Pakistan:Der Feind im eigenen Land

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Pakistanische Rettungskräfte versorgen Verletzte, nachdem sich am Donnerstag ein Selbstmordattentäter in Lahore in die Luft gesprengt hatte. (Foto: Arif Ali/AFP)

Die Taliban töten bei einem Anschlag in Pakistan mindestens zehn Menschen. Afghanistan ist bemüht, die Islamisten in den politischen Prozess einzubinden.

Von Arne Perras und Tobias Matern, Islamabad/München

Längere Zeit war es eher ruhig in den großen Städten Pakistans, doch jetzt haben sich die pakistanischen Taliban zurückgemeldet: Ein Selbstmordattentäter sprengte sich am Donnerstag vor einem Polizeicheckpoint in der Stadt Lahore in die Luft, zehn Menschen starben, Dutzende weitere wurden verletzt. Nicht weit vom Tatort entfernt hatten sich Tausende Muslime zu einer religiösen Versammlung eingefunden. Sie gehören zur sunnitischen Bewegung Tablighi Jamaat, einer konservativen islamischen Strömung, die sich als unpolitisch versteht und für sich beansprucht, Militanz abzulehnen. Der Attentäter war nach Angaben des Polizeichefs ein Teenager und kam auf einem Motorrad, um den Kontrollpunkt zu passieren. Beim Versuch ihn zu stoppen, zündete er den Sprengsatz. Ermittler untersuchen Hinweise, wonach drei Komplizen entkommen konnten.

Zu dem Anschlag bekannte sich die Terrorgruppe Tehreek-i-Taliban (TTP), die Pakistan in einen ultra-religiösen Staat verwandeln will und seit Jahren als eine der größten Bedrohungen im Land gilt. Religiös-ideologisch stehen sie den afghanischen Taliban nahe, es gibt Kontakte, doch unter dem Schirm der TTP vereinigen sich Kämpfer, die auf das pakistanische Establishment zielen. Die Armee bekämpft die Terroristen vor allem im bergigen Grenzgebiet zu Afghanistan, sodass sich deren Führer immer wieder ins Nachbarland zurückziehen müssen.

Die USA haben ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar auf den TTP-Führer Mullah Fazlullah ausgesetzt, dessen Sohn und mehr als 20 andere Kämpfer kürzlich bei einem mutmaßlichen Drohnenangriff der US-Streitkräfte auf afghanischer Seite getötet worden waren. Der Terrorchef wird für zahlreiche Anschläge verantwortlich gemacht, auch jenen auf die pakistanische Schülerin Malala Yousafzai aus dem Swat-Tal, die überlebte und später den Friedensnobelpreis verliehen bekam.

Die stets komplizierten Beziehungen zwischen den USA und Pakistan sind zur Zeit besonders angespannt, nachdem US-Präsident Trump vor einigen Wochen angekündigt hatte, US-Militärhilfe in dreistelliger Millionenhöhe zu streichen, weil Pakistan angeblich nicht entschlossen genug gegen jene Terrornetzwerke vorgehe, die das Nachbarland Afghanistan destabilisierten. Der frühere Luftwaffengeneral Shahid Latif, der häufig im pakistanischen Fernsehen als strategischer Analyst auftritt, sagte der Süddeutschen Zeitung, dass die USA den Einsatz seines Landes gegen den Terror nicht genügend würdigten: "Kein anderes Land hat so große Verluste durch den Terror erlitten wie Pakistan, mit 75 000 bis 80 000 Toten." Der frühere Kampfpilot betonte, Pakistan tue sein "Bestes, um unsere alten Kontakte mit den Taliban für Friedensgespräche zu nutzen". Latif versicherte mit Blick auf mögliche Verhandlungen im benachbarten Afghanistan: "Die Taliban müssen in den Mainstream gebracht werden." Das sei allerdings nicht so einfach, auch deshalb, weil die USA den Eindruck erweckten, sie wollten Afghanistan auf absehbare Zeit nicht verlassen.

Taliban-Führer pochten bislang darauf, dass amerikanische Truppen zuerst das Land verlassen müssten, bevor sie einem Frieden zustimmen könnten. Ob sie sich mit einer US-Präsenz arrangieren, ist unklar. Latif glaubt, auch Washington müsse sich bewegen. "Die USA müssen ihre Afghanistanstrategie dringend überdenken, um Friedensgespräche zu befördern."

In Afghanistan ist der Präsident bemüht, die Islamisten in den politischen Prozess einzubinden

Afghanistans Präsident Ashraf Ghani hatte den Taliban jüngst die Hand weit ausgestreckt und schon vor möglichen Verhandlungen zahlreiche Konzessionen gemacht. Nach dem Willen des Staatschefs sollten die Islamisten die Waffen niederlegen und im Gegenzug in den politischen Prozess eingebunden werden. Ghani schlug vor, dass sich die Taliban an Wahlen beteiligen, auch zeigte er sich bereit, mit den Aufständischen über die Verfassung zu sprechen. Diese war unter Hilfe des Westens nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 entstanden. Die Extremisten haben die Verfassung immer wieder als "unislamisch" tituliert, es dürfte ihnen vor allem um die Rolle der Frau gehen, die laut afghanischer Verfassung mit Männern gleichgestellt sind - auch wenn das im Alltag noch längst nicht der Fall ist. Während des düsteren Taliban-Regimes in den Jahren 1996-2001 waren Frauen aus dem öffentlichen Leben Afghanistans verbannt. Ghani will, dass die Taliban eine Vertretung in Kabul eröffnen, eine Anlaufstelle, die ein Ausgangspunkt für Verhandlungen sein soll.

Nicht nur aus Sicht Kabuls ist es entscheidend, wie sich Pakistans Militär-Establishment im Afghanistankonflikt positioniert. Islamabad will ein gewichtiges Wort mitreden bei der Nachkriegsordnung am Hindukusch. Die Ghani-Regierung ist aber nach wie vor davon überzeugt, dass Vertreter des pakistanischen Militärs ihre Kontakte zu den Taliban nutzen - allerdings nicht etwa, um den Friedensprozess in Kabul zu fördern, sondern um ihn zu unterlaufen.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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