Obamas Pläne:Die fast unmögliche Gesundheitsreform

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Präsident Barack Obama will allen Amerikanern eine Krankenversicherung geben - er könnte damit, wie Bill Clinton, an der Kostenfrage scheitern.

Nikolaus Piper

Der Präsident versucht es mit Zeitdruck. "Es ist eine Gelegenheit, wie sie vielleicht in Generationen nicht wiederkehrt," sagte Barack Obama am Samstag in seiner wöchentlichen Videoansprache. Deshalb solle der Kongress noch vor der Sommerpause im August ein Gesetz vorlegen, das das Gesundheitssystem der USA von Grund auf erneuert.

Teilnehmer einer Demonstration in San Francisco gegen Einschnitte im Gesundheitssystem am 15. Juli. (Foto: Foto: AFP)

Ob es so weit kommt, ist fraglicher denn je zuvor. Einige Kongressabgeordnete und Senatoren wollen das Gesetz am liebsten verschieben. Für Obama sind die kommenden Tage deshalb entscheidend.

An der Gesundheitsfrage wird sich zeigen, ob Obama als Reformpräsident in die Geschichte eingehen wird. Klar ist, dass für Amerika "Nichtstun keine Option" ist, wie Obama sagt. Schätzungsweise 46 Millionen Amerikaner sind ohne Versicherungsschutz, und es werden immer mehr.

Gleichzeitig wachsen die Kosten ins Unermessliche. Die Vereinigten Staaten geben 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Gesundheitsleistungen aus. In Kanada sind es nur knapp über neun Prozent, in Deutschland und der Schweiz, den beiden zweitteuersten Staaten, ungefähr elf Prozent.

Die USA kämpfen einerseits mit den gleichen Problemen wie alle anderen Industriestaaten: Der Altersdurchschnitt der Bevölkerung steigt, die Leistungen der Medizin werden immer besser und teurer.

Andererseits werden diese Probleme durch einige Besonderheiten des US-Systems verschärft. Der wichtigste Unterschied zu Deutschland: Versicherungsschutz ist in den USA direkt an den Arbeitsplatz gekoppelt. Die meisten großen Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern eine Krankenversicherung an und übernehmen einen Teil der Kosten. Daneben gibt es zwei große staatliche Versicherungen: Medicare versichert alle Rentner, Medicaid die Armen und Bedürftigen.

Wer Krebs hatte, ist privat unversicherbar

Das System funktionierte bis in die siebziger Jahre hinein ganz gut. Die Probleme begannen, als die amerikanische Wirtschaft sich mehr und mehr dem internationalen Wettbewerb stellen musste und flexibler wurde. Viele kleine Unternehmen sehen sich heute außerstande, ihren Mitarbeitern Versicherungsschutz zu bieten.

Der Markt für privaten Schutz ist teuer und hat viele Beschränkungen. Wer zum Beispiel schon einmal Krebs oder eine andere schwere Krankheit hatte, der ist dort praktisch unversicherbar. Viele Verträge lassen Schlupflöcher offen, so dass immer wieder Patienten in dem Augenblick ihren Schutz verlieren, in dem sie ihn am nötigsten brauchen.

Obwohl die Probleme seit langem offensichtlich sind, galt das System als fast unreformierbar. Zuletzt scheiterte Präsident Bill Clinton 1994 mit einem ehrgeizigen Reformprojekt. Er hatte die Macht der organisierten Interessen - Versicherungen, Pharmaindustrie, Ärzteverbände - unterschätzt.

Kein Systemwechsel, sondern eine Ergänzung

Barack Obama zog Lehren aus Clintons Scheitern: Er versucht gar nicht erst, ein komplett neues System durchzusetzen, sondern er ergänzt nur das Bestehende: Wer mit seiner bisherigen Versicherung zufrieden ist, kann sie behalten. Wer aber unversichert ist, für den wird eine neue staatliche Versicherung eingeführt. Sie ist für jeden offen, auch für Geringverdiener und Schwerkranke. Wer sich die Prämien nicht leisten kann, bekommt eine Subvention.

Das Konzept stammt von dem Harvard-Gesundheitsökonomen David Cutler und ist darauf angelegt, die Kosten des Übergangs zu begrenzen und den politischen Widerstand klein zu halten. Trotzdem wird die Reform insgesamt eine Billion Dollar kosten. Die Republikaner sind fast geschlossen gegen Obamas Pläne.

Immerhin hat der Präsident einen wichtigen Schritt geschafft: Vorigen Mittwoch billigte der Gesundheitsausschuss des Repräsentantenhauses einen Gesetzentwurf, der im Wesentlichen Obamas Vorstellungen entspricht. Doch nun beginnen die eigentlichen Probleme.

Die Gegner kontern mit platter Propaganda

Obamas Gegner behaupten, die staatliche Versicherung werde die privaten Versicherer vom Markt verdrängen und in ein sozialisiertes Gesundheitssystem führen. In den Fernsehspots der konservativen Lobby-Gruppe Conservatives for Patients' Rights (CPR) sieht man daher einen Bürokraten, der sich in einem Sprechzimmer zwischen Arzt und Patienten stellt. Das ist Propaganda und ziemlich weit hergeholt.

Ernster ist das zweite Argument der Reformgegner zu nehmen: Dass alles viel teurer wird als geplant. Ein Alarmzeichen ist der Brief, den der Direktor des Haushaltsbüros des Kongresses, Douglas Elmendorf, veröffentlichte. Nach seinen Berechnungen wird die Reform das Defizit im Bundeshaushalt bis 2019 um 239 Milliarden Dollar erhöhen. Der Brief ist deshalb so wichtig, weil sich Elmendorf nicht als Reformgegner abtun lässt: Er wurde von den demokratischen Spitzen des Kongresses selber eingesetzt.

Hier zeigen sich die Grenzen der politischen Strategie Obamas. Es ist auch in Amerika wesentlich einfacher, Mehrheiten für Mehrausgaben als für Einsparungen zu gewinnen. Die Demokraten im Kongress gaben daher schon ein paar wichtige Sparvorschläge auf: Sie werden keinen Re-Import billiger Medikamente aus Kanada zulassen und den Patentschutz von zwölf Jahren gentechnisch produzierter Produkte nicht antasten.

Beides besänftigt die Pharmaindustrie, ist aber im Ergebnis teuer. Eine schon lange geplante, einmalige Kürzung der Arzthonorare für Medicare-Leistungen wird weiter hinausgeschoben, das sichert die Unterstützung der Ärzteverbände. Und die Steuernachlässe für Krankenversicherungen in den Unternehmen bleiben ohne Obergrenze, was die Gewerkschaften ruhigstellt.

"Mutter aller unfinanzierten Programme"

Umso unruhiger werden jetzt demokratische Abgeordnete, die ihr Mandat in eher konservativen Bundesstaaten verteidigen müssen. Sie sind beunruhigt, weil ein Teil der Kosten durch eine Abgabe für wohlhabende Familien von bis zu 5,4 Prozent finanziert werden soll. Sie haben Angst, als finanzpolitisch verantwortungslos zu erscheinen.

Die Konferenz der Gouverneure aus den Bundesstaaten wehrte sich gegen jeden Versuch, Kosten in den Staatshaushalten abzuladen. Phil Bredsen, der demokratische Gouverneur von Tennessee, sagte, der Kongress sei dabei, "die Mutter aller unfinanzierten Programme" zu beschließen.

Obama muss jetzt aus der Geschichte lernen: Der Anfang vom Ende von Clintons Gesundheitsreform begann 1994, als das Haushaltsbüro des Kongresses die Kostenschätzungen des damaligen Präsidenten zerpflückte.

© SZ vom 21.07.2009/luw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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