Justinianische Pest:Himmlische Tragödie

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Der Seuchenausbruch im Jahr 542 nach Christus ließ das zerfallende Römische Reich erschaudern - bis dem Papst angeblich Erzengel Michael erschien. Rückblick auf die erste historisch dokumentierte Pandemie der Weltgeschichte.

Von Josef Schnelle

"Es begab sich aber zu jener Zeit eine Pest, die beinahe die ganze Menschheit ausgelöscht hätte." So beginnt der Bericht des Historikers und Chronisten Prokopios von Caesarea über die nach dem damaligen oströmischen Kaiser benannte Justinianische Pest, deren Ausbruch in Konstantinopel er 542 selbst miterlebt hatte.

Auch andere Zeitgenossen berichten von den verheerenden Auswirkungen einer Seuche, die sich über die gesamte mediterrane Welt ausbreitete und der manchen Darstellungen nach in kürzester Zeit fast die Hälfte der Bevölkerung des antiken Lebensraumes zum Opfer fiel.

In Konstantinopel starben nach Prokopios in den vier Monaten der dort herrschenden Pest manchmal 10 000 Menschen an einem einzigen Tag. Von den 80 Klöstern der Region überstand die Seuche kein einziges.

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Unbemannte Totenschiffe wurden angetrieben, und als auch noch starke Erdbeben und rätselhafte Flutwellen hinzukamen, breitete sich eine Endzeitstimmung aus, die im Bericht des Prokopios mehr als das Ende des "Römischen Reiches" ankündigte.

"Die Sonne, ohne Strahlkraft, leuchtete das ganze Jahr hindurch nur wie der Mond und machte den Eindruck, als ob sie fast ganz verfinstert sei. Außerdem war ihr Licht nicht rein und so wie gewöhnlich. Seitdem (...) hörte weder Krieg noch Seuche, noch sonst ein Übel auf, das den Menschen den Tod bringt."

Die Wetteranomalie könnte die Folge eines Vulkanausbruchs gewesen sein

Tatsächlich hat sich 535/536 auch eine Wetteranomalie zugetragen, die bis in die nordische Mythenwelt als "Fimbulwinter", als eiskalter Vorbote von Ragnarök, der Endzeitschlacht der Götter, widerhallt.

Die gewaltige Explosion eines Vulkans zwischen dem heutigen Sumatra und Java, wo mehr als tausend Jahre später 1883 der Krakatau explodierte, könnte die Stratosphäre verdunkelt und mehrere Jahre lang zu einer 150 Kilometer dicken Wolkenschicht und zu einem ultralangen "vulkanischen Winter" geführt haben.

Baumringe in irischen Eichen weisen auf abnormal geringes Wachstum hin, das ausgerechnet 542 - im Jahr des Höhepunkts der Seuche - noch einmal wiederkehrte. Aber auch ein Ausbruch des Ilopango in El Salvador oder gar ein möglicher gleichzeitiger Ausbruch beider Vulkane könnte diese Wetteranomalie mit Missernten und Hungerkatastrophen verursacht haben.

Dabei hatte alles so gut begonnen, als der mazedonische Bauernsohn Justinian 527 den oströmischen Thron bestieg. Der laut Überlieferung unermüdlich tätige, "schlaflose Kaiser" fasste das unübersichtliche römische Recht zu einem "Corpus Iuris" zusammen und begann mit einer Serie von Feldzügen gegen die persischen Sassaniden, gegen die Vandalen in Nordafrika und die Ostgoten in Italien; Teile des dem Untergang geweihten weströmischen Reiches konnte er zeitweise zurückerobern.

Mit der Hagia Sophia ließ er die damals gewaltigste Kirche der Welt errichten und galt lange als bedeutendster Herrscher der Spätantike. Auch für Prokopius, der allerdings später in seiner Geheimgeschichte "Anekdota" Justinian I. als skrupellosen Gewaltherrscher, als "Dämon in Menschengestalt" anklagen sollte.

Bei den Kriegszügen des Kaisers war Prokopius von Caesarea - als "vir spectabilis" ein anerkannter Begleiter des Feldherrn Belisar - dabei und dokumentierte sie in einer ausführlichen Chronik.

Deswegen ist die Justinianische Pest auch die erste historisch dokumentierte Pandemie der Weltgeschichte. Darüber, wie sich diese jedoch im einzelnen zugetragen hat und was der Erreger war, herrscht bis heute Unklarheit.

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Dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Yersinia Pestis, um die Lungen- und Beulenpest handelte, wurde erst 2013 anhand von Skeletten aus dem 6. Jahrhundert in Aschheim bei München endgültig nachgewiesen.

Bis nach Britannien muss der Erreger, der an 21 Fundstellen in ganz Europa Spuren hinterlassen hat, gelangt sein. Auch das wurde erst 2019 nachgewiesen. Über die Auswirkungen der Krise hat der Kulturhistoriker Kyle Harper erst kürzlich eine lesenswerte Studie mit dem Titel "Fatum" veröffentlicht, worin er allerdings die bis heute vollkommen ungeklärte sogenannte "Antoninische Pest", der angeblich 180 n. Chr. auch Marc Aurel zum Opfer gefallen ist, fast gleichrangig behandelt.

Es liegt aber auch zu nahe, in den antiken Epidemien den sich ankündigenden historischen Untergang des fast tausendjährigen Römischen Reiches zu vermuten. Nicht ohne Grund ist ausgerechnet die Engelsburg in Rom das Grabmal Marc Aurels und anderer Kaiser der Endzeit Westroms.

Kündigen Seuchen, Erdbeben und Wetterkatastrophen stets den Untergang bedeutsamer politischer Weltreiche an? Erzengel Michael, der Anführer der himmlischen Heerscharen, so sagt die Legende, erschien Papst Gregor dem Großen über der Engelsburg mit weit ausgebreiteten Schwingen und gezogenem Schwert und versprach, die inzwischen in Rom angekommene Pest endgültig zu besiegen.

Daran und an das tatsächliche Ende der Epidemie um 590 erinnert noch heute eine bronzene Statue auf der Terrazzo dell' Angelo, dem höchsten zugänglichen Punkt des monumentalen Gebäudes über der ewigen Stadt. Die dort thronende Statue schuf der flämische Bildhauer Peter Anton von Verschaffelt im Jahr 1752 und löste damit einige Vorgängermonumente an gleicher Stelle ab.

Dieser Hl. Michael scheint sein Schwert mit voller Kraft in die Scheide zurückrammen zu wollen: Schließlich sollte die Darstellung auch damals neue Hoffnung geben für den Sieg gegen ein Menschheitstrauma. Und das ist in den Zeiten der Corona-Pandemie so aktuell wie ehedem. Jede Seuche endet schließlich irgendwann und führt zur Neubewertung dessen, was vorher war.

© SZ vom 04.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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