Anti-Rassismus-Proteste:Relikte alten Unrechts

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Arbeiter entfernen die Statue des konföderierten Präsidenten Jefferson Davis aus dem Capitol des Bundesstaates Kentucky, nachdem eine Kommission dem zugestimmt hatte. (Foto: dpa)

Statuen von Sklavenhaltern und Südstaaten-Generälen können keine multiethnische Demokratie repräsentieren. Aber man muss nicht alle Monumente stürzen.

Kommentar von Kia Vahland

Sie sind noch da, die meisten bronzenen Herrenmenschen und Sklaventreiber, die auf britischen und amerikanischen Plätzen thronen. Das hat einen Vorteil: So nämlich können die Statuen den Ungeist der rassistischen Menschenverachtung bezeugen, für den sie stehen. Die Demonstranten der Black-Lives-Matter-Bewegung haben ein Gegenüber, das sich mit Grund bekämpfen lässt. Ihre Sicht und die Erfahrungen der Schwarzen früherer Jahrhunderte werden im öffentlichen Raum viel zu wenig gewürdigt; auf den Sockeln (und sogar an den Wänden des Capitol in Washington) dominiert weiße Geschichtsdeutung.

Eine multiethnische Demokratie aber kann sich von Sklavenhändlern oder Südstaatengenerälen nicht repräsentiert fühlen. Bei den Statuen, auch im Fall der gestürzten Bronze aus Bristol, handelt es sich in aller Regel nicht um Zeitdokumente aus der Epoche der Sklaverei, sondern um spätere Liebesbekundungen an die Unterdrücker. Sie offenbaren, wie innig die weiße Oberschicht sich um 1900 oder danach zurücksehnte in die Welt noch größerer Privilegien. Der Zeitpunkt ist gekommen, dem ein freiheitliches, egalitäres Geschichtsbild entgegenzusetzen.

Das aber kann nicht bedeuten, nun alle Skulpturen zu verräumen, deren Vorbilder sich rassistisch geäußert oder verhalten haben. Sogar über eine erst kürzlich aufgestellte Statue Mahatma Gandhis in Leicester wird nun debattiert, weil der Inder den Schrecken des Apartheid-Regimes in Südafrika verkannte. Doch es ist vermessen, von den Toten mehr Integrität zu verlangen als die Lebenden selbst an den Tag legen. Menschen haben verschiedene Facetten, das darf man auch Gandhi, Churchill und Bismarck zugestehen. Der Einfluss von Führungspersonen auf die Weltgeschichte gehört fortlaufend diskutiert - was auch heißen kann, etwa neben den Denkmälern des belgischen Königs Leopold II. ein Schild oder einen künstlerischen Kommentar anzubringen, um über das millionenfache Sterben im Kongo unter seiner Regie aufzuklären.

Gegendenkmäler können auch eine Antwort sein auf Monumente aus bösen Zeiten

Die Debatte dagegen einfach unterbinden zu wollen, indem man die Strafen für Denkmalschändung erhöht, wie es gerade in Großbritannien geschieht: Das eskaliert die Situation unnötig. So heizt man einen Kulturkampf an; jetzt schon haben Rechtsradikale die britischen Denkmäler vereinnahmt und kündigen an, sie vor Angriffen "schützen" zu wollen.

Statt hilflos die harte Hand zu erheben, sind Politiker und die Verantwortlichen in Kulturinstitutionen gefordert, in diesen Umbruchzeiten kreative, versöhnende Antworten zu finden. In New York mehren sich im öffentlichen Raum gerade Skulpturen schwarzer, oft weiblicher Künstler, die an Persönlichkeiten wie die erste Afroamerikanerin im US-Kongress, Shirley Chisholm, erinnern. Auch Gegendenkmäler können eine gute Wahl sein; in der Bundesrepublik antworten schon seit den Siebzigerjahren etliche Kunstwerke in direkter Nachbarschaft auf Kriegerdenkmäler oder NS-Monumente. Denn darauf zu hoffen, dass die Peinlichkeiten übersehen und am Wegesrand vergessen werden, das funktioniert nicht dauerhaft.

Und wenn Statuen geköpft und gekippt werden, wie es auch in Osteuropa nach der Wende vielfach geschah: Dann sollten die Sockel leer bleiben und die Überreste im Museum oder im Skulpturenpark aufbewahrt werden. Künftige Generationen haben ein Recht darauf, die Relikte alten Unrechts kennenzulernen.

© SZ vom 15.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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