Katalonien:Tarragona, Stadt des Ausgleichs

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"Nein" steht auf der katalanischen Flagge an einem Balkon in Tarragona geschrieben - die Aufforderung, beim Referendum gegen die Abspaltung von Madrid zu stimmen. (Foto: AFP)
  • 5,3 Millionen Katalanen sind am Sonntag aufgerufen, über die Unabhängigkeit ihrer Region von der Zentralregierung in Madrid abzustimmen.
  • Während Madrid den Druck erhöht, hat sich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mit der Unabhängigkeitsbewegung solidarisiert.
  • In der Stadt Tarragona setzt man hingegen traditionell auf Kooperation statt Angriff. Hier ist die Begeisterung über das Referendum verhalten.

Von Thomas Urban, Tarragona

Über dem Rathaus von Tarragona mit seiner klassizistischen Fassade weht nur die Stadtfahne. Es sind die katalanischen Farben, allerdings in einer lokalen Variante, die vier roten Streifen auf gelbem Grund sind gewellt. Die einsame Fahne symbolisiert die Haltung der Stadtspitze, die der Sozialistischen Partei angehört: Sie will sich aus dem großen Streit zwischen den Regierungen in Madrid und Barcelona heraushalten, der die Region in der Nordostecke der Iberischen Halbinsel seit Wochen unter höchste Spannung setzt.

Am Sonntag sollen die Einwohner der 7,5 Millionen Einwohner zählenden wirtschaftsstarken Region in einem Referendum darüber befinden, ob Katalonien sich vom Königreich Spanien trennen soll. Doch das Verfassungsgericht in Madrid hat nicht nur die Abstimmung, sondern auch alle Vorbereitungen dafür für illegal erklärt. Das spanische Innenministerium hat Tausende Polizisten aus anderen Ecken des Landes in Marsch gesetzt, sie blockieren seit Samstag Wahllokale, beschlagnahmen Stimmzettel und haben das elektronische Auszählungssystem für die Abstimmung außer Betrieb gesetzt.

Die Castells gelingen nur durch Kooperation statt Konfrontation

Im Gegensatz zu den Stadtoberhäuptern von Barcelona und Girona, der Heimatstadt des sich Madrid widersetzenden Regionalpräsidenten Carles Puigdemont, hat der Tarragoneser Oberbürgermeister Josep Fèlix Ballesteros von Anfang an klargestellt, dass die Stadtverwaltung das Referendum nicht unterstützen werde. Ballesteros, seit zehn Jahren an der Spitze der Stadt, hatte zuletzt auch andere Sorgen: Führende Köpfe der lokalen Organisation der Sozialistischen Partei sind in einen Korruptionsskandal verwickelt, darunter einige seiner Berater.

"Wir Tarragoneser neigen nicht zu übereilten Handlungen", erklärt ein Kellner auf dem Brunnenplatz, dessen Nordwestflanke das Rathaus markiert. "Wir schätzen erst die Lage ein und suchen immer nach dem Gleichgewicht in der Gesellschaft." Er verweist auf die große Tradition Tarragonas, die Castells. Die Hafen-, Handels- und Industriestadt gilt als Zentrum der Pflege der Castells, der mehrere Etagen hohen Pyramiden aus Menschen - eine Kunst, die auf Kooperation statt Konfrontation beruht. Auf dem Brunnenplatz Tarragonas messen sich regelmäßig die besten Castells-Gruppen der Region. Tatsächlich sind in der Stadt weitaus weniger Fahnen der Unabhängigkeitsbewegung zu sehen als in Girona oder Barcelona.

Sogar die Dockarbeiter in dem riesigen Hafen haben sich nach anfänglicher Aufregung wieder beruhigt. In der vergangenen Woche sollten sie zwei Schiffe mit mehreren Einheiten der Guardia Civil, der nationalen Polizeitruppe, mitsamt ihren Fahrzeugen abfertigen, die aus Südspanien herangebracht wurden. Zunächst beschloss die Gewerkschaft der Hafenarbeiter, die Schiffe zu blockieren, lenkte dann aber ein. Die regionale Polizeitruppe Mossos, die der Regierung in Barcelona untersteht, hatte nämlich gedroht, dass sie sonst den Weg freiräumen müsse.

(Foto: SZ)

Die Mossos sollen im Fall von Auseinandersetzungen nicht eingreifen

Die Mossos befinden sich in einem extremen Loyalitätskonflikt. Denn sie sind auf die spanische Verfassung vereidigt, unterstehen aber dem Innenminister von Katalonien, der das Referendum unterstützt. Nun aber hat ihre Führung eine Lösung für Sonntag gefunden, die diese als salomonisch bezeichnet, andere aber einen hinterhältigen Trick nennen: Eigentlich sollen sie ebenfalls bei der Blockade der Wahllokale eingesetzt werden. Doch nun sind sie angewiesen, sich zurückzuziehen, falls gewalttätige Auseinandersetzungen drohen sollten.

Die Regionalregierung kündigte an, dass insgesamt 2315 Wahllokale vorgesehen seien, die am Sonntag zwischen neun und 20 Uhr geöffnet sein sollen. Die Guardia Civil hat in den letzten Tagen wiederholt in Druckereien Stimmzettel beschlagnahmt, weit mehr als zwei Millionen. Den Besitzern der Druckereien drohen empfindliche Geldbußen wegen "Unterstützung einer Rebellion", dem Regionalpräsidenten Puigdemont droht aus demselben Grund die Verhaftung. Er erklärte im Fernsehen dazu lächelnd, er habe bereits sein Köfferchen für das Gefängnis gepackt. Der Beauftragte für Auswärtige Beziehungen der Regierung in Barcelona, Raul Romeva, appellierte in Brüssel an die EU, sich mit den Verletzungen von Grundrechten durch Madrid zu befassen.

Zwar hat die spanische Staatsanwaltschaft mehr als zwei Dutzend Internetseiten sperren lassen, die für das Referendum werben. Doch war man in Barcelona darauf vorbereitet, die Seiten sind nun über Server im Ausland erreichbar. Die Wahlberechtigten wurden aufgefordert, sich selbst die Stimmzettel herunterzuladen und auszudrucken.

"Was heißt verboten?" Eine Studentin sieht Parallelen zu Minderheiten

Die Nachricht, dass die Mossos im Zweifelsfalle passiv bleiben, wurde von den Verfechtern der Loslösung von Spanien freudig aufgenommen. Die "Studentengewerkschaft für die Demokratie" von der Rovira i Virgili-Universität von Tarragona organisiert einen Wachdienst für die Wahllokale: Es sollen an jedem Ort genügend Freiwillige auftreten und so die Kulisse einer drohenden Auseinandersetzung aufbauen. Der Name ihrer Universität ist für sie Programm: Der Journalist Antoni Rovira i Virgili war Minister in der Republik Katalonien, die Francos Truppen im Bürgerkrieg zerschlagen haben, und später Präsident des katalanischen Exilparlaments.

In der Universität und auch in mehreren Gymnasien in Tarragona wurden bereits Räume besetzt, die für Wahllokale vorgesehen sind, um zu verhindern, dass sie von der Polizei blockiert werden können. Viele Studenten und auch Oberschüler tragen Hals- oder Schultertücher in den katalanischen Farben. Eine Studentin namens Carme sagt: "Was heißt verboten? Immer mussten für den gesellschaftlichen Fortschritt Verbote missachtet werden. So war es beim Wahlrecht für Frauen, so war es bei homosexuellen Partnerschaften! Jetzt sind wir dran!" Die Umstehenden klatschen Beifall. Ein aus Madrid angereister Fernsehreporter zieht erstaunt eine Zwischenbilanz: "Es sieht so aus, als hätten wir die junge Generation in Katalonien rettungslos verloren."

© SZ vom 30.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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