Rechtsextreme Gewalt:Deutschlands traurige Wahrheit

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Es ist erschreckend, wie starr die Behörden an fragwürdigen Methoden festhalten - beispielsweise bei der Statistik rechtsextremer Gewalt.

Kommentar von Tanjev Schultz

Noch ein NSU-Untersuchungsausschuss? In den Sicherheitsbehörden stöhnen viele und verdrehen die Augen. Der Bundestag hatte ja schon einen solchen Ausschuss, und darüber hinaus gab und gibt es diese Gremien in gleich sechs Bundesländern. Viele Beamte sind es leid, denn die Ausschüsse bereiten ihnen jede Menge Arbeit und Ärger.

Aber auf ein exzessives Versagen wie im NSU-Fall folgt jetzt eben eine exzessive Aufklärung. Prinzipiell ist es gut und richtig, wenn jeder Stein umgedreht wird - und gerne auch ein zweites Mal. Das ist der Staat nicht nur den Opfern und ihren Angehörigen schuldig. Er muss selbst so genau wie möglich erfahren, was geschehen ist und wer welche Fehler gemacht hat.

Manchmal hat man den Eindruck, bei der Polizei und beim Verfassungsschutz haben viele immer noch nicht begriffen, worum es geht. Es ist ernüchternd, wie widerwillig und selbstgefällig einige Beamte als Zeugen im NSU-Verfahren und in den Ausschüssen auftreten. Und es ist erschreckend, wie starr die Behörden an fragwürdigen Methoden festhalten, beispielsweise bei der Statistik rechtsextremer Gewalt.

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Erschreckend, wie starr Behörden fragwürdige Methoden fortführen

Seit Jahren deuten Recherchen des Tagesspiegels und zivilgesellschaftlicher Organisationen darauf hin, dass die Zahl der Todesopfer höher ist als offiziell angegeben. Nun wurden zahlreiche Fälle überprüft, aber die Beamten haben die Kriterien so eng definiert, dass die Statistik die traurige Wahrheit vermutlich immer noch nicht korrekt abbildet. Kein Wunder, dass manche Politiker allmählich die Geduld mit den Sicherheitsbehörden verlieren.

In dieser Ungeduld steckt allerdings auch eine Gefahr. Sollten sich die Fraktionen im Bundestag tatsächlich darauf verständigen, einen weiteren Untersuchungsausschuss einzusetzen, müssen sie die Möglichkeit einrechnen, dass sie trotz aller Bemühungen nicht auf jede Frage eine Antwort finden werden. Das muss man aushalten. Die Abgeordneten sollten sich davor hüten, über jedes Stöckchen zu springen, das Spinner und Verschwörungstheoretiker ihnen hinhalten. Der Ausschuss darf auch nicht politisch instrumentalisiert werden, sonst würde man die gute Arbeit des Vorgängergremiums beschädigen, in dem die Mitglieder über Parteigrenzen hinweg vorbildlich kooperiert haben.

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Von Josef Kelnberger

Mittlerweile steht über den NSU viel Halbseidenes und Falsches im Internet, bisweilen auch in der Presse. Das Bemühen um Aufklärung kann schnell in Gegenaufklärung umschlagen. Es gibt genügend Leute, die ihre Wissenslücken mit Ideologie und Fantasie auffüllen. Die Geschichten, die dabei herauskommen, stellen die Behörden noch fieser dar, als es die Fakten hergeben. Man kann dann verstehen, wenn es einsichtigen und integren Beamten, die es nun mal auch gibt, ebenfalls zu viel wird. Sie wollen nicht mehr hören, was ihnen da alles unterstellt wird.

Ein neuer NSU-Ausschuss wird zwar energisch nachbohren müssen, beispielsweise im dubiosen V-Mann-Wesen. Aber er darf nicht dazu beitragen, Mythen und Legenden zu befeuern.

Tatort in der NSU-Mordserie: Hier wurde die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter getötet. (Foto: dpa)
© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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