In Deutschland sind Hunderte Rechtsextremisten auf freiem Fuß, obwohl Haftbefehle gegen sie vorliegen. 467 Personen sind nicht aufzufinden, weshalb die Haftbefehle nicht vollstreckt werden können. Mehr als jeder vierte Gesuchte gilt als gewalttätig. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, über die die Neue Osnabrücker Zeitung berichtet.
Nach 108 Verdächtigen werde demnach wegen eines politischen Delikts gefahndet, 99 würden wegen eines oder mehrerer Gewaltdelikte gesucht. Die Behörden gingen davon aus, dass die Verdächtigen künftig ähnliche Straftaten begehen, etwa bei rechten Aufmärschen und Konzerten.
Die Zahl sei im halben Jahr bis Ende September wieder leicht gestiegen. Stand Ende März hätten sich noch 457 gesuchte Rechtsextremisten dem Zugriff der Behörden entzogen. Vor gut einem Jahr, Ende September 2017, waren aber noch 501 per Haftbefehl gesuchte Rechtsextremisten auf freiem Fuß, wie aus einer früheren Antwort der Bundesregierung hervorgeht.
Insgesamt dürfte die Zahl der nicht vollstreckten Haftbefehle in Deutschland bei mehreren Zehntausend liegen. Vor einigen Wochen räumte das Innenministerium von Baden-Württemberg ein, dass allein in Deutschlands drittgrößtem Bundesland aktuell rund 20 000 Haftbefehle nicht vollstreckt seien. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier sagte daraufhin in einem Interview mit der Bild: "Der Staat setzt Recht nicht durch". Eine Sichtweise, der Rechtsexperten wie etwa der Kölner Amtsrichter Wolfgang Schorn widersprechen. Manchmal sei es aufgrund der Ermittlungen nicht sinnvoll, Haftbefehle sofort zu vollstrecken, argumentiert er. Auch müsse in jedem Einzelfall bewertet werden, ob Fluchtgefahr bestehe und der Fall deshalb vorrangig behandelt werden müsse.
Über einen längeren Zeitraum von vier Jahren betrachtet ist die Zahl der gesuchten Neonazis dem Zeitungsbericht zufolge deutlich gestiegen: von 253 auf jetzt 467. Als ein Grund dafür gelte die Flüchtlingskrise, in deren Folge die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Taten wie etwa Anschlägen auf Asylbewerberheime nach oben geschnellt sei.
Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke, die die Anfrage gestellt hatte, sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung: "Die Sicherheitsbehörden müssen sich endlich einmal etwas einfallen lassen, um der flüchtigen Nazis schneller habhaft zu werden." Die Statistik sei ein "alarmierendes Zeichen dafür, dass die Naziszene gewalttätig und kriminell ist und bleibt". Die Tatsache, dass es einer dreistelligen Zahl von Neonazis gelinge, sich seit 2017 und teilweise sogar noch länger der Festnahme zu entziehen, sei bedenklich.