EU-Streit mit Polen:Kein Geld für niemanden

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So lange Warschau seine Gesetze nicht EU-konform gestaltet, will Brüssel nicht mehr zahlen - und Strafe kassieren. Das akzeptiert Polen nicht - die Worte eskalieren

Von Florian Hassel, Belgrad

Die Reaktionen Warschauer Politiker auf das vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen des Abbaus des Rechtsstaates verhängte tägliche Eine-Million-Euro-Zwangsgeld und die Sperre von Milliarden EU-Geldern lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Keinen Schritt zurück und keinen Cent freiwillig an die EU.

Schon 2020 befand der EuGH eine politisch abhängige Disziplinarkammer für Richter und Staatsanwälte für rechtswidrig. Doch die Kammer urteilt bis heute, daher das Zwangsgeld. Schon am 20. September verdonnerte der EuGH Polen zu einer Zahlung von 500000 Euro täglich, weil es einen Braunkohletagebau nicht einstellt, der dem EU-Recht widerspricht.

Doch PiS-Fraktionschef Ryszard Terlecki und sein Stellvertreter Marek Suski, beide Vertraute von Polens faktischem Regierungschef Jarosław Kaczyński, bekräftigten, Polen werde die Strafen "auf keinen Fall bezahlen", wie Suski sagte. Ohnehin sei etwa das Strafgeld von einer Million Euro täglich "keine gigantische Summe" im Verhältnis zu Milliarden, die Polen aus Brüssel zustünden. Polen "kann und wird nicht einen Złoty bezahlen", bekräftigte Justizminister-Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro.

Unerwähnt ließen sie, dass es der EU gleichgültig ist, ob Warschau die Millionen-Zwangsgelder überweist oder nicht: Ein Sprecher der EU-Kommission bekräftigte am Freitag, dass die Summe schlicht vom sonst aus Brüssel kommenden Geld abgezogen werde, falls ein EU-Staat ein Zwangsgeld nicht zahle.

Mehr als die Geldstrafen ärgert Warschau die andauernde Sperre der knapp 24 Milliarden Euro und noch einmal zwölf Milliarden Euro zinsgünstiger Kredite aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU. Die PiS wollte die Milliarden nutzen, um ihre zuletzt deutlich gesunkene Beliebtheit mit Infrastrukturmaßnahmen quer durch Polen wieder zu steigern. Doch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekräftige in der Augsburger Allgemeinen, Geld gebe es erst, wenn Polen die strittige Disziplinarkammer abschaffe - und weitere Schritte unternehme.

Einem Grundsatzurteil des EuGH vom 15. Juli zufolge muss Polen gleich etliche Gesetze ändern: etwa jenes zu einem politisch abhängigen Landesjustizrat, der polnische Richter aussucht; oder zum Disziplinarrecht, das Richtern unter anderem verbietet, sich in Fragen der Rechtsauslegung an den EuGH zu wenden; oder das so sogenannte "Maulkorbgesetz", das Strafen für Richter ermöglicht, die sich auf EU-Recht berufen.

Bisher allerdings fehlt jeder Hinweis darauf, dass Warschau nachgeben will. Im Gegenteil: PiS-Chef Kaczyński zufolge soll etwa das Oberste Gericht, wo noch Dutzende unabhängig ernannter Richter urteilen, deutlich geschwächt und in ein "kleines Gericht" verwandelt werden. Und Justizminister-Generalstaatsanwalt Ziobro bekräftigte nach dem EuGH-Zwangsgeld: "Nur die Schwachen geben Druck nach. Wir werden das Justizsystem weiter reformieren."

Kommt es so, könnte die EU-Kommission ihre Sperre der Wiederaufbaumilliarden noch lange aufrechterhalten. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki verstärkte vor diesem Hintergrund seine rhetorischen Angriffe auf EU und EuGH noch. Zuerst sagte er der Financial Times, Polen werde eine Sperre der Corona-Milliarden nicht ohne Antwort lassen. "Wenn sie den Dritten Weltkrieg beginnen, werden wir unsere Rechte mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen."

Zur Steigerung der Beliebtheit Polens in der EU trug auch das nicht bei. "Denen, die aufrührerische Interviews geben und denken, es sei notwendig, einen neuen Weltkrieg (...) zu starten, möchte ich sagen: Ihr spielt ein gefährliches Spiel", sagte Belgiens Ministerpräsident Alexander de Groo: "Unsere Union ist eine Union der Werte, kein Bankautomat. Man kann nicht das ganze Geld einstecken, aber die Werte ablehnen."

Doch Morawiecki goss am Wochenende weiter Öl ins Feuer. Der Konflikt um den Rechtstaatsabbau in Polen sei ein "eingebildetes Problem". Die EU solle die "Sprache der Erpressung ablehnen, die Ausübung von Druck und die Bestrafung desjenigen, der eine eigene Meinung hat", so Polens Regierungschef im italienischen Il Messaggero. Selbst bisher fest zur PiS stehende Anhänger scheinen indes vom Anti-EU-Kreuzzug der Regierung nicht überzeugt: Einer Umfrage des staatlichen CBOS-Institutes zufolge ist die PiS von 46 Prozent im Herbst 2019 auf nur noch 28 Prozent Zustimmung abgestürzt.

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