NSU-Prozess:Zschäpe will alles nur schriftlich - aber eine Strafverhandlung ist keine Vorlesung

Lesezeit: 3 min

Die Angeklagte und ihre Stimme: Am Tag, als ihr Verteidiger Mathias Grasel ihre Aussage verlas, kam Beate Zschäpe gelöst wie selten in den Gerichtssaal. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Die Angeklagte im NSU-Prozess will schriftliche Fragen zu ihrer schriftlichen Erklärung schriftlich beantworten. Kaum vorstellbar, dass sich das Gericht darauf einlässt.

Von Heribert Prantl

Ein Angeklagter darf fast alles, um sich zu verteidigen: Er darf reden, er darf schweigen; er darf, anders als ein Zeuge, anders als sein Verteidiger, vor Gericht ungestraft lügen; ein Strick darf dem Angeklagten daraus nicht gedreht werden. Der Angeklagte kann alle Register ziehen, um sich zu verteidigen. Aber das Gericht muss das natürlich nicht glauben, was ihm da dargeboten wird.

Die Einlassung des Angeklagten ist auch kein Beweismittel, wie etwa die Aussage eines Zeugen; es findet also keine Beweiswürdigung statt wie bei einer Zeugenaussage. Und trotzdem spielt es eine wichtige Rolle für den Prozess, was ein Angeklagter dem Gericht erklärt: Seine Einlassung kann nämlich dazu führen, dass neue Beweise erhoben werden müssen, seine Einlassung kann dazu führen, dass ein neues, entlastendes Bild von der ihm vorgeworfenen Tat entsteht.

"Vernehmung des Angeklagten zur Sache" heißt das Ganze in der Sprache des Gesetzes. Die Art und Weise dieser Vernehmung ist aber im Gesetz nicht festgelegt, der Vorsitzende des Gerichts bestimmt sie, wie die Juristen das formulieren, "nach pflichtgemäßem Ermessen".

Und damit ist man beim Fall der Beate Zschäpe: Noch nie in einem deutschen Gerichtsverfahren war man so gespannt darauf, wie das Gericht mit seinem Ermessen umgeht. Zunächst hat es der Vorsitzende Richter Manfred Götzl zugelassen, dass die Angeklagte Beate Zschäpe am Mittwoch ihre sehr späte Einlassung von ihrem Verteidiger hat vorlesen lassen. Das ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen, aber in der Praxis anerkannt.

NSU-Prozess
:Die zentralen Passagen aus Zschäpes Erklärung

Die Stellungnahme umfasst 53 Seiten. Eine Auswahl ihrer Aussagen zu den Morden, Sprengstoffanschlägen und dem Leben mit Böhnhardt und Mundlos.

Zusammengestellt von Oliver Das Gupta

Eine "Entschuldigung" ist wenig wert, wenn die Angeklagte sie nicht selbst ausspricht

Anerkannt ist die sogenannte "Verteidigererklärung", in der der Verteidiger als Verteidiger eine Erklärung abgibt. Anerkannt ist auch die Erklärung des Verteidigers für den Angeklagten, wie im Fall Zschäpe. Der Erkenntniswert einer solchen Erklärung, die der Verteidiger im Namen Zschäpes verliest, ist freilich geringer als dann, wenn sie ihre Erklärung selbst vorgetragen hätte.

Warum? Die Mimik, die Gestik, der Habitus, mit der eine Aussage vorgetragen wird, spielt eine Rolle, wenn es um die Beurteilung dessen geht, ob und wie plausibel das Dargelegte ist; das alles entfällt bei der bloßen Verlesung durch den Verteidiger. Und gleich gar ist eine "Entschuldigung" - die beim Strafmaß eine Rolle spielen kann - von sehr geringem Wert, wenn die Angeklagte sie nicht selbst über die Lippen bringt.

So weit, so statthaft. Kaum vorstellbar ist, dass sich ein selbstbewusster Richter wie Manfred Götzl darauf einlässt, dass die Angeklagte vom Gericht zu ihrer vorgelesenen Einlassung nun auch schriftlich befragt werden und auf diese schriftlichen Fragen dann schriftlich, durch ihren Verteidiger, antworten will; die schriftlichen Antworten sollen dann vom Gericht vorgelesen werden. In Juristenkreisen wird diese Forderung der Angeklagten auf gut bayerische Art mit dem Satz "Ja, wo san ma denn" kommentiert. So ein Prozedere hat es in einem deutschen Gerichtsverfahren noch nie gegeben. Warum nicht? Die Hauptverhandlung ist ein mündliches, kein schriftliches Verfahren. Schon das Wort "Aussage" besagt, worum es geht: um mündliche Befragung und mündliche Antworten, nicht um den Austausch von Schriftstücken. Eine Strafverhandlung ist keine Vorlesung.

Das Gericht ist, so hat es der Bundesgerichtshof entschieden, nicht verpflichtet, die schriftliche Einlassung eines Angeklagten als Urkunde zu verlesen, weil die mündliche Verhandlung nicht durch eine gerichtliche Verlesung einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden kann.

Würde die mündliche Kommunikation vor Gericht durch eine schriftliche ersetzt, könnte sich das Gericht keinen Eindruck vom Aussageverhalten der Angeklagten mehr machen. Man kann das Verlangen der Angeklagten, das Gericht müsse schriftlich mit ihr verkehren, als hochnäsig bezeichnen. Sie darf das freilich sein - aber das Gericht muss dem natürlich nicht Folge leisten.

Man kann die verlesene Erklärung als Teilgeständnis bewerten

Hat die Angeklagte mit ihrer vom Verteidiger verlesenen Erklärung ihre Lage verbessert? Kaum. Man kann ihre Erklärung als Teilgeständnis bewerten. Sie räumt mit ihren Darlegungen letztlich jedenfalls eine Beihilfe zu den Mordtaten ein - die ihre toten Freunde begangen haben. Es handelt sich nach Zschäpes Einlassung um Beihilfe zumindest in Form der psychischen Beihilfe. Angeklagt ist sie allerdings nicht wegen Beihilfe, sondern als Mittäterin an zehn Morden und 15 Raubüberfällen des NSU.

Zschäpe war nicht an den Tatorten zugegen. Die Anklageschrift legt ihr gleichwohl Mittäterschaft zur Last, weil sie Organisationsmacht gehabt habe, weil sie für die Hintergrund-Logistik zuständig gewesen sei, weil sie der Bande den Anschein von Legalität und Normalität gegeben habe. Diese Vorwürfe hat Beate Zschäpe durch ihre Einlassungen nicht ausräumen können. Die Anklage muss die Vorwürfe allerdings zur Überzeugung des Gerichts beweisen.

Es wird der Staatsanwaltschaft daher im weiteren Verfahren darum gehen, welche Beteiligung sie Zschäpe bei der Beschaffung von Tatwaffen, Tatfahrzeugen und falschen Papieren nachweisen kann sowie bei der Verwaltung der Beute aus den Raubüberfällen. Das kann sich schnell zur klassischen Mittäterschaft addieren. Man muss eine Tat nicht eigenhändig begangen haben, um Mittäter zu sein. Es genügt ein wesentlicher Tatbeitrag, der sich einfügt in das gemeinschaftliche Wollen und ins gemeinschaftliche verbrecherische Tun. Dies nachzuweisen ist für die Anklage nicht einfach - aber diese Aufgabe ist nach der schriftlichen Einlassung Zschäpes auch nicht schwerer geworden als bisher. Die Verlesung hat den Prozess nicht verändert.

© SZ vom 11.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

NSU-Prozess
:Welche neuen Fragen Zschäpe mit ihrer Aussage aufwirft

Sie hat von sich das Bild einer arglosen Frau gezeichnet. Doch das ist nicht der einzige Aspekt in Zschäpes Erklärung, der wichtig ist.

Von Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: