Rechter Terror gegen Kommunalpolitiker:"Nicht der Angst erliegen"

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Burkhard Jung (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, nach seiner Wahl zum neuen Präsidenten des Städtetages. (Foto: dpa)

Walter Lübcke ermordet, Henriette Reker und Andreas Hollstein schwer verletzt - Kommunalpolitiker müssen heute offenbar um ihr Leben fürchten. Wie gehen sie damit um? Fragen an Burkhard Jung, Leipziger Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Städtetages.

Interview von Thomas Jordan

Walter Lübcke ermordet, Henriette Reker und Andreas Hollstein schwer verletzt - Kommunalpolitiker müssen heute offenbar um ihr Leben fürchten. Wie gehen sie damit um? Fragen an Burkhard Jung (SPD), Leipziger Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Städtetages.

SZ.de: Wie beurteilen Sie die Entwicklung bei den Bedrohungen und Angriffen gegen Kommunalpolitiker in den vergangenen Jahren?

Burkhard Jung: Es ist deutlich schlimmer geworden in den letzten fünf Jahren, insbesondere nach der Flüchtlingsdebatte 2015. Es ist besorgniserregend, wie politisch Verantwortliche angegangen werden, die ehrenamtlich oder hauptamtlich für das Gemeinwohl tätig sind. 2016 war der Höhepunkt.

Haben Sie dazu Zahlen?

Man kann sagen, an jedem Tag werden in diesem Land etwa 100 politisch motivierte Straftaten verübt, davon etwa täglich drei gegen politisch Verantwortliche, insbesondere auf kommunaler Ebene. Ich will mich nicht daran gewöhnen, dass wir in der Sprache hemmungslos beleidigen. Denn erst kommt das Wort und dann die Tat.

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Sie werden auch selbst bedroht.

Ich hatte in neun Jahren als Oberbürgermeister nie Drohungen bekommen. Seit 2015 werde ich beleidigt, bis hin zu Morddrohungen. Ich zeige das konsequent an. Der Ton ist ein völlig anderer geworden seit der Flüchtlingsdebatte - da kommt etwas zum Ausdruck, was zum Teil wirklich erschreckend ist.

Wer sind die Täter, konnten Sie das herausfinden?

Teils, teils, manchmal kommen die Bedrohungen über mehrere IP-Adressen verteilt und sind nicht mehr nachzuvollziehen. Manchmal erfolgen die Bedrohungen auch mit Klarnamen. Meist stammen sie aus dem rechtsradikalen Spektrum. Oft werden die Ermittlungen aber eingestellt, weil die Bedrohung zu allgemein ist, etwa wenn Foltermechanismen aus dem Mittelalter beschrieben werden.

Erhalten Sie Personenschutz?

Nach Bedarf in bestimmten Situationen.

Kommunalpolitiker aus kleinen Ortschaften klagen darüber, dass sie bei Bedrohungslagen keinen Schutz von Polizeibehörden erhalten.

Das sagen mir viele Kollegen - man wird oft nicht in eine bestimmte Sicherheitsstufe eingeordnet, in den Wahlverzeichnissen aber etwa als Kreisrat mit Adresse veröffentlicht. Das schafft eine Situation der Angst, in der die Kollegen dann leben.

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Gehen Sicherheitsbehörden und Gerichte zu lasch mit den Bedrohungen gegen Politiker um?

Wir alle scheinen uns an Umgangsformen gewöhnt zu haben, die nicht in Ordnung sind - zum Beispiel, wenn Menschen mit Tieren verglichen werden. Wir müssen wieder klar benennen, was sich nicht gehört.

Wie könnten Gegenmaßnahmen sein?

Die Strafverfolgung wäre leichter, wenn es klarere Straftatbestände gäbe, etwa eine Art Katalog für Beleidigungen im Netz. Der Vergleich mit Tieren hat ja zum Beispiel zum Ziel, den Mensch in seinem Menschsein herabzuwürdigen.

Was raten Sie anderen Kommunalpolitikern, wenn sie Ihnen von Bedrohungen und Angriffen berichten?

Ich rate ihnen, nicht zu schweigen, sondern die Vorfälle unbedingt zu thematisieren, Bündnisse zu schließen und nicht der Angst zu erliegen. Wie sollen wir sonst wieder zu einem vernünftigen Miteinander kommen?

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