Prantls Blick:Der Mief von 150 Jahren

Beamtenbesoldung

Im deutschen Beamtentum stapelt sich der Reformbedarf.

(Foto: dpa)

Wie und warum das Beamtentum grundlegend reformiert werden muss. Eine große Aufgabe für eine große Koalition.

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion und Leiter des Ressorts Meinung, mit politischen Themen, die in der kommenden Woche - und manchmal auch darüber hinaus - relevant sind. Hier können Sie "Prantls Blick" als wöchentlichen Newsletter bestellen - mit seinen persönlichen Leseempfehlungen.

In dieser Woche beginnt, wie alljährlich um diese Zeit, die "Jahrestagung des Deutschen Beamtenbundes". Früher, in meinen ersten journalistischen Jahren, bin ich gern zu dieser Jahrestagung gefahren; ich genoss es, die Ansprachen des jeweils amtierenden Bundesinnenministers zu hören. Die Herren (Frauen als Bundesinnenminister gab es bisher noch nicht) verwandelten sich nämlich am Rednerpult jeweils in Aale und wanden sich sehr - indem sie einerseits die Beamten lobten und priesen, andererseits ihnen aber auch zu verstehen geben wollten, dass sie bei Gehalts- und sonstigen Forderungen doch bitteschön Zurückhaltung üben sollten.

Ich bin wohl auch deshalb ganz gerne zu diesen Beamtentreffen gefahren, weil ich meine eigene Herkunft noch spürte: Vor meinem Wechsel zum Journalismus und zur Süddeutschen Zeitung war ich Staatsanwalt, also Beamter gewesen. Aber ich war und bin auch ganz froh, dem Beamtendasein entronnen zu sein - nicht zuletzt deswegen, weil ich, wenn ich im Staatsdienst geblieben wäre, Ihnen jetzt keinen Newsletter schreiben könnte.

Und so ist die Beamtentagung für mich einerseits eine nostalgische Angelegenheit; zum anderen eine Gelegenheit zum Sinnieren darüber, wie es wohl mit dem Beamtentum weitergehen wird. Ich will Sie gern bei diesem Sinnieren dabei sein lassen - und lade Sie daher jetzt ein, mit mir eine kleine Exkursion zu machen. Wir besuchen das Haus der Geschichte in Bonn, Willy-Brandt-Allee 14. Wir tun das allerdings nicht jetzt im Januar 2018, sondern im Jahr 2050 - es ist eine Reise in die Zukunft. Wir schauen vom Jahr 2050 aus zurück, was damals in den Jahren 2018 ff mit dem öffentlichen Dienst geschehen ist.

In der Abteilung Deutschland/Verwaltung/Reformen finden wir am Beginn einer "Ausstellung über den Weg zu einer bürgernahen Verwaltung" ein Plakat mit folgendem einführenden Text: "Mehr als zweihundert Jahre nach der Einführung des deutschen Berufsbeamtentums wurden in den Jahren 2019/20 die Grundlagen für eine fundamentale Reform der Staatsverwaltung gelegt. Das Beamtentum wurde wieder auf seinen Kernbereich reduziert. Lehrerinnen und Lehrer sind seitdem keine Beamten mehr. Sechzig Jahre lang hatte die Bundesrepublik nicht die Kraft zu solchen Reformen. Die Entwicklung des Staates zum Servicebetrieb und die ungeheuere Ausweitung der Staatstätigkeit hatten das Berufsbeamtentum nicht verändert, sondern nur stark ausgedehnt. Diese Entwicklung wurde wieder umgekehrt. Das Grundgesetz wurde, gegen heftige Widerstände, entsprechend geändert.

"Der Grundgesetz-Artikel, in dem bis dahin die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" verankert waren, so kann man es auf einer Schautafel des Museums nachlesen, ist 2019 wie folgt neu gefasst worden: "Die Bürgerinnen und Bürger sind Teilhaber des Staates. Die Rechtsverhältnisse aller Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung sind im Rahmen eines einheitlichen Arbeitsrechts zu gewährleisten. Soweit die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben dies erfordert, ist durch Gesetz zu gewährleisten, dass die damit betrauten Personen diese Aufgaben wirksam und unparteiisch erfüllen können."

Im Ausstellungskatalog des Jahres 2050 lesen wir weiter: "Fünf Millionen Beschäftigte in Deutschland waren in den Jahren von 2019 an von dieser neuen Grundnorm betroffen. Ihre Arbeitsverhältnisse, ihre Vergütung und Altersversorgung wurden auf eine neue Basis gestellt. Die Tarifverträge für die Angestellten wurden komplett neu und übersichtlich gefasst; es endete damit eines der kompliziertesten Entlohnungssysteme der Welt."

So könnte es sein. Soll es so sein? Ja, denn dies wäre keine wüste Zerstörung von Tradition, sondern eine Rückbesinnung auf ihre Wurzeln. Das Berufsbeamtentum, das heute vielfach als Relikt aus alten Zeiten betrachtet wird, trägt nämlich von seiner Grundidee her höchst fortschrittliche Züge - die Beamten waren einst eine kleine Kerntruppe des modernen Staats. Sie waren vor zweihundert Jahren die neue Macht im Staat, die Gegenmacht zum Adel. Die Beamtenschaft war in ihren Anfängen liberal, aufklärerisch, reformerisch. Aber aus einer aufklärerischen Macht wurde dann ein autoritär-obrigkeitsstaatlicher Apparat, der in der Weimarer Republik und in der jungen Bundesrepublik so tat, als stünde über der Demokratie und dem Parlamentarismus noch etwas Höheres: der Staat selbst.

Das Beamtentum wurde zu einem unflexiblen Apparat

Das Beamtentum wurde zu einem unflexiblen Apparat. Es gab viele Reformversuche, die im Sand verliefen. Lange waren es die Beamten selbst und ihre einflussreichen Organisationen gewesen, die sich gegen Veränderungen wehrten; sie hielten die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" wie einen Schutzschild gegen Reformen vor sich. Das hat sich geändert.

Heute sind es sehr oft Beamtenvertreter, die am lautesten "Reform" rufen. Sie proklamieren eine viel stärkere Orientierung der Bezahlung am Leistungsprinzip, als die Gesetze sie heute vorsehen. Sie rufen nach mehr Flexibilität. Die Beamten selbst wollen heute den öffentlichen Dienst beweglicher und mobiler machen; das Aussteigen aus dem Beamtentum in die Privatwirtschaft und das Einsteigen aus der Privatwirtschaft ins Beamtentum soll leichter gehen als bisher. Der Mief von 150 Jahren soll aus dem Beamtentum hinausgeblasen werden. Das ist zur Arterhaltung notwendig.

Das Beamtentum erstickt, wenn nichts Grundlegendes passiert - das wissen viele Beamtinnen und Beamten selbst am besten. Vielleicht erleben wir bei der Beamtentagung in Köln den Auftakt zu einer evolutionären Revolution. Die sich formierende große Koalition sucht ja, angeblich, große Aufgaben.

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