Die Ära Kurz (Teil 5):Zu dumm

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Wenige Tage nach der Schredder-Aktion wird Kurz in einem Misstrauensvotum als Kanzler abgewählt. (Foto: dpa)

Nach der Ibiza-Affäre lässt ein Mitarbeiter von Kanzler Kurz fünf Festplatten vernichten. Analog. Im Schredder. Das kann nicht gut gehen. Teil fünf der SZ-Serie "Die Ära Kurz".

Von Leila Al-Serori, Oliver Das Gupta, Peter Münch, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer

Wir blicken auf die Karriere von Sebastian Kurz - mit Originaltexten von 2013 bis heute. Lesen Sie hier Teil fünf der SZ-Serie "Die Ära Kurz", mit einem Text, der am 24. Juli 2019 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist.

Der mysteriöse Besucher, der nur ein paar Tage nach der Aufdeckung der Ibiza-Affäre in einem österreichischen Aktenentsorgungsbetrieb mit dem Namen "Reisswolf" auftaucht, will ganz sicher sein: Fünf Festplatten lässt er schreddern, erst einmal, dann noch einmal und schließlich ein drittes Mal. Er will nicht nur dabei zusehen, sicher ist sicher, sondern die pulverisierten Reste auch wieder mitnehmen.

Und so steht der stämmige junge Mann an einem Donnerstag Mitte Mai um 11.05 Uhr vor einer Schreddermaschine und überwacht die Zerstörung der Datenträger. In die Besucherliste trägt er den Namen "Walter Maisinger" ein, in einem Formular nennt er auch eine zum Namen passende E-Mail-Adresse - und in die Rubrik "Firma" schreibt der Mann: "privat".

Nichts davon stimmt.

Der Mann, der in der Woche nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen die FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus so unbedingt Daten vernichten will, heißt in Wahrheit Arno M. - und er ist nach eigenen Angaben der Social-Media-Chef im Kanzleramt unter Sebastian Kurz: jenem ÖVP-Kanzler, der knapp anderthalb Jahre lang mit Strache Österreich regiert hat. Das belegt eine Recherche anhand von Dokumenten und Videos, die der Wiener Wochenzeitung Falter zugespielt wurden, und die die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel einsehen konnten.

Das Video zeigt den Mann, wie er beim Schreddern zusieht. Er sei extrem nervös gewesen, sagten Mitarbeiter der Aktenvernichtungsfirma der Polizei. (Foto: Falter)

Ein Kanzlermitarbeiter, der unter falschem Namen Festplatten vernichten lässt, Festplatten aus dem Bundeskanzleramt, wie sich herausstellen wird - in der Woche nach dem größten Polit-Skandal des Landes seit vielen Jahrzehnten? Die Fragezeichen lassen sich kaum zählen, die dieser Vorfall aufwirft.

Aufgeflogen ist die Sache wegen einer unbezahlten Rechnung von 76 Euro und 45 Cent, und wegen des Unwillens der Firma Reisswolf, es dabei zu belassen. Also suchte ein Reisswolf-Mitarbeiter sich die angegebene Telefonnummer heraus - unter der sich aber eben nicht Walter Maisinger meldete, sondern jener Arno M. Der Mitarbeiter des Bundeskanzleramts.

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft, genau genommen jene Einheit, die sich auch mit der Ibiza-Affäre beschäftigt. Sie prüft, ob hier womöglich Beweismittel vernichtet wurden. Sie hat den Mitarbeiter, der heute in der ÖVP-Zentrale arbeitet, vernommen. Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hat eine interne Untersuchung angeordnet. Die Ibiza-Affäre ist damit um eine Volte reicher.

Nachdem der Vorfall am Wochenende von der Zeitung Kurier öffentlich gemacht worden war, winkte Bundeskanzler a. D. Sebastian Kurz am Montag ab: Das Ganze sei ein "ganz üblicher Vorgang", bei einem Regierungswechsel würden Laptops und Handys zurückgegeben. Bei dem Geschredderten soll es sich angeblich um die Festplatte eines Druckerservers gehandelt haben. Und der sei eben gelöscht worden. Alles ganz normal. Oder?

Die Dokumente, interne Unterlagen und Videos, lassen daran zweifeln. Auch der Chef der Aktenvernichtungsfirma erklärte, das Verhalten sei "absolut unüblich" gewesen. Zunächst einmal war es eben nicht, wie von der ÖVP suggeriert, nur eine Festplatte, die geschreddert wurde, sondern es waren fünf Stück.

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Der Mitarbeiter des Kanzleramts trug die Seriennummern der Platten im Rahmen der Zerstöraktion in dem Aktenvernichtungsbetrieb auch in ein Formular ein. Die Nummern - etwa die Y5GTCZ92T - geben Aufschluss über die Herkunft der Platten. Sie werden in Druckern verbaut, aber laut IT-Experten auch in Toshiba-Notebooks. Das Kanzleramt in Wien wollte sich auf Anfrage "aufgrund laufender Ermittlungen" nicht weiter dazu äußern.

Am Ende sind nur noch Späne übrig. Der Mitarbeiter bekommt sie in einer Schachtel überreicht

Den Mitarbeitern des Aktenvernichtungsbetriebs war auch aufgefallen, dass der vollbärtige Mann extrem nervös gewesen sei, erklärten sie später der Polizei. Zwar sei es nicht ungewöhnlich, dass Kunden Festplatten eigenhändig zerstören wollen. Solche Kunden werfen die Festplatten dann in einen riesigen Trichter, und bald rieselt auf einem Förderband das Festplattengranulat heraus. Damit ist es dann aber auch getan. Nicht so bei dem Mann, der sich Walter Maisinger nannte. Auf einem Überwachungsvideo, das die SZ einsehen konnte, ist zu sehen, wie die Metallteile von den zerstörten Festplatten noch einmal in den großen Trichter der Maschine geworfen werden. Und noch einmal. Am Ende kehrt ein Mitarbeiter der Firma die Metallspäne zusammen und überreicht sie dem Kurz-Vertrauten in einer Schachtel. Der Vorgang sei sogar so verdächtig gewesen, dass die Mitarbeiter des Entsorgungsbetriebes ein Protokoll anfertigten. "Kunde bei Vernichtung anwesend, geschredderte Festplatten wieder mitgenommen (Material wurde gesamt 3x geschreddert)", heißt es darin. Zu all diesen Sonderlichkeiten kommt schließlich hinzu, dass der Mann einen falschen Namen wählte.

Nur wenige Tage nach der Schredder-Aktion wird Kurz in einem Misstrauensvotum als Kanzler abgewählt. Seine Abschiedsrede überträgt das Fernsehen - auch einige Mitarbeiter des Aktenvernichtungsunternehmens Reisswolf sehen zu. Zu dieser Zeit rätseln sie noch, wer wohl der geheimnisvolle Besucher gewesen sein mag. Dann erkennen sie hinter Kurz den stämmigen jungen Mann mit Vollbart: Walter Maisinger, also Arno M. Der Mann, der zum mehrmaligen Schreddern vorbeigekommen war und der sie am Ende auf der Rechnung sitzen ließ. Das wollen die Reisswolf-Leute nicht auf sich sitzen lassen, und so rätselt Österreich nun, was auf den geheimnisvollen Festplatten gewesen sein mag.

Diese Seite Drei ist zuerst am 24. Juli 2019 in der Süddeutschen Zeitung erschienen. In der Serie "Die Ära Kurz" blicken wir auf die Karriere von Sebastian Kurz - mit Originaltexten von 2013 bis heute.

Lesen Sie hier Teil 1.

Lesen Sie hier Teil 2.

Lesen Sie hier Teil 3.

Lesen Sie hier Teil 4.

© SZ vom 24.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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