Pädagogik:Tierisch gelassene Eltern

Lesezeit: 2 min

"Wenn es zu riskant beim Klettern wird, schnappt sie sie an der Nackenfalte und schleppt sie weg." (Foto: dpa)

Ein neuer Erziehungsstil aus den USA nimmt Pandas zum Vorbild.

Von Mareen Linnartz

Ja, Pandabären sind besondere Tiere. Sie sind unfassbar süß mit ihren Kulleraugen und tapsigen Bewegungen. Es gibt weltweit nur noch knapp 2000 von ihnen, was zumindest in Teilen auch an der Fortpflanzung liegt, die ist kompliziert. Nur wenige Tage im Jahr ist das Weibchen fruchtbar und sehr wählerisch mit einem passenden Männchen, sodass in chinesischen Aufzuchtstationen Forscher zur Stimulation schon mal Panda-Pornos abspielten.

Die große Frage war also bislang eher, wie aus den eigensinnigen Bären überhaupt eine Bären-Familie entstehen kann, und weniger, wie ein Bären-Familienleben aussieht. Dank Esther Wojcicki könnte sich das ändern. Die amerikanische Pädagogin hat einen viel beachteten Ratgeber geschrieben, der demnächst auf Deutsch unter dem Titel "Panda Mama. Wie man glückliche und selbstbewusste Kinder großzieht" erscheint. Die Aufmerksamkeit erklärt sich zum einen durch die 78-Jährige selbst: Sie hat drei sehr erfolgreiche Töchter - Susan ist CEO von Youtube, Anne CEO einer Biotechnologiefirma, Janet Professorin für Medizin - und sie tritt für einen Erziehungsstil ein, der in den USA, wo Eltern, die ihre Kinder alleine auf den Spielplatz gehen lassen, angezeigt werden können, eine Provokation ist. Eine "Panda-Mama" ist nach Wojcicki eine "liebevolle Mutter, die weiß, dass Scheitern zum Lernen dazugehört und Loslassen über den Erfolg ihrer Kinder entscheidet". Zum Loslassen ihrer Töchter gehörte unter anderem, sie im Kindergartenalter alleine schwimmen und einkaufen gehen zu lassen. Wojcicki liebt Ermutigung und verabscheut Erwartungsdruck: "Ihr Kind ist nicht Ihr Klon!"

Wahnsinnig revolutionär ist das nicht, aber da die Gattung Mensch vor allem in der westlichen Zivilisation beständig darum ringt, wie eine artgerechte Aufzucht ihrer Kinder aussehen könnte und regalmeterweise Ratgeber jedes Jahr erscheinen, auch wiederum folgerichtig. War nicht noch gerade die "Tiger Mom" Amy Chua das Vorbild für Eltern? Zumindest derjenigen, die mindestens so erfolgreiche Kinder wie Wojcicki haben wollten? Amy Chua, Yale-Professorin, drohte ihrer Tochter, ihre Kuscheltiere zu verbrennen, wenn sie nicht Klavier übe. Ohne Druck erreiche man nichts. Die Kinder von Tiger-Müttern, schreibt die Panda-Mutter Wojcicki nun, schafften "außerordentliche Dinge. Allerdings nicht aus eigener Motivation, sondern hauptsächlich aus Furcht, ihre Eltern zu enttäuschen". Die Anleihen aus der Tierwelt könnten so gesehen ein ganz neues Erziehungsratgebergenre entstehen lassen: Erziehen wie die Pinguine (gleichberechtigte Eltern) oder nach Pfauenart (immer im Mittelpunkt wie die Kardashians).

Essen, schlafen, ein bisschen rumtapsen - sind Panda-Mütter in Wirklichkeit nicht vor allem faule Mütter? Anruf bei Eveline Dungl vom Wiener Tiergarten Schönbrunn, wo die Panda-Dame und fünffache Mutter Yang Yang lebt. "Sie sind energiesparend, weil sie über den Bambus, den sie essen, wenig Energie bekommen." Yang Yangs Erziehungsstil beschreibt sie ganz im Sinne von Pädagogin Esther Wojcicki: "Entspannt, sehr gelassen. Hat aber die Jungtiere im Auge. Wenn es zu riskant beim Klettern wird, schnappt sie sie an der Nackenfalte und schleppt sie weg."

© SZ vom 02.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: