Österreich:Heilsame Sachlichkeit

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Österreichs Kanzlerin Brigitte Bierlein im Oktober beim EU-Gipfel in Brüssel. (Foto: Piroschka Van De Wouw/Reuters)

Übergangs-Kanzlerin Brigitte Bierlein und ihr Expertenkabinett haben sich nach der Ibiza-Affäre auf unpathetische Weise um das Land verdient gemacht. Die neue Regierung sollte sich ein Beispiel daran nehmen.

Kommentar von Peter Münch

Brigitte Bierlein sehnt sich nach Ruhe. Österreichs erste Bundeskanzlerin, die nach nunmehr sieben Monaten im Amt mehr ist als eine Übergangskanzlerin, zeigt inzwischen auch öffentlich eine gewisse Ungeduld angesichts der überdurchschnittlich langen Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP und den Grünen. Sie will ihr Amt baldmöglichst wieder an einen gewählten Regierungschef abgeben. Doch wenn man die Österreicher fragt, dann dürfte sie durchaus auch noch länger bleiben. Denn Bierlein und ihr Expertenkabinett haben sich nicht nur Respekt verschafft. Sie haben sich auf ganz unpathetische Art verdient gemacht ums Land.

Der größte Erfolg liegt darin, dass sie nach dem Ibiza-Skandal wieder Ruhe in den politischen Betrieb gebracht haben. Wer Heinz-Christian Straches verlotterten Auftritt auf den Balearen gesehen und danach den Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen gehört hat mit dem Satz "So sind wir nicht", der brauchte dafür erst einmal einen Beweis - und den haben die frühere Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs und ihre Beamten-Minister geliefert. Die neue Sachlichkeit war heilsam für Österreich.

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Obendrein wurde die Zeit des Interregnums auch genutzt, um ein paar fragwürdige bis irrwitzige Projekte der gescheiterten rechten Regierung aus ÖVP und FPÖ abzuräumen. So hat das Parlament endlich das zuvor von den Freiheitlichen verhinderte Rauchverbot in der Gastronomie durchgesetzt. Der Innenminister war so frei, die Planungen für eine berittene Polizei zu stoppen, mit der sein Vorgänger Herbert Kickl kleinkarierte Kavallerieträume ausleben wollte. Schließlich erklärten auch noch die Verfassungsrichter zwei Leuchtturmprojekte der türkis-blauen Regierung für teils verfassungswidrig: das stramme Überwachungspaket und die Reform der Mindestsicherung, die darauf abzielte, Ausländer schlechter zu stellen.

Unter dem Strich ist das keine schlechte Bilanz für eine Periode des Übergangs und für eine Regierung, die sich selbst ein hohes Maß an Zurückhaltung auferlegt hat. "Verwalten statt gestalten", lautet ihr Mantra. Inzwischen allerdings werden zunehmend auch die Grenzen dieses Regierens deutlich: Es zeichnet sich ein Entscheidungsstau ab, der nach politischen Lösungen verlangt - in der Verteidigungspolitik zum Beispiel, wo der Übergangsminister aufgrund fehlender Finanzierung den Notstand ausgerufen hat; oder auch im Justizwesen, das mangels Mittel laut Ressortchef einen "stillen Tod stirbt". Bei allem Lob gibt es also keinen Grund zur Mystifizierung der Übergangsregierung. Alles hat seine Zeit, und jetzt wird es Zeit, dass Österreich wieder regiert statt verwaltet wird.

Zu hoffen allerdings ist, dass die neue Regierung das Erbe der Übergangszeit in Ehren halten und ihre Lehren daraus ziehen wird. Das Kabinett Bierlein hat in manchem erfolgreich Neuland betreten: mit einem paritätisch mit Männern und Frauen besetzten Kabinett etwa, mit umsichtiger Sparsamkeit oder bei der Besetzung von Posten nach Qualifikation statt nach Parteibuch. So haben es die Österreicher genossen, dass Politik plötzlich nicht mehr als Kampfsport oder Intrigenspiel betrieben wurde, sondern dass ein anderer Politikstil möglich ist. Daran wird sich von nun an jede neue Regierung messen lassen müssen.

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© SZ vom 28.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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