Präsidentschaftswahl in Frankreich:Wie sich die französischen Wähler selbst betrügen

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Die jämmerliche Situation der französischen Volkswirtschaft wird über das Schicksal des Euro entscheiden. Doch der Präsidentschaftswahlkampf hat jede ehrliche Diskussion über die Krise erstickt. Die Politik präsentiert schlichte Rezepte, deutet mit dem Finger auf andere: Globalisierung, China, Billiglöhner. Und die Wähler lassen sich ablenken.

Stefan Kornelius

Frankreichs Wähler sind ein schwer zu beschreibendes Mysterium. Wenn sie am Sonntag zu den Urnen gehen, dann will die Mehrheit von ihnen einen Wechsel. Die Mehrheit ist unzufrieden und unruhig, sie sehnt sich nach Sicherheit und Zuversicht. Und deswegen laufen diese Wähler einer Utopie hinterher. Dankbar greifen sie nach jeder Pille, die da verabreicht wird - und merken nicht, dass es sich um ein simples Placebo aus Zucker handelt, das sich schon bald als wirkungslos erweisen wird.

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Seit zwei Jahren diskutiert Europa den kümmerlichen Zustand seiner öffentlichen Finanzen. Seit zwei Jahren taumelt die gemeinsame Währung ihrem Kollaps entgegen. Dass diese Diskussion nun seit ein paar Wochen ruht, hat einerseits mit dem griechischen Schuldenschnitt zu tun, andererseits mit dem französischen Terminkalender.

Denn der Wahlkampf hat jede ehrliche Diskussion über den Zustand der französischen Finanzen erstickt. Obwohl die jämmerliche Situation der französischen Volkswirtschaft mit über das Schicksal des Euro entscheiden wird, hat Frankreichs politische Führung - ob links oder rechts - es vorgezogen, diese Probleme nicht zur Abstimmung zu stellen.

Die Politik deutet mit dem Finger auf andere

Schwierige Probleme, da wären etwa: die Staatsschulden von mehr als 90 Prozent des Bruttosozialprodukts; öffentliche Ausgaben von 56 Prozent (Italien leistet sich nur 50 Prozent); die Arbeitslosigkeit von zehn Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit von 21,7 Prozent; die extrem hohe Zahl der staatlich Beschäftigten; die hohe Steuerlast; der Exodus der Industrie ins Ausland.

Frankreich müsste also über ein radikales Sparprogramm abstimmen. Stattdessen wird wahlgekämpft mit Steuererhöhungen oder dem Versprechen, das Renteneintrittsalter vielleicht doch wieder auf 60 Jahre zu senken, wo es gerade mühsam auf 62 angehoben worden war.

Hierin liegt der Selbstbetrug der Wähler: Sie erkennen den dramatischen Zustand der französischen Staatsfinanzen, sie erleben die ökonomische und soziale Misere, aber sie lassen sich ablenken. Die Politik deutet mit dem Finger auf andere: Schuld trägt die Globalisierung, der unfaire Wettbewerb mit China, die Billiglöhner aus dem Osten. Entsprechend schlicht sind die Rezepte, etwa die Forderung nach einer Wiedereinführung der Grenzkontrollen in Europa. Und zur Unterstützung lässt sich auch noch der deutsche Innenminister bereitwillig in die Pflicht nehmen.

Italien, Spanien, Griechenland, Irland - alle europäischen Großschulden-Länder haben ihre politischen Krisen durchschritten und am Ende den Wählern die Last der Aufgabe offenbart. Nur so lässt sich der soziale Frieden - unter großen Mühen - bewahren. Allein Frankreichs Politik leistet sich den Selbstbetrug und duckt sich kollektiv vor der Wahrheit. Die Politik traut sich nicht, und die Wähler scheinen dankbar für die Irreführung. So hat sich das Land schon vor der Wahl entschieden: für die große Illusion.

© SZ vom 21.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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