Wenn Macht eine Währung ist, dann ist Wladimir Putin der reichste Mensch der Welt. So zumindest sieht es das Magazin Forbes, das den Präsidenten Russlands 2017 zum zweiten Mal in Folge zum mächtigsten Menschen des Planeten gekürt hat.
Und Putin hält sein politisches Kapital zusammen. Die Opposition zeigt sich in Russland fast nur noch auf den Straßen. Im politischen System ist sie kaum vertreten. Bei den Präsidentschaftswahlen am 18. März 2018 findet sich unter den Kandidaten keine ernstzunehmende Alternative zu Putin. Nach 6796 Tagen an der Macht lässt sich der Präsident für sechs weitere Jahre wählen.
Im Westen heftig kritisiert, im eigenen Land verehrt. Wie hat der russische Präsident es geschafft, nach fast 19 Jahren an der Macht so beliebt zu sein?
Als er 1999 die politische Bühne betritt, ist Putin politisch ein unbeschriebenes Blatt. Die Öffentlichkeit kennt den ehemaligen Geheimdienstchef kaum, den der damalige Präsident Boris Jelzin zum Premierminister ernennt.
Das ändert sich schnell. Zwei Monate nach Putins Amtsantritt kommt es in Russland zu Bombenanschlägen auf Wohnhäuser. Sie werden tschetschenischen Terroristen angelastet. Die Bevölkerung ist verängstigt. Putin reagiert schnell und schickt die Armee in den Kampf gegen tschetschenische Rebellen im Kaukasus. Seine Zustimmungswerte nehmen rapide zu. Teuer finanzierte Werbekampagnen schaffen das Image eines aufrichtigen und tatkräftigen Patrioten. Zum Jahrtausendwechsel wird er zum Präsidenten vereidigt.
Einige innenpolitische Maßnahmen schaden Putins Ansehen zwar, etwa die Kürzung von Sozialleistungen. Auch dass er sich eine dritte Amtszeit als Präsident verschafft, führt zu einigem Unmut. Eigentlich erlaubt die russische Verfassung nur zwei aufeinanderfolgende Präsidentschaften. Putin tauscht 2008 gewissermaßen das Amt mit seinem Vertrauten Dmitrij Medwedjew als Premierminister und kandidiert nach dieser Unterbrechung 2011 zum dritten Mal als Präsident.
Doch es gelingt Putin vor allem in den späteren Jahren seiner Amtszeit, seine Beliebtheit vor allem durch außenpolitische Muskelspiele zu steigern. Die Interventionen in Georgien, der Ukraine und Syrien werden von großen Teilen der Bevölkerung begrüßt. Eine Außenpolitik der starken Hand hebt das Selbstwertgefühl vieler Russen an, wofür sie dem Präsidenten dankbar sind. Die Krim-Annexion 2014 löst in Russland geradezu eine Putin-Euphorie aus.
Wladimir Putin ist so für viele Russen zur Symbolfigur geworden, die Selbstbewusstsein und Stärke verkörpert. Wenn Menschen in Europa Putins oberkörperfreie Ritte durch die sibirische Wildnis belächeln, dann bewundern ihn viele Landsleute für die Inszenierung seiner Männlichkeit.
Putins Außenpolitik führt dazu, dass die Mehrheit nicht nur ihm, sondern auch der Armee großes Vertrauen entgegenbringt. Selbst die Sicherheitsdienste werden von 46 Prozent der Russen als glaubwürdig wahrgenommen. Mit den übrigen Institutionen, von der restlichen Regierung über die Medien bis zu Unternehmen und Konzernen, sind die meisten Menschen unzufrieden: Die Politiker klüngeln. Die Oligarchen gelten als unverschämt reich. Die russische Bürokratie erscheint vielen als ein Monstrum.
Die 90er Jahre waren in Russland von Privatisierung, teils kriminellem Raubtierkapitalismus, erodierender staatlicher Kontrolle und dem Aufstieg der Oligarchen geprägt. Russland litt unter einer schweren Rezession.
Putins erste Präsidentschaft fällt mit einem rapiden Wirtschaftsaufschwung zusammen. In den 2000ern erholt sich die Wirtschaft mit steigenden Ölpreisen auf dem Weltmarkt. Bis 2014 versechsfacht sich das Bruttoinlandsprodukt. Heute ist Russland, das über 30 Prozent aller natürlichen Ressourcen des Planeten verfügt, die elftgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Doch vom Wirtschaftswachstum profitieren nicht alle. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft heute weit auseinander. Laut Global Wealth Report besitzen die reichsten zehn Prozent der russischen Bevölkerung 77,4 Prozent des Gesamtvermögens im Land. Gleichzeitig lebt mehr als jeder zehnte Russe unter der Armutsgrenze - Tendenz steigend.
Sinkende Ölpreise belasten seit 2014 die russische Wirtschaft. Und der von Putin verhängte Einfuhrstopp westlicher Lebensmittel als Reaktion auf die Krim-Sanktionen der EU und der USA macht der Versorgung des Landes zu schaffen.
Von diesen Problemen versucht die Regierung in Moskau abzulenken, indem sie auf Patriotismus und das Bild vom starken Russland setzt. Das Militär ist Teil des russischen Alltags. Auf manchen öffentlichen Plätzen und Parks stehen Panzer, auf denen Kinder wie auf Spielgeräten klettern, und vor denen Schulklassen für Bilder posieren. Die Studenten der hochangesehenen Militärakademien laufen in Uniform durch die Städte.
Zum "Tag des Sieges" am 9. Mai veranstaltet der Kreml auf dem Roten Platz in Moskau alljährlich imposante, teure Militärparaden, die viele Russen begeistert im Fernsehen verfolgen. Unter Putin sind die Militärausgaben kontinuierlich gestiegen. Mit etwa 69 Milliarden US-Dollar verfügte das Land 2016 über das dritthöchste Militärbudget der Welt - nach den USA mit 611 Milliarden und China mit 215 Milliarden US-Dollar.
Mit dem Ende der Sowjetunion als Supermacht und dem Verschwinden des staatlichen Kommunismus ging für die russische Gesellschaft eine politische Ideologie verloren, an der sich viele orientiert hatten. Ohne diese Ideologie erschien ihnen die Welt chaotisch. Nachdem Religion in der Sowjetunion zwar verboten, aber nie ganz verschwunden war, haben viele im Glauben Zuflucht gefunden.
Heute bekennen sich zwei von drei Russen zum christlich-orthodoxen Glauben. Putin weiß diese Entwicklung für sich zu nutzen. Regelmäßig lässt er sich bei Gottesdiensten als gläubiger Christ fotografieren. Mit dem Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., pflegt er öffentlich eine Freundschaft.
Das Land beherbergt viele Ethnien und verschiedene Glaubensrichtungen. Etwa sieben Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Der Staat gibt für sie genau wie für die christlichen Gläubigen viel Geld aus. So eröffnete Putin 2015 in Moskau eine der größten Moscheen Europas.
Während die Gläubigen unterstützt werden, werden andere Gruppen diskriminiert, etwa Homosexuelle. Die russische Wortschöpfung "Gayropa" zeigt, dass sich in Russland viele Menschen von Europa abgrenzen wollen. Viele Russen sehen im Wertepluralismus Europas und der Offenheit Homosexuellen gegenüber einen dekadenten Morast ohne Moral.
In russischen Fernsehsendungen werden Homosexuelle als sexuell ausschweifend, vulgär oder gar pädophil porträtiert. Für die konservative Mehrheitsbevölkerung sind gleichgeschlechtliche Beziehungen eine Schreckensvorstellung, vor der Kinder geschützt werden müssen.
Im Sommer 2013 unterzeichnet Putin das "Gesetz gegen Homosexuellen-Propaganda". Es stellt positive Äußerungen zu Homosexualität in den Medien oder im Beisein von Minderjährigen unter Strafe. Seitdem zeigt sich der Hass auf Schwule und Lesben immer stärker. Immer häufiger werden sie Opfer von Gewalt oder Mord.
In Putins Rhetorik spiegelt sich die Einstellung der russischen Gesellschaft zum Westen. Seine Aussagen pendeln zwischen Annäherung und Distanzierung: So beeindruckte er 2001 die Abgeordneten im Deutschen Bundestag mit einer Vision von einem mit Russland vereinten Europa. Er spricht auf Deutsch, die Abgeordneten applaudieren begeistert über die Abkehr von Phrasen aus dem Kalten Krieg. Seit Beginn seiner Präsidentschaft arbeitet Putin an westlichen Partnerschaften.
Doch Putins Einstellung ändert sich, als ein Staatenbündnis 2003 - angeführt von den USA - im Irak interveniert, ohne sich mit ihm abzusprechen. Der russische Präsident verurteilt daraufhin den Krieg. Die westliche Sympathie für die Farbrevolutionen in der Ukraine, Kirgisistan und Georgien verstärken sein Misstrauen. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 schockiert Putin den Westen mit seiner Kritik an einer "monopolaren Weltherrschaft" der USA und warnt die Nato vor einer Erweiterung nach Osten.
Die Proteste auf dem Maidan in Kiew 2013 betrachtet Putin als vom Westen unterstützten Putschversuch gegen die ukrainische Regierung. Er überrascht Europäer und Amerikaner 2014 mit der Annexion der Krim, der Westen reagiert mit Sanktionen. Damit löst Putin eine tiefe Krise zwischen Russland und dem Westen aus, die sogar zum Ausschluss des Landes aus dem "Club" der G-8-Staaten führt.
Sanktionen und offene Anfeindungen prägen weiterhin die gegenseitige Wahrnehmung. Die USA gelten wieder als größter Feind, auf dem zweiten Platz ist die Ukraine, und auch Deutschland und Großbritannien gelten heute weniger als Partner denn als Gegner.
Während Putin zunehmend auf Distanz zum Westen geht, setzt er auf die Partnerschaft mit einigen weiteren ehemaligen Sowjetrepubliken: Russland bildet seit 2015 mit Weißrussland, Kasachstan, Kirgisistan und Armenien die Eurasische Wirtschaftsunion, die sich allerdings an der Wirtschaftspolitik der EU orientiert. Trotz einiger Konflikte bemüht sich Russland auch um China und die Türkei als strategisch wichtige Partner. In Europa unterstützt Putin inzwischen populistische und rechte Parteien und Kräfte, um seinen Einfluss zu vergrößern.
Um seine Macht innenpolitisch zu sichern, hat Putin bereits zu Beginn seiner Präsidentschaft alle zuvor privaten TV-Sender unter staatliche Kontrolle gebracht. Das ist von besonderer Bedeutung, denn Russland ist eine Fernsehnation - viele Menschen informieren sich in erster Linie über den TV-Bildschirm. Obwohl die russische Verfassung Presse- und Meinungsfreiheit garantiert, gibt es in der russischen Medienlandschaft heute keinen unabhängigen Fernsehkanal mehr.
Die Berichterstattung folgt der Agenda des Kreml. Über Oppositionelle berichtet das Fernsehen nicht. Die USA und Europa werden als dekadent, verworfen und chaotisch dargestellt, demokratische Systeme als instabil diffamiert. So knüpfen die Medien an uralte sowjetische Erzählstrategien an.
Zwar sind nicht alle unabhängigen Medien aus Russland verschwunden. Ihren Mitarbeitern wird jedoch das Leben täglich schwer gemacht. Immer wieder sehen sie sich staatlichen Repressalien ausgesetzt. Immer wieder werden Journalisten angegriffen, manche werden ermordet, nur selten werden die Verbrechen aufgeklärt.
Als es im März 2017 in mehr als 80 Städten Russlands zu Protesten kommt, gilt der Unmut der Demonstranten der Korruption unter Politikern. Zuvor hat Russlands bekanntester Oppositionspolitiker Alexej Nawalny in einem Video schwere Korruptionsvorwürfe gegen Premierminister Medwedjew geäußert. Nawalny ruft zu Protesten auf, viele junge Menschen organisieren sich daraufhin in sozialen Netzwerken - Plattformen, über die der Staat weitgehend keine Kontrolle hat. Dann gehen sie auf die Straßen.
Seitdem finden im ganzen Land immer wieder Demonstrationen statt - zuletzt am 28. Januar 2018. Diesmal weil Nawalny zu den Präsidentschaftswahlen nicht als Kandidat zugelassen wird. Die Opposition kann ihren bekanntesten Repräsentanten nicht wählen.
Die meisten Menschen bleiben bei politischen Protesten sowieso zu Hause. Die russischen Staatsmedien behaupten, die Demonstrationen wären Versuche des Westens, Einfluss auf die russische Gesellschaft zu nehmen. Viele Russen fürchten sich auch vor den Sicherheitsbehörden und staatlicher Willkür. Immer wieder nimmt die Polizei Demonstranten unter dem Vorwand fest, an unangemeldeten Versammlungen teilgenommen zu haben. Es kommt zu Geld- und Gefängnisstrafen.
Russland hat sich seit Putins Machtübernahme immer weiter zu einem autoritären Regime entwickelt. Im Demokratie-Index der britischen Zeitschrift The Economist liegt das Land gegenwärtig auf dem 135. Rang (von 167 erfassten Ländern). Denn die Wahlen sind teils manipuliert, kritische Stimmen werden unterdrückt. Nur eine "Systemopposition" wird zu Wahlen zugelassen. Sie dient dazu, den Schein einer Demokratie zu erwecken und mehr Menschen zu den Wahlurnen zu bewegen. Denn je mehr abstimmen, desto mehr Legitimation hat der zukünftige gewählte Präsident.
Nicht nur die Opposition wird an ihrer Arbeit gehindert, auch unabhängige Organisationen sind zunehmend Repressalien ausgesetzt worden. Russische NGOs mit Finanzierung aus dem Ausland müssen sich seit 2012 als "ausländische Agenten" registrieren lassen und werden dann überwacht. Ausländische Organisationen kann die Staatsanwaltschaft seit 2015 für unerwünscht erklären. Mehrere NGOs aus den USA sind inzwischen verboten.
Es lässt sich nicht sagen, ob Putin auch in den kommenden Jahren so beliebt sein wird wie jetzt. Der Bevölkerungsmehrheit geht es nicht wirklich gut. Armut, Preiserhöhungen, Arbeitslosigkeit, Korruption, niedrige Renten und mangelnde staatliche Fürsorge bereiten vielen Menschen Sorgen. Die russische Wirtschaft ist unterentwickelt und sie hängt stark von den Rohstoffpreisen auf dem Weltmarkt ab.
Trotz seiner langen Amtszeit ist es Putin nicht gelungen, diese Probleme zu bewältigen. Und eine aggressive Außenpolitik und feindselige Rhetorik vermögen vielleicht das russische Selbstwertgefühl für eine Weile zu heben. Aber sie machen niemanden satt. Ob die von Putin angekündigten Reformpläne aufgehen und die Lebenssituation der Menschen sich verbessern wird, ist nicht sicher - genauso wenig wie eine Normalisierung im Verhältnis zu den westlichen Demokratien. So gewiss Putins Wiederwahl ist, so ungewiss bleibt Russlands Zukunft.