Verena Becker trägt eine weiße Jacke über einem grauen Rollkragenpullover, als sie den Gerichtssaal betritt. Eine große Sonnenbrille verbirgt ihre Augen. In der Hand trägt sie einen Schreibblock und eine Mineralwasserflasche. Einzig die Frisur erinnert an das Foto der Frau, das in den siebziger Jahren auf Fahndungsplakaten erschien. Und das zuletzt immer wieder veröffentlicht wurde, wenn es um neue Erkenntnisse im Fall Siegfried Buback ging.
33 Jahre nach der Ermordung des Generalbundesanwalts durch Terroristen der Rote-Armee-Fraktion (RAF) ist an diesem Donnerstag vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim die Anklage verlesen worden - die Anklage gegen Verena Becker.
Vergebens appellierte Hermann Wieland, der Vorsitzende Richter des Stuttgarter Oberlandesgerichts, an die einstige RAF-Terroristin, "Verantwortung zu übernehmen": Die 58-jährige Angeklagte ließ zum Auftakt des Prozesses um den Mord an Buback und seinen zwei Begleitern durch ihren Anwalt erklären, keine Aussage machen zu wollen.
So lasen Wieland und der Staatsanwalt aus tagebuchähnlichen Aufzeichnungen Beckers vor, in denen sie überlegt, ob sie den Hinterbliebenen der drei Toten ihr "Täterwissen" offenbaren solle, "damit Heilung geschehen kann".
Die Notizen hatte Becker am Jahrestag der Ermordung Bubacks im Jahr 2008 aufgeschrieben. Sie habe überlegt, ob sie für Buback beten solle; die "Zeit für Reue" sei "noch nicht da", es sei "noch ein weiter Weg", zitierte Wieland aus den Notizen.
Die Bundesanwaltschaft wirft ihr vor, Mittäterin gewesen zu sein, als Buback am 7. April 1977 in Karlsruhe erschossen wurde. Becker habe gemeinschaftlich mit anderen "aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch drei Menschen getötet", sagte Bundesanwalt Walter Hemberger bei der Verlesung der Anklage. Bei dem Anschlag auf den Mercedes des Generalbundesanwalts kamen auch Bubacks Fahrer Wolfgang Göbel und der Justizwachtmeister Georg Wurster ums Leben.
Der Prozess vor historischer Kulisse - an gleicher Stelle fand 1975 auch die Verhandlung gegen die RAF-Anführer Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe statt, die zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden - begann mit fast einstündiger Verspätung, weil zahlreiche Besucher in den Sitzungssaal drängten.
Becker wollte laut Verteidiger Walter Venedey weder zur Person noch zur Sache weitere Angaben machen. Die Bundesanwaltschaft geht nicht davon aus, dass Becker selbst auf dem Motorrad saß, von dem aus Buback und seine Begleiter erschossen wurden.
Jedoch: "Die Angeklagte wirkte (...) maßgeblich an der Entscheidung, einen Anschlag auf Generalbundesanwalt Buback zu begehen, an der Planung und Vorbereitung dieses Mordanschlags sowie an der Verbreitung der Selbstbezichtigungsschreiben mit", heißt es in der Anklage. Becker sei es besonders wichtig gewesen, den Willen der damals in Stammheim inhaftierten RAF-Mitglieder um Baader durchzusetzen. Diese hatten zur Ermordung Bubacks aufgerufen.
Die Anklage wirft Becker außerdem vor, "in der Gruppe auf die bedingungslose Umsetzung der Aufforderung" hingewirkt zu haben. Sie habe sich dazu bereiterklärt, "jeden erforderlichen Tatbeitrag zu erbringen". Am Tag vor dem Anschlag habe sie den Tatort ausgespäht oder jedenfalls ihre Komplizen dort abgeholt. Außerdem habe sie die Bekennerschreiben verbreitet. Schließlich beruft sich die Anklage auf die Notizen Beckers, in denen sie unter anderem von ihrem "Täterwissen" schreibt. Damit habe sie die Tat eingestanden.
Als Nebenkläger tritt der Sohn des Opfers, Michael Buback, vor dem Oberlandesgericht auf. Er ist davon überzeugt, dass Becker selbst die tödlichen Schüsse abgab. Hierfür will er im Laufe des Prozesses Beweise präsentieren. Bislang sind in dem Verfahren 17 Verhandlungstage angesetzt. Nach den Worten des Vorsitzenden Richters Hermann Wieland sind darüber hinaus weitere Termine zu erwarten.
In dem Mammutverfahren mit bislang 140 geladenen Zeugen bleibt viel Zeit zur Erforschung der möglichen Schuld der einer esoterischen Geisteshaltung zugewandten Verena Becker und der historischen Wahrheit des Buback-Attentats: Das Urteil wird frühestens im kommenden Sommer erwartet. "Wir haben ein offenes Ende des Verfahrens", sagte der Richter.