Es war eine große Rede, die Amerikas Präsident gehalten hat - damals, vor nunmehr zwei Wochen in Arizona.
Bei der Trauerfeier für die Opfer des Blutrausches von Tucson war Barack Obama zum mitfühlenden Vater der Nation erwachsen. Jetzt, exakt 13 Tage später, trat derselbe Mann vor den US-Kongress in Washington, um seine alljährliche Ansprache zur Lage der Nation abzuliefern. Mehr als einen nüchternen, ja schnöden Manager des Politbetriebs von Washington mochte er dabei nicht geben.
Umhang vor Inhalt
Obamas einstündiger Vortrag zu Jobkatastrophe und Bildungskrise, zu Haushaltsdefizit und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit der Weltmacht war so belesen und klug wie letztlich vage und ja: feige.
Sicher, der Präsident hat seinen Landsleuten genau erklärt, wie sehr ihre einst allüberlegene Volkswirtschaft inzwischen dem internationalen Konkurrenzdruck ausgesetzt ist. Und wie dringend sie sich, etwa mit Hilfe besserer Schulen und mehr Innovation, wappnen muss für den globalen Wohlstandswettlauf der Nationen.
Aber wann immer in seiner Rede die unvermeidlich harten Entscheidungen aufschimmerten, wann immer er bei Steuerreform oder Schuldenabbauplan hätte konkret benennen können, wer die Zeche zu zahlen hat für die Exzesse der Vergangenheit, driftete Obama ab ins Schattenreich unverbindlicher Andeutungen.
Dem Präsidenten war an diesem Abend der Umhang wichtiger als der Inhalt: Er wollte als Mann der Mitte und des Kompromisses erscheinen - nicht als Pfadfinder steiniger, weil präziser Auswege.