Referendum:Rajoy: "Es gab kein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien"

Referendum: Der spanische Staat habe bewiesen, dass er "mit allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln auf jedwede Provokation" reagieren könne, sagte Rajoy auf einer Pressekonferenz am Sonntagabend.

Der spanische Staat habe bewiesen, dass er "mit allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln auf jedwede Provokation" reagieren könne, sagte Rajoy auf einer Pressekonferenz am Sonntagabend.

(Foto: AFP)
  • In Katalonien fand am Sonntag ein umstrittenes Referendum über die Loslösung der Provinz von Spanien statt.
  • Mit einem repräsentativen Ergebnis ist nicht zu rechnen. Die spanische Zentralregierung versuchte mit Kräften, das Referendum zu verhindern.
  • Mancherorts eskalierte die Situation: Polizisten gingen mit Gewalt gegen Menschen vor, die wählen wollen.
  • Ministerpräsident Rajoy steht wegen des Vorgehens der Zentralregierung in der Kritik, wies aber alle Vorwürfe zurück.

Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hat die katalanische Regionalregierung wegen der von ihr veranstalteten Unabhängigkeitsabstimmung scharf kritisiert. Es habe am Sonntag kein solches Referendum gegeben, sagte Rajoy am Abend. Die katalanische Führung habe gewusst, dass das Votum illegal sei und dennoch ihr Vorhaben vorangetrieben. Die Katalanen seien somit getäuscht worden, an einer gesetzeswidrigen Abstimmung teilzunehmen. Allerdings hätten sich die meisten von ihnen ohnehin nicht beteiligen wollen. Gleichzeitig dankte Rajoy der spanischen Polizei für ihren Einsatz bei dem Referendum. Die Beamten hätten ihre Pflicht erfüllt.

Die spanische Polizei hat am Sonntag in Katalonien zahlreiche Wahllokale gestürmt und teilweise mit Gewalt versucht, Wähler an der Stimmabgabe beim Unabhängigkeitsreferendum zu hindern. Die Polizei ging mit Gummigeschossen und Schlagstöcken gegen Menschen vor, die abstimmen wollten. Das spanische Verfassungsgericht hatte die Abstimmung bereits im Vorfeld für unzulässig erklärt und angeordnet sie auszusetzen. Tausende Polizisten waren von der Zentralregierung in Madrid nach Katalonien beordert worden, da die katalanische Polizei die Abstimmung nicht verhinderte.

In den sozialen Medien kursieren zahlreiche Bilder und Videos von tretenden und schlagenden Polizisten, mehrfach ist zu sehen, wie sie Menschen gewaltsam an den Haaren ziehen oder über den Boden schleifen. Das katalanische Gesundheitsministerium teilte am Abend mit, die Zahl der Verletzten sei inzwischen auf über 700 gestiegen. Nach Angaben des Innenministeriums in Madrid wurden bei den Auseinandersetzungen auch mindestens elf spanische Polizisten verletzt. Sie wurden von Demonstranten mit Steinen beworfen.

Rajoy rief die katalanische Regierung dazu auf, nicht mehr einen Pfad zu verfolgen, der "ins Nichts" führe. Er selbst werde sich keiner Gelegenheit zum Dialog verschließen, aber man müsse sich im Rahmen des Gesetzes bewegen. Er werde ein Treffen aller politischen Parteien ansetzen, um gemeinsam über die Zukunft nachzudenken. So schnell wie möglich müssten harmonische Verhältnisse wieder hergestellt werden.

Beide Seiten wollen vor Gericht ziehen

Bei mehreren katalanischen Gerichten sind nach Angaben des Obersten Gerichtshofs der Region Beschwerden gegen die katalanische Polizei eingegangen. Ihr werde vorgeworfen, das gerichtlich verhängte Verbot des Referendums nicht durchgesetzt und - anders als die spanische Bundespolizei - die Öffnung von Wahllokalen nicht verhindert zu haben.

Ein Sprecher der katalanischen Regionalregierung kündigt seinerseits juristische Schritte gegen die Zentralregierung in Madrid an. Diese werde sich vor internationalen Gerichten wegen der Gewalt während des Referendums verantworten müssen. Zugleich teilt er mit, dass der Zeitraum zur Stimmabgabe zwar nicht verlängert werde. Alle, die derzeit vor den Wahllokalen anstünden, könnten aber ihre Stimme noch abgeben. Er rechne damit, dass in der Nacht Millionen Stimmzettel ausgezählt würden. Wann die Auszählung abgeschlossen sei, wisse er nicht.

Bereits am frühen Morgen waren spanische Sicherheitskräfte teils sehr energisch gegen Wähler vorgegangen, nachdem katalanische Sicherheitskräfte die Anweisungen aus Madrid ignoriert hatten, die Wahllokale zu räumen. In dem Ort Sant Julià de Ramis drangen sie gewaltsam in ein Wahllokal ein und konfiszierten Urnen und Stimmzettel.

Die katalanische Regierung hatte daraufhin kurzerhand die Regeln für das Unabhängigkeitsreferendum geändert und Wählern die Stimmabgabe in jedem beliebigen Lokal gestattet. 73 Prozent der Wahllokale seien weiterhin geöffnet, teilte die Regionalregierung gegen Mittag mit. Wenn nötig, können die Katalanen sogar mit selbstgedruckten Stimmzetteln abstimmen. Zudem seien neue Stimmzettel gedruckt worden, nachdem die Polizei fünf Millionen Exemplare konfisziert hatte.

Rücktrittsforderungen an Rajoy werden laut

Die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, forderte Rajoy wegen des Polizeieinsatzes zum Rücktritt auf. "Wenn das hier eine Demokratie ist, muss der Polizeieinsatz sofort gestoppt werden, damit wir später den notwendigen Dialog aufnehmen können", sagte sie.

Der Sprecher der Regionalregierung, Jordi Turull, sagte, die Auszählung werde einige Zeit in Anspruch nehmen. Je höher die Beteiligung, desto mehr Gewicht dürfte das Referendum haben. Bei einem Sieg des "Ja"-Lagers wollte Barcelona schon in den Tagen nach der Abstimmung die Unabhängigkeit von Spanien ausrufen.

Allerdings ist wegen des harten Eingreifend der spanischen Regierung davon auszugehen, dass das Ergebnis der Wahlen wenig repräsentativ sein wird. Viele Menschen konnten nicht abstimmen, außerdem wurden zwhalreiche Urnen und Stimmzettel beschlagnahmt. Der harte Kurs aus Madrid heizt den Separatismus weiter an. Viele Katalanen interpretieren Rajoys Einflussnahme als Angriff auf die Meinungsfreiheit: Wollten sich noch 2004 nur ein Viertel der Katalanen von Spanien abspalten, sind es Umfragen zufolge jetzt fast doppelt so viele.

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