Oberst Klein und die Kundus-Affäre:So war es wirklich

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Vor dem Kundus-Ausschuss des Bundestags erklärte Oberst Klein, warum er zwei gestohlene Tanklaster in Afghanistan bombardieren ließ - Rechtfertigung für einen verheerenden Befehl.

Peter Blechschmidt

Bundeswehr-Oberst Georg Klein glaubte, ein klares Bild von der Lage zu haben, und er fühlte sich unter Zeitdruck. Deshalb gab er den Befehl, in der Nacht zum 4.September vorigen Jahres zwei von Taliban entführte Tanklaster zu bombardieren, die im Kundus-Fluss in Nordafghanistan auf einer Sandbank feststeckten. Bis zu 142 Menschen wurden bei dem Angriff getötet.

Lange Zeit war dies eine entscheidende Frage: Was hatte Klein letztendlich veranlasst, den verheerenden Befehl zu geben, der nicht nur viele tote Zivilisten zur Folge hatte, sondern im Nachgang einen leibhaftigen Bundesminister, einen Staatssekretär und den höchsten Soldaten der Bundeswehr ihre Ämter kostete.

Wie jetzt bekannt wurde, legte Klein bei seiner Vernehmung im Kundus-Untersuchungssausschuss des Bundestages am 10. Februar seine Beweggründe ausführlich dar. Ausschussmitglieder hatten seine Ausführungen seinerzeit als nachvollziehbar und überzeugend gewertet.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung sagte Klein aus, für ihn sei das Lagebild "rund" gewesen. Es sei unzweifelhaft gewesen, dass die Tanklaster eine akute Bedrohung für seine Soldaten, für das von ihm geleitete Provinz-Wiederaufbauteam (PRT) und für afghanische Sicherheitskräfte dargestellt hätten. Diese Gefahr habe er abwenden müssen.

Unter Zeitdruck

Auf der anderen Seite habe er sich unter Zeitdruck gefühlt, weil er nicht habe absehen können, wie lange zwei F-15-Kampfbomber, welche die Amerikaner als Luftunterstützung entsandt hatten, zur Verfügung stehen würden. Es habe die Möglichkeit bestanden, dass sie jederzeit für einen anderen Einsatz mit höherer Priorität abgerufen werden könnten. Eine Alternative zur Bekämpfung der Tanker und ihrer Entführer aus der Luft, habe es für ihn mangels ausreichender Reserven an Bodentruppen nicht gegeben.

Aufgrund der bisher bekannt gewordenen Darstellungen über die Ereignisse jener Nacht in Kundus war nicht ersichtlich, was letztlich der Auslöser für den Bombardierungsbefehl Kleins gewesen ist. Über Stunden hinweg hatten der Oberst und seine Untergebenen mit Hilfe der amerikanischen Luftaufklärung und dank eines afghanischen Informanten am Boden das Geschehen auf der Sandbank im Visier.

Konkrete Anzeichen dafür, dass die Tanklaster bald wieder flottgemacht werden könnten, gab es auch nach Kleins Einlassungen im Ausschuss nicht. Er habe jedoch nicht abschätzen können, ob die Lastwagen sich bald wieder oder überhaupt irgendwann in Bewegung setzen würden. Im Licht dieser Lagebewertung könnte der von Klein empfundene Zeitdruck eine plausible Erklärung liefern, dass Klein um 01.50 Uhr Ortszeit den Befehl gab, zwei Bomben auf die Tanklaster abzuwerfen..

Klein betonte im Ausschuss noch einmal, dass er alleine die Verantwortung für den Bombenabwurf trage. In der Vergangenheit war immer wieder spekuliert worden, der Angriff auf die Tanklaster sei in Wahrheit das Werk einer geheim operierenden Sondereinheit mit der Bezeichnung Task Force 47 gewesen. Diese Vermutung hatte sich darauf gegründet, dass Klein in der Nacht den Gefechtsstand der Task Force und nicht seine eigene Operationszentrale im PRT genutzt hatte. Aufgabe der Spezialeinheit ist die Jagd auf Taliban-Führer, und in jener Nacht waren vier von der Task Force gesuchte Aufständische auf der Sandbank gesichtet worden.

Klein räumte im Ausschuss ein, dass der Nachrichtenoffizier der Task Force, ein Hauptmann, und sein Fliegerleitoffizier, der den Funkkontakt zu den US-Flugzeugen hielt, ein Oberfeldwebel, ihn schon zu einem früheren Zeitpunkt gedrängt hätten, die Lastwagen zu bombardieren. Dies habe er jedoch zunächst abgelehnt. Er sei Oberst, und ein Hauptmann und ein Oberfeldwebel könnten ihn beraten, aber nicht drängen, erklärte Klein im Ausschuss.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wohin sich Oberst Klein direkt nach dem Befehl zurückzog.

Klein bestätigte ferner, dass er sich bei keinem seiner Vorgesetzten, weder in Afghanistan noch in Deutschland, Rückendeckung für seine Entscheidung geholt habe. Er sei der taktische Führer vor Ort gewesen, und niemand hätte ein besseres Lagebild haben können als er. Deshalb habe er keinerlei Veranlassung gesehen, bei einer Entscheidung in seinem Verantwortungsbereich die Zustimmung einer vorgesetzten Dienststelle einzuholen.

Im Untersuchungsbericht der Nato zu Kundus wird Klein die Verletzung von Einsatzregeln vorgeworfen. So habe er die Anforderung von Luftunterstützung mit einer unmittelbaren Bedrohung und mit Feindberührung eigener Kräfte begründet. Beides war aber nicht gegeben. Klein legte dar, dass er nur mit dieser Begründung Luftunterstützung habe bekommen können. Wenn man die Einsatzregeln, wie die Nato es mache, buchstabengetreu auslege, dann könne man sagen, dass er sich im Grenzbereich bewegt habe, räumte Klein ein.

Er sage jedoch, er habe die Regeln angemessen ausgelegt. Auch den Vorwurf, er habe es abgelehnt, die Entführer der Lastwagen durch warnende Tiefflüge (show of force) zu vertreiben, wies Klein zurück. Dass Flugzeuge in der Luft waren, habe jeder hören können, auch die Menschen auf der Sandbank. Im Übrigen hätten sich Taliban auch in anderen Fällen nicht von Tiefflügen beeindrucken lassen.

Klein versicherte mehrmals, dass er davon ausgegangen sei, dass sich nur Taliban und deren Helfer im Umfeld der Tanklaster aufgehalten hätten. Hätte er geahnt, dass Unbeteiligte und sogar Kinder auf der Sandbank waren, hätte er den Angriff nicht befohlen. Als Mensch und Christ habe er sich seine Entscheidung nicht leicht gemacht. Nach dem Angriff sei er erst einmal in die Kapelle des Lagers gegangen und habe gebetet.

Am morgigen Donnerstag setzt der Ausschuss seine Vernehmung fort. Dann sollen der Hauptmann und der Oberfeldwebel gehört werden, die Klein in der Nacht beraten haben. Bei internen Untersuchungen haben sie die Abläufe jener Nacht zum Teil anders dargestellt als Klein. Diese Widersprüche wollen die Abgeordneten aufklären.

© SZ vom 24.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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