Österreich:Doktor Schmalspur

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Doktortitelhuberei ist in Österreich weit verbreitet. Manch einer hat aber gar keinen Titel. (Foto: imago/blickwinkel)

In Tirol ging der Chef der Zillertalbahn mit einer Dissertation hausieren, die er nie gemacht hatte. Über Titelhuberei und Trittbrettfahrer in Österreich.

Von Dominik Prantl

Vor einigen Jahren erzählte mir ein in Österreich tätiger und im Grunde eher bescheidener Kollege, er habe sich von seinem deutschen Arbeitgeber Visitenkarten drucken lassen. Da sei all das übliche Visitenkartenzeugs draufgestanden, also Name und Funktion und Kontaktdaten. Nach einiger Zeit forderte der Kollege bei seinem Unternehmen allerdings trotzdem neue Karten an - auf denen auch sein akademischer Titel ausgewiesen sein sollte. Begründung: "Sonst nimmt mich hier in Österreich doch keiner ernst."

In den vergangenen Tagen musste ich mal wieder an diese Anekdote über den Hang zur Bildungs-, nein: Titelhuberei in Österreich denken. Denn der Technik-Vorstand der Zillertalbahn, Helmut Schreiner, trug seit September 2019 bei offiziellen Auftritten und im Unternehmen offenbar einen Doktortitel zur Schau, den er nie erworben hatte. Dies ergaben Recherchen der Tiroler Tageszeitung. Demnach wollte sich der Chef der regionalen Schmalspurbahn, die auf Wasserstoff umgerüstet und damit ein Tiroler Prestigeprojekt werden soll, als eine Art Wasserstoff-Doktor positionieren. Die Promotion des Diplomingenieurs schaffte es allerdings nie über das Anfangsstadium hinaus.

Wie in Österreich üblich ist die Causa keineswegs nur eine "private Thematik", wie es der ÖVP-Wirtschaftsbund-Chef und Aufsichtsratschef der Zillertalbahn, Franz Hörl, nennt. Es gibt vielmehr mal wieder mehrere Dimensionen sowie den hierzulande notorischen Possencharakter. Zum einen rückt die Politik als Trittbrettfahrer ins Bild. So zeigt ein Foto aus dem Jahr 2019, wie Schreiner dem damals wahlkämpfenden Nichtkanzler und Wasserstoff-Fan Sebastian Kurz und der ehemaligen Digitalisierung-Ministerin Margarete Schramböck auf einer Wanderung bei Seefeld eine "Dissertationsschrift" übergibt, die er nun nurmehr als "Entwurf" bezeichnet.

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Zweitens stellt sich erneut die eher gesellschaftliche Frage, wie viel Titellust wirklich angemessen und erstrebenswert ist. So anstandslos Schreiners Vorgehen sein mag, verwundert es doch wenig in einem Land, wo jeder noch so belanglose Magister häufig die E-Mail-Signaturen schmückt, der Ehrentitel des Hofrats gerne mit einer eigenwilligen Penetranz verwendet wird und man selbst bei der Anmeldung von Neugeborenen aufgefordert wird, den Nachweis der akademischen Grade vorzulegen.

Vor allem hat Doktor Schmalspur, der nach eigenen Angaben nun sein Promotionsstudium an der Universität Riga in Lettland abgeschlossen hat, weder sich noch seiner Sache einen Gefallen getan. Die geplante Umwandlung der Zillertalbahn zur Wasserstoffbahn wird neuerdings von FPÖ wie Grünen infrage gestellt. Schreiner selbst wurde als Chef der Zillertalbahn beurlaubt sowie in seiner zweiten Funktion als Geschäftsführer der Achenseebahn inzwischen freigestellt - und auch das ist mal wieder geschönt. Denn ob er sich Urlaub redlich verdient hat, wäre ebenfalls zu hinterfragen.

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Günter Pichler, 81, ist Prof. Mag. theol., Mag. rer. soc. oec., Lic. phil., Mag. DDr. phil., Mag. Dr. phil. fac. theol., Mag. Dr. iur, Bakk. theol., Bacc. theol., Bakk. phil., Bacc. phil. und neuerdings auch Lex legum Master. Wie kam es dazu?

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