Obamas Methoden:Alles außer Foltern

Lesezeit: 4 min

Die Europäer sollten lernen, dass auch ihr Lieblingspräsident Barack Obama Methoden nutzt, die sie hassen - und die er von der Bush-Regierung übernommen hat.

John B. Bellinger

John B. Bellinger war der Rechtsberater des State Department von 2005 bis 2009. Der Text fußt auf einer Rede, die er am Donnerstag in der American Academy in Berlin hielt.

Barack Obamas Regierung unternimmt in manchen Menschenrechtsfragen sogar weniger als die Bush-Administration. (Foto: Foto: AP)

Übersetzung: Detlef Esslinger

In der vergangenen Woche jährte sich die erste außenpolitische Initiative, die Präsident Obama nach seinem Amtsantritt unterschrieb: Er machte drei Verfügungen bekannt, in denen er die Schließung des Internierungslagers Guantanamo anordnete, außerdem die Aussetzung bestimmter CIA-Befragungstechniken sowie die Überprüfung der gesamten US-Gewahrsamspolitik und aller Rechtsauffassungen der Regierung dazu. Die Verfügungen (die ich unterstützte und an deren Zustandekommen ich noch während meiner Zeit als Rechtsberater des Außenministeriums arbeitete) trafen in Europa auf breiten Zuspruch. Sie wurden dort gepriesen, weil in ihnen zum Ausdruck komme, dass sich die USA wieder dem internationalen Recht verpflichtet fühlten.

Ein Jahr darauf hat die Obama-Regierung jedoch Schwierigkeiten, die drei Verfügungen umzusetzen - und sie setzt viele andere Methoden der Bush-Regierung fort, darunter viele, die in Europa höchst umstritten sind. Auf anderen Gebieten, zum Beispiel bei der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof oder der Befolgung der Regeln des Haager Gerichtshofs, war die Obama-Regierung sogar weniger kooperativ als ihre Vorgängerin.

Fundamentale Zwänge in den USA

Diese Tatsachen zeigen, dass sich die Bush-Regierung in ihrer zweiten Amtszeit stärker an das Völkerrecht hielt, als gemeinhin in Europa registriert wurde - und dass es in den Vereinigten Staaten fundamentale Zwänge gibt, die verhindern, dass die Obama-Regierung europäischen Erwartungen gerecht wird.

Warum hat Obama sein selbst auferlegtes Ziel verpasst, Guantanamo innerhalb eines Jahres zu schließen? Weil der Kongress - trotz einer breiten Mehrheit der Demokraten in beiden Häusern - Gesetze verabschiedet hat, die den Präsidenten daran hindern, Inhaftierte in die Vereinigten Staaten zu verlegen. Obama hat zwar die Sanierung eines Gefängnisses in Illinois angeordnet, damit es die Inhaftierten beherbergen kann. Doch es ist unwahrscheinlich, dass Guantanamo in diesem Jahr, einem Wahljahr, dichtgemacht wird - und es wird womöglich nicht einmal innerhalb der nächsten drei Jahre geschlossen, weil es viel innenpolitischen Widerstand dagegen gibt.

Weiter Streit um Befragungstechniken

Die höchst umstrittenen Befragungstechniken der CIA sind zwar nicht wieder aufgenommen worden, doch die Verhaftung des nigerianischen Studenten Umar Abdul Muttalab, der an Weihnachten die Maschine nach Detroit sprengen wollte, entzündete Meinungsverschiedenheiten zwischen Polizisten und Geheimdienstlern über Befragungstechniken.

Trotz der Übereile bei den Verfügungen: Präsident Obama hat viele Methoden der Bush-Regierung übernommen. Er betont, dass sich die Vereinigten Staaten weiterhin im "Krieg" mit al-Qaida befinden, und auch er setzt Militär ein, um Mitglieder von al-Qaida und Taliban festzunehmen oder zu töten (mit Hilfe von Drohnen oder anderer Mittel). Und dies ganz gleich, wo auf der Welt sie sich befinden. Auch beansprucht die Obama-Regierung das Recht, al-Qaida-Mitglieder und Taliban unbegrenzt und ohne Gerichtsverfahren festzusetzen - übereinstimmend mit dem Kriegsrecht. Er behandelt sie also nicht wie gewöhnliche Kriminelle: Vergangene Woche hat das Justizministerium angekündigt, dass 50 Gefangene von Guantanamo zu gefährlich sind, um sie gehen zu lassen, und dass sie daher auf unbestimmte Zeit und ohne Prozess festgehalten werden.

Zwar kündigte das Ministerium im Dezember an, Khalid Sheikh Mohammed und andere Planer des 11. September vor dem Bundesgericht in New York anzuklagen; was eine gute, obwohl riskante Entscheidung ist. Aber schon im Mai vergangenen Jahres gab Obama bekannt, andere Terrorverdächtige vor Militärkommissionen anzuklagen, also jenen Organen, die von Menschenrechtsgruppen und vielen Europäern so geschmäht werden.

Und am 24. August kündigte die Regierung in Gestalt einer Task Force des Justizministeriums leise an, dass sie die Praxis fortsetzen will, Terrorverdächtige zu ergreifen und außerhalb des gesetzlichen Rahmens in die Vereinigten Staaten (oder auch von einem Land in ein anderes) zu bringen. Sie stellte lediglich sicher, dass die Gefangenen nicht dem Risiko ausgesetzt sind, gefoltert zu werden.

Dilemma für Europa

Dass die Obama-Regierung diese umstrittenen Methoden gegen alle Erwartungen fortführt, bedeutet für Europa ein Dilemma. Werden die Regierungen Europas das ignorieren, nur weil sie Obama mögen? Oder werden sie, nachdem die Flitterwochen vorbei sind, mit dieser Regierung genauso kritisch umgehen wie mit der Vorgängerin?

Meine persönliche Hoffnung ist: Europas Regierungen mögen feststellen, dass ein Präsident, den sie bewundern, weitermacht mit Methoden, die sie verabscheuen. Daraufhin werden sie den transatlantischen Rechtsdialog wiederbeleben, den ich auf Bitten von Außenministerin Condoleezza Rice in der zweiten Amtszeit von Bush initiiert habe. So werden sie besser verstehen, warum die Obama-Regierung diese Methoden fortsetzt. Dies würde helfen, europäisch-amerikanische Meinungsverschiedenheiten zu beschränken.

Zudem hat sich die Obama-Regierung dem Völkerrecht und internationalen Institutionen weniger verpflichtet gezeigt, als viele Europäer es erwartet hatten. So hat sie sich bisher nur in einem Fall die Zustimmung des Senats zu einem internationalen Abkommen beschafft (dem amerikanisch-französischen Steuerabkommen). Demgegenüber hat die Bush-Regierung während ihrer beiden letzten Jahre die Rekordsumme von 90 Abkommen durch den Senat gebracht (darunter das 3. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen).

Obams Regierung unternimmt weniger als die von Bush

Und anders als ihre Vorgängerin hat die Obama-Regierung auch nichts getan, um Entscheidungen des Haager Gerichtshofs umzusetzen: Sie lässt nicht die Todesurteile gegen Menschen überprüfen, denen die konsularische Betreuung verweigert wurde. Und sie unternimmt wenig, um mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten.

Es ist möglich, dass Präsident Obama in seinem zweiten Amtsjahr mehr tun wird, um aus Worten Taten zu machen. Aber angesichts der fortwährenden Drohungen des Terrorismus gegen die Vereinigten Staaten, angesichts einer Innenpolitik, die vom Wahljahr diktiert sein wird, sollten die Europäer keine großen Veränderungen in seiner Politik erwarten. Was das Völkerrecht betrifft, dürften sie vielmehr feststellen: Wenn man Bushs pragmatische, multilaterale zweite Amtszeit vergleicht mit der Regierung Obama, so wird es mehr Kontinuität als Wandel geben.

© SZ vom 30.01.2010/sukl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: