Wladimir Putin holt wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl am 4. März noch einmal verbal aus. Der aussichtsreichste Kandidat wirft der Opposition vor, sie sei auf Gewalt aus: "Sie wollen geradezu Zusammenstöße provozieren und tun alles dafür", sagte Putin am Mittwoch vor Anhängern in Moskau.
Putins Gegner haben bereits angekündigt, nach der für Montag erwarteten Bekanntgabe seines Wahlsiegs würden in Moskau wieder zehntausende Demonstranten auf die Straße gehen. Allerdings erteilte die Stadtverwaltung vorerst keine Genehmigungen für Kundgebungen. Putin warnte nun die Oppositionellen, an nicht genehmigten Demonstrationen teilzunehmen - sie sollten die Meinung der Bevölkerungsmehrheit respektieren.
Putin, früher Agent des Geheimdienstes KGB, schreckt selbst vor Verschwörungstheorien nicht zurück und unterstellt der Opposition ein Mordkomplott. Ein Teil seiner Gegner sei "bereit, jemanden zu opfern" - und anschließend der Regierung die Schuld zuzuweisen. Sie seien "zu allem fähig". "Sie suchen unter sehr bekannten Leuten nach einem Opfer", sagte er. "Sie könnten, fürchte ich, jemanden umnieten und dann den Behörden dafür die Schuld in die Schuhe schieben."
Dass der mächtigste Mann Russlands der Opposition gegenüber ausfällig wird, ist nicht neu - allerdings hat er seinen Gegnern noch nie so offen vorgeworfen, auf Krawall aus zu sein. Außerdem ist die Unterstellung gerade aus seinem Mund absurd: Während Putins Regierungszeit, zunächst von 2000 bis 2008 als Präsident, anschließend als Premier, gingen die staatlichen Sicherheitskräfte ganz und gar nicht zimperlich mit Regimegegnern um, die es wagten, sich auf ihr Recht auf Versammlungsfreiheit zu berufen.
Putin-Gegner sollen Wahlfälscher sein
Doch das ist bei weitem nicht die einzige Behauptung, mit der er die Öffentlichkeit überrascht. Noch absurder nimmt sich aus, dass der Premier versucht, seine Kritiker mit ihren eigenen Waffen zu schlagen: Er bezichtigt sie der Wahlfälschung. Zur Erinnerung: Die Demonstrationen gegen Putin begannen, nachdem es bei den russischen Parlamentswahlen im Dezember 2011 zu massivem Wahlbetrug gekommen war.
Der Kreml reagierte darauf mit dem Versprechen, Webkameras in den Wahllokalen aufzustellen - dennoch rechnen 67 Prozent aller Russen nach wie vor nicht mit fairen Wahlen. Für die Präsidentschaftswahlen haben deswegen schon mehrere oppositionelle Gruppen freiwillige Wahlbeobachter rekrutiert, die liberale Partei Jabloko bietet sogar eine App an, auf der man sich als Wahlbeobachter registrieren kann.
Nun dreht Putin den Spieß um: Die Opposition plane, Wahlzettel zu fälschen und dies der Führung anzulasten, beklagt er. "Sie bereiten sich darauf vor, irgendwelche Mechanismen zu benutzen, die beweisen sollen, dass die Wahlen manipuliert werden. Das sehen wir bereits, das wissen wir schon."
In der Tat tauchten schon einige interessante Videos auf der Internet-Plattform Youtube auf: Auf einem ist zu sehen, wie ein junger Mann auf seinem Computer ein gefälschtes Wahlvideo zusammenbaut - "Betrüge nicht!" lautet der Aufruf zum Video. Gleich darunter sind wackelige Clips verlinkt, die bereits auf den 4. März datiert sind - und Wahlfälschungen zeigen.
Für die Opposition ist die Sache klar: Putinanhänger haben diese Videos eingestellt, um die Versuche der Opposition, Wahlfälschungen zu dokumentieren, von vornherein zu diskreditieren. "Interessanter Einfall der Putinschen Propagandamaschine", schreibt zum Beispiel der Blogger Andrej Malgin auf der Plattform Livejournal.com. "Die sollen wohl mit den Videos von echten Wahlfälschungen vermischt werden." Er rät jedoch zur Ruhe: "Es ist sehr leicht, echte Videos von Fälschungen zu unterscheiden. Denn in den Fälschungen fehlt das Wichtigste: Die Nummer und Adresse des Wahlkreises, der Name der Beteiligten und die genaue Zeit der Aufnahme."
Putin wird nervös
Warum der Premierminister jetzt noch eine derartige Schmutzkampagne startet, scheint auf den ersten Blick rätselhaft: Sogar in den Umfragen des liberalen Meinungsinstituts Lewada kommt er auf eine komfortable Mehrheit, kaum jemand zweifelt daran, dass er am 4. März bereits im ersten Wahlgang zum Präsidenten gewählt werden wird.
Doch Putin, der nun ein Jahrzehnt lang der unumstritten mächtigste Mann Russlands war, betritt nach dieser Wahl Neuland: Zum ersten Mal hat er mit ernsthaftem Widerstand aus dem Volk zu rechnen. Sicher, die Protestbewegung ist im Vergleich zur gesamtrussischen Bevölkerung sehr klein, ein paar Zehntausend Demonstranten sind quantitativ gesehen nichts in einem Land mit mehr als 140 Millionen Einwohnern.
Doch gerade die Menschen, die gegen Putin aufbegehren, braucht dieser dringend, um die rückwärtsgewandte russische Wirtschaft zu modernisieren: Es ist zu einem großen Teil die städtische Mittelschicht, die endlich mitreden will, anstatt immer nur zu folgen. Eine wirtschaftliche Modernisierung, das wird langsam klar, wird es mit ihnen nur geben, wenn sie mit einer politischen Modernisierung Hand in Hand geht.