Norderstedt:Personeller Neustart der Nord-SPD: Midyatli neue Vorsitzende

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Norderstedt (dpa/lno) - Erstmals steht eine Frau an der Spitze der schleswig-holsteinischen SPD: Die Landtagsabgeordnete Serpil Midyatli wurde am Samstag auf einem Landesparteitag in Norderstedt mit fast 90,1 Prozent zur Nachfolgerin von Ralf Stegner gewählt, der nach zwölf Jahren Amtszeit nicht mehr kandidiert hatte. Die 43-Jährige sprach von einem großartigen Ergebnis, von einem Vertrauensvorschuss. Sie bekannte sich zum langjährigen Linkskurs des Landesverbandes: "Links, dickschädelig und frei - daran soll sich auch mit mir an der Spitze nichts ändern."

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Norderstedt (dpa/lno) - Erstmals steht eine Frau an der Spitze der schleswig-holsteinischen SPD: Die Landtagsabgeordnete Serpil Midyatli wurde am Samstag auf einem Landesparteitag in Norderstedt mit fast 90,1 Prozent zur Nachfolgerin von Ralf Stegner gewählt, der nach zwölf Jahren Amtszeit nicht mehr kandidiert hatte. Die 43-Jährige sprach von einem großartigen Ergebnis, von einem Vertrauensvorschuss. Sie bekannte sich zum langjährigen Linkskurs des Landesverbandes: „Links, dickschädelig und frei - daran soll sich auch mit mir an der Spitze nichts ändern.“

Nur so ließen sich mehr Solidarität und Gerechtigkeit in der Gesellschaft durchsetzen, sagte die gebürtige Kielerin mit türkischen Wurzeln. Notwendig sei eine neue Diskussion zur Reform des Bodenrechts mit einer angemessenen Besteuerung. Eigentum verpflichte und sei nicht dazu da, sich auf Kosten anderer zu bereichern. Sie bekräftigte die SPD-Forderung nach einer Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Und sie kritisierte die Jamaika-Koalition, die Schleswig-Holstein vom Energiewendeland Nummer eins zum Energiebremsland Nummer eins gemacht habe. Ihr erstes Ziel sei ein gutes SPD-Ergebnis bei der wichtigen Europawahl Ende Mai.

Als zentrale Aufgabe nannte Midyatli, dass die SPD wieder Vertrauen bei den Menschen gewinnen müsse - mit Lösungen und klaren politischen Haltungen, die von den Menschen angenommen werden. „Die Themen liegen auf der Straße“, sagte Midyatli und nannte bezahlbaren Wohnraum, Mobilität und den Fachkräftebedarf. Midyatli kündigte an, Querdenker, Vordenker und Nachdenker einbinden zu wollen.

Midyatli kündigte an, eine „Denkfabrik“ in der Partei zu gründen, ein Team von acht bis zehn Menschen. Sie sollten dafür Sorge tragen, dass die Debatten in der Partei näher an den Menschen seien. Wichtig dabei sei, über den Tellerrand zu blicken: „Wir stellen den Menschen in den Mittelpunkt unserer „Denkfabrik“. Pflege, Umwelt, bezahlbares Wohnen - „unser Wahlprogramm wird Flügel bekommen“, sagte Midyatli.

Die Zusammenarbeit mit Stegner, der weiterhin Landtagsfraktionschef bleiben will, sei bisher gut gewesen und werde auch in Zukunft in neuen Rollen unproblematisch sein, sagte Midyatli. Journalisten-Fragen, ob sie vielleicht doch noch im Sommer als Fraktionschefin gegen Stegner kandidieren wolle und als SPD-Landtagsspitzenkandidatin für die Landtagswahl 2022 zur Verfügung stehe, wich Midyatli aus. Sie freue sich über ihre heutige Wahl.

„Ich bitte euch um eure Herzen, eure Köpfe, eure Kraft und euer Vertrauen. Ich stehe hier, ich kann nicht anders“, beendete Midyatli ihre Bewerbungsrede - und erhielt anderthalb Minuten Standing Ovations. Stegner erhielt zuvor für seine Abschiedsrede sogar mehr als vier Minuten Beifall - die Delegierten erhoben sich und klatschten rhythmisch. Stegner nahm seine Brille ab und wischte sich die Augen.

In seiner programmatischen wie persönlichen Rede rief Stegner zur Zukunftsgestaltung einer sozialen und gerechten Gesellschaft auf. „Die Nord-SPD bleibt der Gerechtigkeitsmotor der Partei“, sagte Stegner. Die Partei sei zweifellos in einer Krise, die Menschen schenkten ihr aktuell kein Vertrauen mehr. Der SPD komme jedoch die Aufgabe zu, den industriepolitischen, ökologischen Wandel sozial gerecht zu gestalten. Er habe die Partei im Norden zwölf Jahre „mit Herzblut und Leidenschaft“ geführt, es sei ihm eine Ehre gewesen. Stegner entschuldigte sich bei jenen, die er falsch beurteilt habe.

Auch Stegner bekannte sich ausdrücklich zum Linkskurs. Er forderte eine angemessene Besteuerung von Erbschaften und Vermögen. Es sei eine Schieflage wenn fünf Prozent der Bevölkerung rund 95 des Reichtums besäßen, erklärte er. Die SPD solle nicht verzagen und mit Zuversicht die Zukunft gestalten: „Das Herz schlägt links.“

Auf Twitter hatte Stegner am Samstagmorgen schon vor dem Parteitag klargemacht, dass der Verzicht auf den Landesvorsitz nicht das Ende seiner politischen Karriere bedeute: „Für die Freunde gilt und für die Gegner erst recht: Rückzug ist nicht“, twitterte der 59-Jährige. „Als Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer im Landtag und als stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD habe ich noch einiges vor.“ Er werde erneut für den Posten des SPD-Bundesvize kandidieren, sagte Stegner auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur. Die Wahlen zum SPD-Bundesvorstand sind noch in diesem Jahr geplant.

Die ebenfalls aus dem Amt geschiedene Landesvorsitzende Bettina Hagedorn würdigte Stegners große Verdienste als Landesvorsitzender. Er sei oft falsch verstanden worden. „Du bist nicht der politische Rambo“, sagte Hagedorn. Für Stegner gelte der Satz „Harte Schale, weicher Kern“. Anders wäre sein leidenschaftliches sozialpolitisches Engagement für eine gerechtere Gesellschaft gar nicht möglich.

Die mehr als 200 Delegierten wählten am Samstag den elfköpfigen Landesvorstand fast komplett neu. Neue Vize-Vorsitzende im Land sind der Bundestagsabgeordnete Sönke Rix und die Juso-Landesvorsitzende Sophia Schiebe. Beide hatten keine Gegenkandidaten.

Inhaltlich standen auf dem zweitägigen Programm des Parteitags Anträge unter anderem zur Parteireform, den Sozialstaat betreffend sowie den Klimaschutz, Waffenexporte und die Europawahl Ende Mai.

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