Präsidentschaftswahlen:Serbien steht vor der großen Vučić-Therapie

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Der serbische Premierminister Aleksandar Vučić schimpft und poltert - mit Vorliebe über andere Serben. (Foto: AP)

Aleksandar Vučić will sich zum serbischen Präsidenten wählen lassen. Er zieht mit Vorliebe über seine Landsleute her - und kommt damit ausgerechnet bei der EU gut an.

Kommentar von Nadia Pantel

Man könnte meinen, ein Nationalist ist jemand, dem die Nation, in der er lebt, sehr gut gefällt. Er mag seine Nachbarn, die Wiese hinter seinem Haus und das, was über seine Vorfahren in den Geschichtsbüchern steht, so sehr, dass er sich sicher ist: Schöner geht's nicht. Toll hier bei mir! Dem Nationalisten müsste also die Zufriedenheit aus den Ohren herauskommen. Dem ist jedoch nicht immer so. Ist der Nationalist erst einmal Politiker, schimpft er oft ohne Unterlass. Zum einen auf Zuwanderer, internationale Handelsbeziehungen und alles andere, was die Wiese hinterm Haus verändern könnte. Zum anderen, und das ist erstaunlich, besonders gern auf seine Landsleute.

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Patrioten lieben ihre Heimat letztendlich eher selektiv

Der Serbe Aleksandar Vučić zum Beispiel ist jemand, der sein Land so sehr liebt, dass er unter dem Heimatfanatiker Slobodan Milošević als Informationsminister diente. Knapp 20 Jahre später gilt Vučić nun als mächtigster Mann Serbiens. Noch ist er Premierminister, am Sonntag dürfte er zum Präsidenten gewählt werden. Vučić hat also alles erreicht, und das in seinem Herzensland. Und wen beschimpft dieser Vučić nun am liebsten? Andere Serben. Die Presse lüge. Oppositionspolitiker seien Schurken und Banditen, die das Land ausplündern wollten. Serben, die auswandern oder fliehen, seien faul und wollten die europäischen Sozialsysteme ausnutzen. Das Kalkül ist simpel: Je finsterer die Umgebung, desto heller wirkt selbst der Matteste.

Auch Patrioten wie François Fillon, Donald Trump oder Jarosław Kaczyński lieben ihre Heimat letztendlich eher selektiv. Das gefeierte Vaterland muss gegen Landsleute verteidigt werden, die in der Staatsanwaltschaft arbeiten (Fillon), die einen nicht gewählt haben (Trump) oder die sonntags der Kirche fernbleiben (Kaczyński). Das Gezeter gegen "Volksverräter" ist in diesen Fällen meist eine innenpolitische Maßnahme, damit auch wirklich jeder versteht, wer der Oberfranzose, -amerikaner oder -pole ist.

Die Lösung heißt nicht mehr Demokratieförderung, sondern Vučić

Die Strategie der mächtigen Balkan-Männer ist umfassender, sie dehnen die Heimatbeschimpfung auf die Außenpolitik aus. Der internationale Erfolg von Vučić beruht zu großen Teilen darauf, dass es ihm gelungen ist zu vermitteln, dass er zu Hause in Serbien hauptsächlich von Halunken umzingelt sei. Ob nun in Belgrad, Skopje oder Podgorica: Die Führer der Balkan-Staaten arbeiten im Annäherungsprozess an die EU gerne mit Klischees und Drohungen: Obacht, liebe Brüsseler, im Südosten sind leider alle korrupt und jederzeit bereit, ihre alten Maschinengewehre im Vorgarten auszubuddeln. Wirklich schlimm hier. Aber auf mich ist Verlass. Politische Prozesse werden so auf Personalfragen reduziert. Dann heißt die Lösung für Serbiens Stagnation nicht mehr Demokratieförderung, Bildungsausbau oder Korruptionsbekämpfung. Die Lösung heißt Aleksandar Vučić. Wer dafür bürgt? Aleksandar Vučić natürlich, sonst ist ja niemand da.

Für viele Serben ist diese Übermacht eines Einzelnen frustrierend. Nur knapp die Hälfte von ihnen gab bei den vergangenen zwei Parlamentswahlen überhaupt ihre Stimme ab. In Brüssel und Berlin scheint das den Glauben an den treuen EU-Freund Vučić nicht zu schmälern. Die Kriegshetzereien seiner Jugend sind ihm längst verziehen; dass Europa für ihn vom Feind zum Freund geworden ist, wird ihm geglaubt. Und ja, es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass Vučić Serbien in die EU führen möchte. Die Frage ist nicht, ob er Moskau oder Brüssel die Treue hält. Die Frage ist, was von Serbiens junger Demokratie nach der großen Vučić-Therapie noch übrig sein wird.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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