Als dann noch die Jahreszahlen durch die Gegend schwirrten, wurde es fast ein bisserl frech. Ein Metallgitter trennt im Wiener Ernst-Happel-Stadion die heimischen von den angereisten, in diesem Fall deutschen Journalisten, die am Dienstagabend nach dem Länderspiel in den Katakomben auf Gespräche mit den Spielern warteten. Nur: So ein Gitter ist natürlich keineswegs schalldicht, weshalb sich die Unterhaltungen auf der jeweils anderen Seite bestens verfolgen lassen. Und weil's so schön war, trug einer der Sportreporter aus Österreich lautstark seine Rechercheergebnisse vor: "Zum ersten Mal seit 1931 zweimal hintereinander gegen Deutschland gewonnen" habe das Nationalteam, hieß es. Eine Aussage, die Spuren von Nationalstolz enthielt.
Kostenlos abonnieren:SZ Österreich-Newsletter
Was ist los in Österreich? Alles zu Österreich in der SZ. Jeden Freitag per Newsletter. Gleich kostenlos anmelden.
Ein 2:0 gegen den schwarz-rot-goldenen Rivalen beflügelt die österreichische Volksseele merklich, das war selbst unter den sonst wunderbar kritischen Journalisten spürbar. Weiteres Indiz dafür: die anschließende Bemerkung eines weiteren Kollegen, dass man beim letzten Spiel - 2018 in Klagenfurt - ja noch den amtierenden Weltmeister Deutschland geschlagen hatte, nicht eine fußballerisch so am Boden liegende Nation wie nun am Dienstag. Damma ned übertreiben, gö?
Österreich ist ein unterschätzt fußballkulturelles Land, daher stehen so ein Spiel und seine Rezeption für ein bisserl mehr. Im Falle des Länderspiels etwa konnte man anhand überlegener 90 Minuten und der folgenden Sprüche eine kleine Lektion über selektive Geschichtswahrnehmung bekommen; eine Paradedisziplin des Landes. Der Vergleich mit 1931 war schnell ausgegraben, verzichtet wurde freilich auf die Rückschau in die Zeit zwischen 1994 und 2018, in der neun Spiele in Folge verloren gingen, eines davon tragisch bei der Heim-EM 2008.
Österreichs Nationalmannschaft gegen DFB:Der Professor lädt zum Klassentreffen
Austro-Pop in der Kabine, guter Fußball auf dem Rasen: Die österreichischen Fußballer spielen miteinander, vor allem aber füreinander. Das liegt auch an Trainer Ralf Rangnick, der Lösungen innerhalb der Limitierungen findet.
Erinnern, relativieren, analysieren, das alles sind Tugenden, die in Österreich beim Publikum im Erfolgsfall schnell verloren gehen. Oder erinnern Sie sich noch an die vergangene Skisaison, in der kein Österreicher bei einem Slalom auf dem Podest stand? Keineswegs, nach dem Dreifachsieg zum Auftakt am vergangenen Wochenende.
Während die deutschen Nachbarn ihre Niederlagen mit kühler Akribie analysieren, können die Österreicher ihre Versager innerhalb von Stunden zu Helden werden lassen und dann genauso schnell wieder zu Versagern. Mindestens genauso authentisch und emotional wie die Italiener geht da ein Land mit seinen Sportlern um. Sportfans leben nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft, sondern ganz einfach im Präsens - live dabei am Colour-TV , wie Rainhard Fendrich das einst treffend beschrieb.
Und manchmal hat das einen geschichtsvergessenden Nebeneffekt: Wer in den österreichischen Medien derzeit konsequent nur die Sportseiten liest, lebt in einer fast schon dystopisch glückseligen Heimat.
Diese Kolumne erscheint auch im Österreich-Newsletter, der die Berichterstattung der SZ zu Österreich bündelt. Gleich kostenlos anmelden .