Plagiats-Vorwürfe gegen Bildungsministerin Schavan:Doktortitel behalten, Amt aufgeben

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Die Uni Düsseldorf ist sich sicher, dass Schvans Fehlverhalten den Entzug des Doktortitels rechtfertigt. Darüber kann man streiten - doch ihr Ministeramt sollte sie trotzdem aufgeben. (Foto: REUTERS)

Annette Schavans Doktorarbeit ist - im Vergleich zum Fall Guttenberg - nur ein Mini-Plagiat. Trotz handwerklicher Fehler sollte sie ihren Titel behalten und in der Politik bleiben dürfen. Nur eben nicht als Wissenschaftsministerin.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Plagiat ist nicht gleich Plagiat. Es gibt das Groß-Plagiat und das Pipifax-Plagiat. Der Fall Schavan liegt dazwischen. Die Ministerin hat, als sie noch sehr jung war und an ihrer Doktorarbeit bastelte, handwerkliche Fehler gemacht. Sie hat, um beim Bild des Bastelns zu bleiben, schlecht geleimt. Aber sie hat nicht, wie Guttenberg, seitenweise abgeschrieben.

Mit dem Fall Guttenberg ist der ihre nicht zu vergleichen; bei der Doktorarbeit des Ex-Verteidigungsministers (der diese nicht sehr lange vor, sondern während seiner politischen Karriere verfertigte), war mindestens sechzig Prozent der Textmasse fremdes geistiges Eigentum, das nicht oder schlecht als solches gekennzeichnet war. Das war und ist in dieser Dimension einzigartig. So einzigartig ist Schavan nicht; ihre Plagiate sind, wenn man von Plagiat reden mag, Mini-Plagiate.

Den Entzug des Doktortitels kann man daher als unverhältnismäßig bezeichnen. Ihr Rücktritt als Wissenschaftsministerin wäre gleichwohl gut und verhältnismäßig. Eine Wissenschaftsministerin, die bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit geschlampt oder geschummelt hat - das ist ja fast so, als ob der Papst sich einst seine Priesterweihe erschummelt hätte. Schavan sollte ihren Dr. phil. (neben den vier Ehrendoktortiteln, die sie hat) behalten und auch in der Politik bleiben dürfen - aber nicht als Wissenschaftsministerin.

Annette Schavan hat in ihrer Doktorarbeit unzureichend, sie hat fehlerhaft zitiert; sie hat Sekundärquellen paraphrasiert, ohne zu den Primärquellen zu stoßen; sie hat gegen handwerkliche Regeln der Wissenschaft verstoßen. Es wurde ihr deswegen vorgeworfen, dass sie "den Kern wissenschaftlichen Arbeitens" nicht beherrsche. Den Kern? Kern wissenschaftlichen Arbeitens sind nicht Gänsefüßchen; es geht darum, ob das eigene Denken Hand, Fuß und Substanz hat. Darüber wurde bei Schavans Doktorarbeit nicht oder kaum gestritten. Bei einem solchen Streit käme man auch nicht weit, in Internetforen schon gleich gar nicht.

Selbst schwere Straftaten wären nach so langer Zeit verjährt

Gleichwohl: Die handwerklichen Fehler waren schon damals Fehler und sie sind es heute auch und sie werden nicht dadurch kleiner, dass seitdem 33 Jahre vergangen sind. Schavan wurde 1980 promoviert. Damals schrieb ein Doktorand zwar noch auf einer simplen Schreibmaschine, aber diese Zeit ist deswegen nicht Spätmittelalter. Bei der wissenschaftlichen Prüfung an der Universität Düsseldorf ging es nicht darum, ob Nikolaus von Kues im Jahr 1440 in seinem Werk "Über die belehrte Unwissenheit" bei Meister Eckhart abgeschrieben hat, ohne das kenntlich zu machen. Es ging darum, ob die heutige Ministerin Schavan in heutigen Zeiten abgeschrieben hat. Die handwerklichen Regeln wissenschaftlichen Arbeitens gelten seit hundert Jahren.

Bei Mini-Plagiaten (es werden einige Sätze übernommen, aber nur einer wird zitiert; oder: es wird de facto zitiert, aber in der Fußnote schwammig "vergleiche" geschrieben) ist erst mit einer gewissen Zahl die kritische Masse erreicht. Der Prüfungsausschuss der Universität war sich gewiss, dass bei Schavans Arbeit die gewisse Masse überschritten ist. Darüber kann man streiten. Weil man darüber streiten kann, wäre es gut gewesen, einen externen Gutachter einzuschalten; zwingend notwendig war dies nicht. Zwingend notwendig war es aber auch nicht, den Doktortitel zu entziehen. Man hätte es, wie das die Universität Potsdam im Fall des niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann getan hat, bei einer Art Rüge belassen können: Seiner Arbeit wurden "Mängel von erheblichem Gewicht" attestiert, dem Schreiber aber kein "wissenschaftliches Fehlverhalten".

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Schavans Fehler sind 33 Jahre her; nach geltendem Recht verjähren sie nicht. Selbst schwere Straftaten wären aber in dieser Zeit verjährt; sämtliche zivilrechtlichen Ansprüche auch. Die längste Verjährungsfrist liegt bei dreißig Jahren; absolute Verjährungsfrist nennt man diese dreißig Jahre daher. Irgendwann soll Schluss sein, irgendwann soll Rechtsfrieden herrschen - das ist der allgemeine Rechtsgedanke, der dahintersteckt; nach spätestens dreißig Jahren eben. Danach gelten allenfalls noch die Regeln über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, wenn einer durch unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt hat.

Ist der Doktortitel Schavans eine ungerechtfertigte Bereicherung, die sie der Wissenschaft zurückgeben muss? Man soll es nicht übertreiben. Auch hier gilt es, den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten; da spielt der Zeitablauf eine Rolle. Die Universität hat das nicht beachtet; das Verwaltungsgericht, das Schavan anrufen will, wird es vielleicht tun. Annette Schavan wird trotzdem, wenn sie klug ist, zurücktreten.

© SZ vom 07.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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