Referendum in Schottland:Die Kraft des Ja

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Von Mut und einer besseren Zukunft sprechen die Befürworter der Unabhängigkeit. (Foto: dpa)

Kurz vor der Abstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien scheinen die Befürworter vorn zu liegen. Die Gegner sind alarmiert und wollen nachziehen. Es könnte zu spät sein.

Kommentar von Christian Zaschke

Lange haben die meisten Briten das Thema nicht ernst genommen. Zu unwahrscheinlich erschien es, dass Schottland tatsächlich für die Unabhängigkeit stimmen könnte. Schließlich hatten Umfragen seit Jahrzehnten die gleichen Ergebnisse gezeigt: Ungefähr ein Drittel der Schotten sind für die Unabhängigkeit. Je nach Stimmung konnte dieser Wert auf bis zu 40 Prozent steigen, höher jedoch nicht. Die Gegner der Unabhängigkeit glaubten, leichtes Spiel zu haben. Das ist ein Grund dafür, dass ihre Kampagne halbherzig war. Es fehlte ihr an Emotionalität und sie bestand oft schlicht aus Angstmache. Zudem war sie bisweilen herablassend: Nachdem Ökonomen berechnet hatten, wie viel Geld jedem Bürger eines unabhängigen Schottlands im Vergleich zum Status quo fehlen würde, rechnete die Nein-Kampagne das in Fish-and-Chips-Portionen um.

Viele Gegner der Unabhängigkeit hatten überdies keine Lust auf die Debatte. Sie wollten, dass alles bleibt, wie es ist - wozu also großen Aufwand betreiben? Die Debatte war ein störendes Nebengeräusch. Das hat sich nun, eineinhalb Wochen vor der Abstimmung, dramatisch geändert.

Seit am Sonntag erstmals das Ergebnis einer Umfrage veröffentlicht wurde, in der eine Mehrheit der Befragten angab, bei der Volksabstimmung am 18. September für die Abspaltung vom Vereinigten Königreich zu stimmen, herrscht im Lager der Gegner teils Aufregung, teils Panik. Offenbar haben die Parteien in London erst jetzt begriffen, was auf dem Spiel steht.

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Dank einer munteren Kampagne rückt die Unabhängigkeit näher

Wer in den vergangenen Monaten durch Schottland reiste, der bemerkte, wie freundlich, munter und positiv die Ja-Kampagne daherkam, während das Nein-Lager meist nüchtern und warnend auftrat. Die Befürworter hatten eine große politische Erzählung zu bieten, sie sprachen von einem neuen, einem gerechteren Land, das sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt. Es ging in dieser Erzählung um Mut und eine bessere Zukunft. Die Gegner erschienen im Vergleich dazu als Zauderer.

Natürlich ist es immer leichter, für ein Ja zu werben als für ein Nein. Doch die Gegner der Unabhängigkeit haben es versäumt zu betonen, dass sie nicht nur gegen etwas sind, sondern auch für etwas. Statt vor finanziellen Risiken zu warnen und zu drohen, Schottland dürfe das Pfund nicht behalten, hätten sie die Vorzüge der seit mehr als 300 Jahren bestehenden Union hervorheben können. Sie hätten die Debatte als Chance begreifen können, Werbung für einen Verbund zu machen, der sich über die Jahrhunderte als stabil, erfolgreich und produktiv erwiesen hat. Stattdessen wirkte es oft so, als seien sie nicht ganz bei der Sache. In der schottischen Labour-Partei glaubten sie noch vor zwei Wochen, dass die Ja-Kampagne zwar sichtbarer sei, eine große schlummernde Mehrheit aber mit Nein stimmen werde. Sie dachten, sie bräuchten sich keine Sorgen zu machen.

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Die Befürworter haben seit drei Jahren unermüdlich auf den Tag der Abstimmung hingearbeitet, an Hunderttausenden Türen geklopft, in jeder Fußgängerzone Handzettel verteilt und Diskussionen geführt. Darüber hinaus ist es den Befürwortern nicht nur gelungen, ihre Botschaft effektiver zu verbreiten, sondern sie haben es auch geschafft, die Vertreter der anderen Seite als visionslose Angstmacher und Anwälte des Negativen zu porträtieren.

Dass Schottland in der Lage wäre, als unabhängiges Land zu bestehen, steht wohl außer Zweifel. Ob es den Schotten damit wirklich besser ginge, ist ungewiss. Für beide Entscheidungen lassen sich gute Gründe finden. Das politische Establishment in London, das unisono für den Fortbestand der Union eintritt, hat jetzt schockiert erkannt, dass es seine Argumente ganz anders präsentieren muss: positiv, emphatisch, emotional. Gut möglich, dass es dafür bereits zu spät ist.

© SZ vom 09.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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