Postengerangel in der EU:Dominanz des nationalen Interesses

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Bei der Besetzung der EU-Spitzenjobs zeichnet sich ein parteipolitisches Gleichgewicht ab. (Foto: Getty Images)

Ein Deal zeichnet sich ab: Sozialisten und Konservative scheinen ihre Wunschlisten für die Spitzenjobs in der EU abgeglichen zu haben. Jetzt könnte die Entscheidung fallen. Doch die Erfahrung lehrt - die Wünsche der eigenen Parteifamilie sind am Ende zweitrangig.

Ein Kommentar von Cerstin Gammelin, Brüssel

Zu den vornehmen Aufgaben der europäischen Staats- und Regierungschefs zählt es, die Spitzenjobs in der Gemeinschaft zu besetzen. Dieses Ziel vor Augen, verflechten sie alle fünf Jahre aufs Neue nationale und parteipolitische Interessen zu einem gordischen Knoten, den sie dann wieder entwirren müssen.

Frankreichs Staatspräsident François Hollande hat in den letzten Wochen sehr eifrig geflochten. Der Franzose, dessen sozialistische und sozialdemokratische Parteifreunde in Europa erstmals seit Jahren beinahe so stark sind wie die Christdemokraten, blockierte bisher die aussichtsreiche Kandidatin für das Amt der Präsidentin im Europäischen Rat: die dänische Ministerpräsidentin und Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt.

Was dem französischen Sozialisten aus nationalem Interesse nützlich erschien, stürzte die eigene Parteienfamilie in Verzweiflung und entfesselte wilde Personalphantasien: Der in der Parteien-Fehde geschasste italienische Premier Enrico Letta wurde von Genossen als Ersatzkandidat genannt, die Christdemokraten nutzten die Verwirrungen, um das Amt selbst zu beanspruchen, schließlich sondierte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bereitschaft des niederländischen Premiers Mark Rutte, nach Brüssel zu wechseln. Rutte ist bekanntlich Liberaler. Nichts war mehr zu erkennen von einem Gleichgewicht zwischen Schwarzen und Roten.

Umso verblüffender ist nun, dass Frankreich jetzt bereit zu sein scheint, sein Veto zur Kandidatur der Dänin zurückzuziehen. Der designierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat angedeutet, dass er den Franzosen ihren Wunsch-Job in der Kommission ermöglichen könnte (verbindliche Zusagen kann er als noch nicht gewählter Präsident nicht geben) - und schon scheint Paris einzulenken. Läuft also alles nach Plan, bekommt der frühere Finanzminister Pierre Moscovici Zugriff auf das mächtige Wirtschaftsressort in Brüssel. Et voilà.

Alles fein austariert

Hollandes Wandel zeigt deutlich: Nationales Interesse steht im Postengerangel klar vor Wünschen der eigenen Parteienfamilie - nicht nur in Frankreich. Auch der italienische Premier Matteo Renzi hatte durchblicken lassen: Ehe er den Parteirivalen Letta ins Amt des Ratspräsidenten hievt, verzichtet er für die Parteienfamilie lieber ganz auf den Posten.

Nun zeichnet sich also das parteipolitische Gleichgewicht ab, und damit auch die Einigung über die beiden Spitzenjobs. In Jean-Claude Juncker säße ein Christdemokrat im Chefsessel der EU-Kommission, in Helle Thorning-Schmidt eine Sozialdemokratin auf dem Rats-Thron. Sowohl Juncker als auch Thorning-Schmidt betreiben derart wenig Klientelpolitik, dass sie gut und gerne auch das Parteibuch des jeweils anderen besitzen könnten.

Anderswo tut sich Widerstand auf

Dass Schwarze und Rote beinahe gleichstark sind, soll auch bei der Besetzung des dritten wichtigen Posten beachtet werden. Die bulgarische Christdemokratin Kristalina Georgiewa gilt als Favoritin für das Amt der Hohen Außenbeauftragten. Für die Balance, und auch weil Renzi es so will, soll Georgiewa die italienische Außenministerin Federica Mogherini an die Seite gestellt bekomme - eine Sozialdemokratin. Die Bulgarin wäre zuständig für allgemeine europäische Außenpolitik, die Italienerin für Entwicklungs- und humanitäre Hilfe.

Angesichts der sich abzeichnenden Einigung erscheint fast bizarr, dass sich inzwischen anderswo Widerstand auftut. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, ein kluger wie eitler Politiker, hält nicht viel davon, fünf Monate vor Amtsende einen Nachfolger im Nacken zu fühlen. Weshalb er vorgeschlagen hat, zunächst nur über die Außenbeauftragte - und erst später über seinen Nachfolger zu entscheiden. Es ist an ihm, den Knoten zu zerschlagen.

© SZ vom 12.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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