Für die Lohmeyers war es eine gute Woche in Jamel, ausnahmsweise. Am Sonntag rückte die Polizei mit einem Sondereinsatzkommando an und nahm ihren schlimmsten Nachbarn fest.
Seit Dienstag ist die messingfarbene Plakette am Ortseingang verschwunden. "Dorfgemeinschaft Jamel - frei - sozial - national" stand darauf, damit alle Besucher gleich wussten, wer hier das Sagen hat. Und auch der Wegweiser nach Braunau, der Geburtsstadt Adolf Hitlers, musste auf Geheiß des Ordnungsamtes endlich entfernt werden.
Zumindest nach außen sieht Jamel damit wieder wie ein normales Dorf in Mecklenburg aus - und nicht wie die Nazihochburg, die Jamel noch immer ist.
Im alten Forsthaus der Lohmeyers reichen sich Journalisten die Türklinke in die Hand, sogar aus Israel und Irland waren Korrespondenten da. Vor drei Wochen wurden Horst und Birgit Lohmeyer von Bundespräsident Christian Wulff zum Neujahrsempfang nach Berlin eingeladen; aus Deutschland und der ganzen Welt bekommen sie Zuspruch per Mail.
Der Musiker und die Schriftstellerin stehen mit einem Mal mitten in der Öffentlichkeit. Sie gelten geradezu als Musterbürger, obwohl sie doch nur ihre Ruhe haben wollten, als sie vor sechs Jahren von Hamburg aufs Land gezogen sind. In den Weiler Jamel, der so versteckt zwischen Wismar und Grevesmühlen liegt, am Ende einer schmalen Stichstraße. Und fernab der demokratischen Normen.
"Wir sind die Jungs fürs Grobe"
Jetzt bekommen die Lohmeyers immer wieder dieselben Fragen gestellt: Haben Sie Angst? Wie halten Sie es hier bloß aus? In einem Dorf mit gerade mal zehn Häusern, von denen mittlerweile sieben Neonazis gehören? "Penetrante Nachbarn sind wir gewohnt", sagt Horst Lohmeyer und lacht sarkastisch: "Wir haben fünfzehn Jahre lang in St. Pauli gelebt."
Die Razzia richtete sich wieder einmal gegen Sven Krüger, einen zwölfmal vorbestraften NPD-Kreisrat. Der 36-Jährige hat sich in Jamel und Umgebung sein kleines braunes Reich geschaffen. "Wir sind die Jungs fürs Grobe", lautet der Werbespruch seiner Abrissfirma, die er im benachbarten Grevesmühlen betreibt.
Krüger gilt als besonders gewalttätig, wer kann, der geht ihm aus dem Weg. Er sei ein "gemeingefährlicher Typ", sagen Leute, die ihn kennen. Nun sitzt er in Untersuchungshaft. Gewerbsmäßige Hehlerei und Verstoß gegen das Kriegswaffen-Kontrollgesetz lauten die neuen Vorwürfe gegen ihn: Die Beamten stellten in Jamel gestohlene Baumaschinen sicher - und eine Maschinenpistole samt 200 Schuss Munition.
In welcher Gedankenwelt Krüger zu Hause ist, das verrät ein Blick auf sein "Thing-Haus" in Grevesmühlen, in dem die NPD ihr Bürgerbüro als Schaltzentrale eingerichtet hat. Das Anwesen im Gewerbegebiet ist mit Holzzaun und Stacheldraht gesichert, dahinter ragt ein Wachturm samt Scheinwerfer auf. Hunde schlagen an, wenn sich Passanten nähern. Das NPD-Büro erinnert stark an ein Konzentrationslager - das soll es wohl auch.
Nazi-Lieder am Lagerfeuer
Bei den Lohmeyers mischt sich Schrecken mit Genugtuung darüber, dass Krüger vorerst eingesperrt bleibt. Ja, sie haben Angst vor ihm und seinen Kumpanen. "Sie glauben, dass das Dorf ihnen gehört", sagt Birgit Lohmeyer. Im Briefkasten hat sie mal eine tote Ratte gefunden.
Davon erzählt sie so beiläufig wie von den Schießübungen im Wald. Richtig schlimm aber sind die Sauffeste der Kameraden auf dem Dorfplatz. Abends grölen die Männer dann Nazi-Lieder am Lagerfeuer. Als Krüger im Sommer heiratete, kamen Hunderte Rechtsextreme zum Feiern ins "national-befreite" Jamel.
Nicht nur hier haben sich Neonazis und die NPD mit großer Selbstverständlichkeit breitgemacht. Das Kokettieren mit der Gewalt ist bei Männern zwischen zwanzig und vierzig in Mode: Sie rasieren sich die Köpfe und tragen Hooligan-Klamotten. Die Opfer ihrer Schikanen schweigen meist aus Angst.
Angst, sich zu solidarisieren
In zwei Nachbardörfern von Jamel sollen Rechtsextreme ebenfalls die Bevölkerung terrorisieren. Nur offen darüber reden wollen hier nicht einmal die Gemeindevertreter: So werde alles bloß noch schlimmer, sagt einer von ihnen. Gut, räumt ein anderer ein, da gebe es die Hakenkreuz-Schmierereien. Aber mehr sei ihm nicht bekannt.
"Hier sind viele der Meinung: Wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er runterfällt", umschreibt Horst Lohmeyer das Klima in der Gegend. Er und seine Frau wagten 2007 den Schritt in die Öffentlichkeit, als ein Zeitungsbericht über das braune Jamel die Menschen aufschreckte: Nicht alle im Dorf seien Neonazis, erklärten die Lohmeyers. Die wenigen Nachbarn, die nicht zu Krügers Gefolgsleuten zählen, brachen danach den Kontakt zu ihnen ab. Birgit Lohmeyer hat sogar gewisses Verständnis dafür: "Die Leute haben Angst, sich mit uns zu solidarisieren."
Auch Dieter Maßmann kennt dieses Gefühl nur zu gut, wenn man alleine dasteht. Er ist Bürgermeister von Hoppenrade, einem Dorf hundert Kilometer weiter östlich in der Mecklenburgischen Schweiz, einem einsamen Landstrich mit Weilern wie Jamel - und ähnlichen Problemen. Er sei ja kein ängstlicher Mensch, sagt Maßmann, "aber die Ereignisse der letzten beiden Jahre sind schon furchterregend. Wenn sie hier Position beziehen, müssen sie damit rechnen, dass ihnen jemand den roten Hahn aufs Dach setzt."
Erst im Dezember bedrohte der braune Mob Maßmanns Amtskollegen Reinhard Knaack in der Nachbargemeinde Lalendorf. Knaack hatte sich geweigert, einer rechtsextremen Mutter - Mitbegründerin des Rings Nationaler Frauen - zur Geburt ihres siebten Kindes eine Patenschaftsurkunde des Bundespräsidenten und 500 Euro auszuhändigen. Der Bürgermeister steht seitdem unter Polizeischutz. "Die Rechten sind hier nur so selbstbewusst, weil die Politik gegen sie nicht richtig vorgeht", sagt Maßmann, "aber von uns hier in der Gemeinde verlangt man Zivilcourage."
Es klingt bizarr, was er erzählt: Die rechtsextreme Familie aus Lalendorf gehört zum Dunstkreis der Artamanen. So nennen sich Blut-und-Boden-Bauern, die sich hier seit der Wende angesiedelt haben. Sie sehen sich als Nachfahren der völkischen Artamanen-Bewegung aus den zwanziger Jahren. SS-Reichsführer Heinrich Himmler zählte ebenso zu den Artamanen wie der spätere Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß.
Die Neo-Artamanen, von denen etwa 35 namentlich bekannt sind, geben sich nach außen hin friedlich. Sie leben in Großfamilien, betreiben Bio-Landbau, engagieren sich gegen Gentechnik - und unterstützen die NPD, die in Mecklenburg-Vorpommern mit sechs Abgeordneten im Landtag sitzt.
2009 kam es in einem Kindergarten unweit von Hoppenrade zum Eklat: Die Kinder der Artamanen sangen Nazi-Lieder, die sie offenbar zuvor im Ferienlager gelernt hatten. Die Erzieherin will heute darüber nicht mehr reden. Sie legt sofort den Hörer auf, wenn man nach dem Vorfall fragt.
Expansionskurs der Rechten
Herumlungernde Skinheads hat Bürgermeister Maßmann schon vor Jahren aus dem Dorf verscheucht oder bei Vereinen untergebracht. Die Artamanen aber sind gebildet und taktieren geschickt: "Sie haben versucht, öffentlich in Erscheinung zu treten über Vereine und die Feuerwehr", sagt Maßmann. Einer von ihnen wurde mit Stimmen aus dem Dorf in den Vorstand des Bodenordnungsverfahrens gewählt - er kann nun ganz offiziell mit Behörden sprechen.
Mit Sorge beobachtet Maßmann, wie die Siedler ihre Position in der Region weiter ausbauen wollen und auch im Internet um Mitstreiter werben. Erst kürzlich soll sich wieder ein Aktivist aus der rechten Szene als Kaufinteressent für ein leerstehendes Gutshaus gemeldet haben. "Sie versuchen Gleichgesinnte im Ort unterzubringen", sagt Maßmann.
Zweimal im Jahr unterrichtet der Verfassungsschutz die Gemeindevertreter, aber sonst kommt von außen wenig Unterstützung. Politiker und die wenigen Bürgerrechtsaktivisten stehen der Expansion der Rechtsextremen hilflos gegenüber - in Hoppenrade ebenso wie in Jamel. Die Lohmeyers veranstalten jedes Jahr im Sommer ein Musikfestival, um zu demonstrieren, dass das Dorf doch nicht ganz den Nazis gehört. Die Schirmherrschaft hat Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) übernommen. Im vergangenen Jahr wurden Besucher des Festivals angegriffen - trotz Zaun und Polizeischutz.
Beim Neujahrsempfang hat Bundespräsident Wulff die Lohmeyers für ihr Engagement gelobt. Sie gaben ihm zu verstehen, dass sie mit seiner Entscheidung, die Patenschaft in Lalendorf zu übernehmen, nicht einverstanden sind. Trotzdem, sagt Horst Lohmeyer, habe er in Berlin ein "erhabenes Gefühl" verspürt.
Ihr Wunsch? Ein NPD-Verbot
Ausgerechnet er und seine Frau sind jetzt in staatspolitischer Mission unterwegs - früher unterstützten sie die Hausbesetzer im Hamburger Schanzenviertel. Aber für linksalternative Träume sei in Mecklenburg kein Platz, sagt Birgit Lohmeyer. Hier gehe es um demokratische Basisarbeit.
Was sie und ihr Mann sich wünschen? Ein Verbot der NPD. Nur so könne den Neonazis die organisatorische Basis entzogen werden. Das sagt auch Dieter Maßmann aus Hoppenrade, und das fordert Norbert Nieszery, der Chef der SPD-Fraktion im Schweriner Landtag.
Nieszery kennt die rechte Szene im Land so gut wie kaum ein anderer. Auch er wurde schon bedroht. Doch große Hoffnungen auf ein neues NPD-Verbotsverfahren macht er sich nicht: Solange die Politik in Berlin den Rechtsextremismus für ein rein ostdeutsches Problem halte, stünden die Chancen schlecht.
Im August werden die Lohmeyers in Jamel wieder ihr Konzert veranstalten. "Wir werden hier gebraucht", sagt Birgit Lohmeyer. Sie und ihr Mann wollen bleiben, jetzt erst recht.