascha Ditscher/dpa)

Die 41. Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Ahrflut schien die letzte zu werden. Doch nun geht es in die Verlängerung, Behördenchef Linnertz soll nochmals kommen. Vor der Vernehmung von Staatssekretär Manz bewertet ein Experte Pegelstände.

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Mainz (dpa/lrs) - Mit einer erneuten Vernehmung des Präsidenten der für Katastrophenschutz zuständigen Behörde ADD geht die Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuss zur Ahrflut in die Verlängerung. Während der Marathonsitzung am Freitag kündigte AfD-Obmann Michel Frisch einen Antrag auf eine weitere Vernehmung von Behördenchef Thomas Linnertz an. Dabei dürfte es vor allem um die Frage gehen, wie in der ADD nach der Katastrophe mit zuvor genehmigten Urlauben umgegangen wurde. Hintergrund ist, dass die ehemalige ADD-Vizepräsidentin wegen einer Reise kurz nach der Flutkatastrophe mit mindestens 134 Toten in der Kritik steht.

Hauptthema im Ausschuss war am Freitag ansonsten der Zusammenhang von Hochwassergefahrenkarten und Pegelprognosen. Christoph Mudersbach von der Hochschule Bochum sagte, das Bemühen um die Evakuierung der Menschen an der Ahr hätte schon am Nachmittag der sich anbahnenden Katastrophe in den Vordergrund gestellt werden müssen. „Am 14.7. war am Pegel Müsch zwischen 15 und 17 Uhr die Katastrophe im Fluss schon da“, sagte er. Es sei klar gewesen, dass höchstwahrscheinlich ein schlimmeres Hochwasser erreicht würde als im Durchschnitt alle 100 Jahre - und dies wahrscheinlich bis zur Mündung der Ahr bei Sinzig.

„Man musste gegen 15, 16 Uhr davon ausgehen, dass entlang der Ahr mindestens die Flächen“ überflutet würden, die auf den gesetzlich vorgeschriebenen Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten für ein hundertjähriges oder noch selteneres Ereignis eingezeichnet seien, sagte der Professor vom Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwesen. Ein Landrat oder Feuerwehrmann könne diese Karten allerdings nicht nutzen. Dazu seien zusätzlich wasserwirtschaftliche Fachinformationen notwendig, etwa über den Ablauf des Wassers.

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 waren im Ahrtal mindestens 134 Menschen ums Leben gekommen. Hunderte Menschen wurden verletzt, Tausende Häuser zerstört.

Als zweiter Sachverständiger sagte der selbstständige Fachmann für Risk-Management und ehemalige Feuerwehrmann, Christian Brauner: „Selbst der Laie kann mit einem Blick auf die Karte erkennen, ob ein Gebäude im Wasser steht oder ganze Flächen.“ Die gedruckten Karten seien aber „nur bedingt tauglich, um Evakuierungen zu planen“.

Aufgrund der Gefahrenkarten für außergewöhnliches Hochwasser, das seltener als alle 100 Jahre vorkommt, sei aber zu erkennen gewesen, dass in einem solchen Fall Hunderte bis Tausende betroffen wären. „Ich hätte mir sehr viele Sorgen um die Camping-Plätze und deren Nutzer gemacht“, sagte der Gutachter.

Nach den Empfehlungen des Landes hätten die Gefahrenkarten mit Informationen von vor Ort ergänzt werden müssen; wie, habe das Land aber nicht festgelegt. „Ich hatte den Eindruck, dass hier und da schon auf die Karten geschaut worden ist. Was die Konsequenz daraus war, wurde aber nicht dokumentiert“, sagte der 65-Jährige über den Umgang der Kommunen damit. Die Alarm- und Einsatzpläne einiger Kommunen und des Kreises weisen nach Einschätzung Brauners Mängel auf.

Für den Freitagabend waren noch Vernehmungen von Vertretern aus dem Landesamt für Umwelt sowie von Umweltstaatssekretär Erwin Manz (Grüne) geplant.

Der Leiter der Abteilung Zentrale Aufgaben bei der ADD, Wolfgang Konder, sagte mit Blick auf die ehemalige Ex-Vizepräsidentin der Behörde, diese sei keine Expertin für Katastrophenschutz gewesen. Während ihrer Abwesenheit seien Vertretungen organisiert gewesen, vor Ort sei gewährleistet gewesen, dass alle Aufgaben wahrgenommen würden. Daher sei ihr genehmigter Urlaub nicht widerrufen worden. Er habe sich auch mit ADD-Präsident Linnertz über den Urlaub der Ex-Vizepräsidentin kurzgeschlossen, sagte Konder.

Nach der Flut sei schnell klar geworden, dass die Lage sich nicht nur mit eigenen Personal stemmen lasse. Bei anderen Behörden sei um Unterstützung gebeten worden. Nachdem es gelungen sei, die Stäbe personell zu besetzen, sei auf eine Urlaubssperre in der ADD verzichtet worden, sagte Konder.

Frisch sagte, die Aussagen Konders hätten mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Es sei unklar geblieben, warum die frühere ADD-Vizepräsidentin in die USA habe reisen dürfen, obwohl es einen dringenden Personalbedarf auch im Verwaltungsstab der ADD gegeben habe.

Gegen die Ex-ADD-Vizepräsidentin läuft ein Disziplinarverfahren. Sie wird verdächtigt, einen dienstlichen Anlass vorgetäuscht zu haben, um damals für die selbst gezahlte Privatreise in die USA gelangen zu können. Reisen dorthin waren damals wegen Corona-Beschränkungen weitgehend untersagt. Die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelt gegen die pensionierte politische Beamtin (SPD) wegen des Anfangsverdachts einer uneidlichen Falschaussage in dem Ausschuss - konkret zu der Frage, wie viele Tage sie in der Einsatzleitung im Ahrtal war.

© dpa-infocom, dpa:230421-99-400472/3

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