Literatur:Lasst mich in Frieden

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Subjekt der literarischen Debatte 2019: Peter Handke, der dieses Jahr mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. (Foto: Alain Jocard/AFP)

Aus dem Streit um den Nobelpreis für Peter Handke lässt sich für zukünftige Debatten lernen. Für die gesellschaftspolitischen Literaturdebatten im Jahr 2020 gibt es jedenfalls schon Anzeichen.

Von Lothar Müller

In die literarischen Chroniken des Jahres 2019 werden die Sätze eingehen, mit denen der Schriftsteller Peter Handke bei einem Auftritt in seinem Heimatort Griffen in Kärnten Journalisten eine Abfuhr erteilte. Sie hatten ihm eine Reaktion auf die Kritik entlocken wollen, die sein junger Kollege Saša Stanišić an der Entscheidung der Schwedischen Akademie geäußert hatte, Handke den Nobelpreis für Literatur 2019 zu verleihen. "Ich bin ein Schriftsteller", sagte Handke, "ich komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes. Lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen."

Der Frieden wollte sich nicht einstellen, denn Handke hatte wie Homer, wie Tolstoi, wie Cervantes über den Krieg geschrieben. Homer stellte den Trojanischen Krieg im Epos dar, Cervantes ließ seine Erfahrungen in der Seeschlacht von Lepanto in den "Don Quijote" einfließen, Tolstoi den Russlandfeldzug Napoleons und die Kriege im Kaukasus in einen monumentalen historischen Roman und einige Erzählungen. Handke stellte seine Schriften über die Zerfallskriege Jugoslawiens in den Jahrtausende umfassenden Echoraum der Weltliteratur, aber den Schlüsseltext, seine "Winterliche Reise" durch Serbien im Jahr 1995, hatte er zuerst auf Zeitungspapier publiziert, als aktuelle Intervention. Die harsche Medienkritik, die darin das Misstrauen gegen die Kriegsreporter und die Forderung nach "Gerechtigkeit für Serbien" nährte, verbreitete er in der Höhle des Löwen, als in die Gegenwart eingeschlossener Zeitgenosse und Zeitungsautor.

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Dieser Zeitgenosse, der, älter geworden, auf sich selbst zurückblickt, war in der Debatte, die über ihn geführt wurde, abwesend. Er zog sich in die Unbelangbarkeit der epischen Weltliteratur zurück, in Regionen jenseits aller diskursiv-historischen Erörterung der Balkankriege, jenseits der Frage, was ihn in die Nähe des serbischen Nationalismus geführt hatte. Zur Monotonie der Debatte trug bei, dass alle anderen Nationalismen unbefragt blieben und die beliebteste Sprecherposition die der reinen Unschuld war. So wenig Handke bereit war, sich der historischen Kritik zu stellen, so wenig war die öffentliche Debatte in Deutschland insgesamt darauf ausgerichtet, für die Zeitgenossen von damals oder die jüngeren, nachgewachsenen Generationen Erinnerung an die ersten Kriege in Europa nach 1945 wachzurufen.

Die neue Patchwork-Öffentlichkeit begünstigt Empörungskaskaden

Dass Handkes Sätze über Tolstoi, Homer und Cervantes so nah an die Regionen der Sprachlosigkeit grenzten, hatte aber auch mit den Veränderungen der Öffentlichkeit seit den Neunzigerjahren zu tun. Der Homer-Nachfahre, eher im Bleistiftgebiet zu Hause, hatte keine mediale Schnittmenge mit den Tweets, die seine Sätze kommentierten, verballhornten, parodierten. Die neue Patchwork-Öffentlichkeit, in der Printmedien und audiovisuelle Medien mit den sozialen Netzwerken verzahnt sind, begünstigt nicht nur Empörungskaskaden, diskursives Pingpong und Endlosstaffelungen von Repliken, sondern auch das Ignorieren von Kanälen, auf denen man selbst nicht ist.

Das war anders, als im Jahr 1990 westdeutsche Kritiker heftige Angriffe gegen Christa Wolf richteten, als die "Staatsdichterin" der DDR. Hauptakteure waren damals noch die Printmedien, umgeben von den Resonanzräumen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Anlass war die Publikation von Christa Wolfs Novelle "Was bleibt", aber es ging nicht um Sichtung der Bestände, sondern um das Urteil über das, was gewesen war. Die 1979 verfasste Novelle handelte von der Stasi-Observierung der Autorin, und man warf ihr vor, eine Drucklegung nicht schon in der DDR angestrebt zu haben, als das noch riskant gewesen wäre. Der Literaturstreit um Christa Wolf erwies sich als Stellvertreteraktion, in der das Terrain der Literatur im wiedervereinigten Deutschland sondiert und das Ziehen historischer Bilanzen erprobt wurde.

Es gab schon Anzeichen für kommende politische Debatten

Im Herbst 2019 liefen die Erinnerungsfeiern an die friedliche Revolution des Jahres 1989 und die Handke-Debatte parallel, ohne dass die aktuellen innergesellschaftlichen Konfliktlinien davon erkennbar berührt worden wären. Dafür, dass es im Jahr 2020 Debatten geben wird, in denen die Literatur nach ihren eigenen Gesetzen zum Medium politischer Spannungen wird, gibt es erfreulicherweise Anzeichen. Ein Vorbote war im Frühjahr 2018 das Dresdner Streitgespräch zwischen Uwe Tellkamp und Durs Grünbein über das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen, den Kosmopolitismus und die Flüchtlingspolitik.

Im März wird der neue Roman von Ingo Schulze erscheinen, gebürtiger Dresdner wie Grünbein und Tellkamp. "Die rechtschaffenen Mörder" erzählt die Geschichte eines Dresdner Antiquars, spielt in jenen Bildungsregionen, in denen Tellkamp vor Jahren seinen Roman "Der Turm" angesiedelt hat, und erkundet sehr kunstvoll die verborgene Rückseite von Dresdner Bildungslegenden und Mythen der Dissidenz. Auf eine politische Formel lässt er sich nicht bringen. Und wird eben deshalb der ideale Stoff für eine literarisch-politische Debatte sein.

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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