Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion und Leiter des Ressorts Meinung, mit politischen Themen, die in der kommenden Woche - und manchmal auch darüber hinaus - relevant sind. Hier können Sie "Prantls Blick" als wöchentlichen Newsletter bestellen - mit seinen persönlichen Leseempfehlungen.
Ein Fresskorb war in vergangenen, bescheidenen Zeiten die Spitze des kleinbürgerlichen Luxus: Onkel Hans und Tante Lisa bekamen ihn zum 80. Geburtstag, die Großeltern zur Goldenen Hochzeit. Man durfte den Fresskorb nicht mit einer Hand am großen Henkel packen, denn er war schwer: Er enthielt eine Flasche Sekt, eine Packung Kaffee, ein Glas Marmelade, eine Stange Hartwurst, ein paar Dosen mit Spargel, Bohnen, Mandarinen und Ananas, eine Schachtel mit Pralinen und eine Tafel Schokolade. Hochkonjunktur hatte der Fresskorb zu Beginn des Wirtschaftswunders vor 55 Jahren, aber ausgestorben ist er nicht: Auf dem Dorf hat der Bürgermeister, wenn er mit dem Fotografen der Lokalzeitung zum Jubeltag der ältesten Mitbürger anrückt, noch heute einen solchen Fresskorb dabei.
Was der Papst mag und Merkel nicht
Wenn man in den Zeitungsarchiven nach den Stichwörtern "Fresskorb", "Geschenkkorb" oder "Präsentkorb" sucht, dann entdeckt man, dass dieses Präsent nicht nur in der Provinz, sondern auch auf der großen Bühne noch immer gern überreicht wird: Auf Fotos sieht man Kanzlerin Angela Merkel oder Papst Franziskus, denen soeben so ein Korb überreicht worden ist - die Kanzlerin schaut freilich ein wenig betreten und hält ihn so, als wolle sie ihn ganz schnell wieder loswerden; dafür lacht der Papst übers ganze Gesicht, offenbar in echter Vorfreude auf den kulinarischen Genuss (obwohl sein Korb, was sich eigentlich nicht gehört, in Zellophan eingewickelt ist). Das Präsent für den Papst kommt offenbar aus Bayern, weil Horst Seehofer, wie zu sehen ist, bei der Übergabeprozedur assistiert; und Papst Franziskus weiß womöglich von seinem Vorgänger Benedikt, dass man in Bayern gut zu essen versteht.
Die Fresskorb-Tour des Martin Schulz
Der kleine Ausflug in die Geschichte und in die Gegenwart der Fresskorb-Kultur ist heute und an dieser Stelle deswegen veranlasst, weil die Parteichefs von CDU, CSU und SPD in der vergangenen Woche in intensiver Arbeit, 24 Stunden hat das zuletzt gedauert, miteinander so eine Art Fresskorb zusammengestellt haben. In der CDU und vor allem in der CSU sind die Mitglieder es gewohnt, die Präsente der Parteiführung ohne größeres Murren anzunehmen - nach dem Motto, dass man dem geschenkten Gaul nicht ins Maul schaut. Bei der SPD ist das anders. Da muss jetzt der Parteivorsitzende Martin Schulz auf Tour gehen, überall den gepackten Fresskorb präsentieren und dafür werben. Das ist nun in der Innenpolitik das wesentliche politische Programm der kommenden Woche.
Bei normalen Fresskörben ist es höchst ungewöhnlich, dass sie zurückgewiesen werden. Ein Fresskorb ist ein Geschenk, das der Beschenkte nicht so genau anschaut - irgendetwas, das schmeckt, wird schon dabei sein, denkt sich der Beschenkte. Bei dem Präsentkorb, mit dem nun Martin Schulz herumreist, ist das anders. Da muss Schulz durchaus damit rechnen, dass seine Leute einen Teil des Inhalts für ungenießbar halten, daher unwirsch reagieren und ihn mit dem Korb in der Hand stehen lassen. Bei der Politik aus Bayern ist es nämlich anders als bei den Fressalien aus Bayern; bei ersterer reagieren viele Sozialdemokraten allergisch. Und es sind ungewöhnlich viele politische CSU-Produkte im Korb. Warum das so ist, das muss Schulz seinen Leuten erklären; und warum sie das akzeptieren und goutieren sollen, muss er ihnen auch erklären.
Schulz wird seinen Sozis eine Mischkalkulation empfehlen: Er wird wieder und wieder die roten Leckereien aufzählen, die verführerisch im Korb liegen, zumal die Produkte aus der Fabrik der Sozialpolitik. Und er wird hoffen, dass der Appetit darauf größer ist als die Abneigung gegen das andere und größer als der Ärger darüber, was fehlt.
Schulz und der Korb - eine Einheit
Wenn Martin Schulz seine Leute nicht überzeugen kann, ist er politisch erledigt, dann muss er als Parteivorsitzender abtreten. Er hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil er ursprünglich apodiktisch erklärt hatte, mit CDU und CSU keine gemeinsame Sache mehr zu machen. Nun muss er darlegen können, warum der Präsentkorb es wert ist, es doch noch einmal mit einer großen Koalition zu versuchen. Schulz und sein Präsentkorb - das ist eine Einheit. Die Genossinnen und Genossen entscheiden über beides.
Es beginnen also erregende politische Tage. Wenn Schulz scheitert, dann muss der Bundespräsident die weiteren Dinge in die Hand nehmen - das Grundgesetz weist ihm im Interregnum so eine Art Dirigentenrolle zu. Dann rückt eine Minderheitsregierung Merkel und/oder eine Neuwahl näher.