Das NSU-Bekennervideo ist ein widerliches, aber auch ein ziemlich komplexes Werk, zumindest technisch gesehen. Es hat eine Länge von 15 Minuten, in denen die Trickfilmfigur Paulchen Panther die Erzählung bestimmt und die Morde und Anschläge der Neonazis vorführt. Der Aufwand, das alles zu schneiden und zu montieren, muss beträchtlich gewesen sein. Das zeigen auch die Ermittlungen des Bundeskriminalamts (BKA), die ein Beamter am Dienstag im NSU-Prozess vorstellte. Sie werfen auch die Frage auf, ob es nicht weitere Personen gab, die an der Erstellung des Films mitgewirkt haben.
Die Arbeit am Paulchen-Panther-Video hat der NSU vermutlich im Mai 2006 begonnen. Es existieren Vorläuferversionen, in denen die Figur aus dem "Rosaroten Panther" - der eigentlich harmlosen Fernsehserie, die Uwe Mundlos geliebt haben soll - noch nicht auftauchten. Auf einer Festplatte in den Überresten der Zwickauer Wohnung, in der die Terroristen wohnten, haben die Ermittler zahlreiche Dateien gefunden. Mit ihrer Hilfe war es möglich, den Herstellungsprozess zu rekonstruieren. Die Dateinamen, sagt der Zeuge, "sind unglaublich präzise, was Bearbeitungsstände betrifft". Die Opfer wurden von den Mördern pauschal als "Ali" bezeichnet, verhöhnt und nummeriert. So gibt es beispielsweise eine Datei mit dem Namen "Ali9" und eine mit dem Namen "Ali9 aktuell". Ordnung nach Nazi-Art.
Auf welchem Computer wurde der Film hergestellt?
Im Februar und März 2007 sollen die Terroristen die Arbeit an dem Film intensiv fortgeführt haben; in diesem Zeitraum seien zwei Drittel aller Dateien erstellt worden. Später, von November 2007 bis Januar 2008, sind weitere Bearbeitungsschritte erfolgt. Dabei wurde nun auch auf den Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn vom April 2007 Bezug genommen.
Unklar ist bis heute, auf welchem Computer der Film hergestellt wurde. Die Dateien befanden sich auf einer externen Festplatte, auf die sie überspielt worden sind. Bei den Ermittlungen geriet der mutmaßliche NSU-Helfer André E. unter Verdacht, weil auf den Rechnern, die beim NSU gefunden wurden, Dateien sichergestellt werden konnten, die sich genauso bei ihm fanden. Doch letztlich gelang es den Ermittlern bisher nicht, den Verdacht gegen André E. zu erhärten.
Einen interessanten Fund machte das BKA bei Holger G., der ebenfalls wegen Unterstützung des NSU angeklagt ist: In seiner Wohnung wurde ein Datenträger beschlagnahmt, auf dem die Kriminaltechniker etwa 100 000 gelöschte Dateien wiederherstellen konnten. Dabei entdeckten sie auch Darstellungen der Trickfilmfigur Paulchen Panther. In diesem Fall ist es jedoch nicht mehr möglich, zu sagen, wann die entsprechenden Dateien erstellt und wann sie gelöscht worden sind. Daher lässt sich auch eine Beteiligung von Holger G. bisher nur vermuten, aber nicht gerichtsfest belegen.
Wie eine weitere BKA-Beamtin am Dienstag darstellte, besaß der NSU eine Art "Drehbuch", das die Terroristen für die Konzeption ihres Films benutzten. Es handelte sich um 49 karierte Seiten mit handschriftlichen Notizen, vermutlich aus einem Spiralblock. Damit haben die Neonazis offenbar die Folge der Sequenzen geplant und Anmerkungen zu den verwendeten Clips gemacht. Durch Schriftgutachten konnte ermittelt werden, dass die Notizen wahrscheinlich von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt stammten.
Für ihr Video haben die Terroristen auch Zeitungsausschnitte und aus dem Fernsehen mitgeschnittenes Material verwendet. Spuren belasten auch Beate Zschäpe: An zwei von Dutzenden Zeitungsausschnitten und Zeitungsseiten über die Verbrechen, die in Zwickau gefunden wurden, befanden sich ihre Fingerabdrücke. Aus Sicht von Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl ist damit aber nicht bewiesen, dass die Mandantin am Erstellen des sogenannten NSU-Archivs beteiligt war.
Allerdings gibt es ein weiteres Indiz: Mit einem Videorecorder wurde im Jahr 2004 ein Fernsehbeitrag über den Nagelbombenanschlag in Köln aufgezeichnet - zu einem Zeitpunkt, als Mundlos und Böhnhardt noch nicht zurück in Zwickau sein konnten.
In Beweisanträge gekleidete Vorwürfe
Dann wechselt an diesem 270. Verhandlungstag im NSU-Prozess, wie so oft in diesem Verfahren, abrupt das Thema: Die Anwälte Doris Dierbach, Thomas Bliwier und Alexander Kienzle, die Angehörige des 2006 in Kassel ermordeten Halit Yozgat vertreten, stellen zwei weitreichende Beweisanträge, denen sich etliche Nebenkläger anschließen. Dass das Gericht diesen Anträgen am Ende folgen wird, ist nach dem, wie Richter Manfred Götzl zuletzt entschieden hat, nicht unbedingt zu erwarten. Aber die Vertreter der Opfer wollen nichts unversucht lassen, um auch die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex vor das Gericht zu ziehen: In ihren Anträgen werfen sie der Behörde in Brandenburg vor, im Jahr 1998 die Festnahme des untergetauchten Trios Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt vereitelt zu haben. Der Schutz einer eigenen Quelle sei dem Amt wichtiger gewesen.
Hintergrund der in Beweisanträge gekleideten Vorwürfe sind die Informationen, die ein V-Mann mit dem Decknamen "Piatto" 1998, wenige Monate nach dem Untertauchen des Trios, an den Verfassungsschutz in Potsdam lieferte. Er sprach von drei flüchtigen Neonazis, die sich offenbar in Sachsen aufhalten würden, Raubüberfälle planten und für die ein bekannter Rechtsextremist aus Chemnitz Waffen beschaffen sollte. Der Verfassungsschutz ging sehr restriktiv mit diesen guten und brisanten Informationen um, während die Fahnder in Thüringen darauf drängten, aktiv zu werden. Die Verfassungsschützer hatten offenbar Sorge, ihr V-Mann könnte enttarnt werden.
Dieser ganze Sachverhalt war schon mehrmals Thema im Gericht und zuvor bereits in den verschiedenen NSU-Untersuchungsausschüssen. Nun spitzen die Nebenklage-Anwälte den Fall medientauglich zu: Das Amt habe die Festnahme vereitelt. Denn die Thüringer Fahnder hätten wegen des blockierenden Verhaltens der Verfassungsschützer keine Telefonüberwachung oder andere Maßnahmen beantragen können.
Ob die Polizei damals aufgrund der Hinweise von Piatto das Trio tatsächlich hätte finden können, ist freilich keineswegs sicher. Beweisanträge stellen aber oft zunächst einmal weitreichende Thesen auf.
Mit Kaugummi und Perücke
Geht es nach den Anwälten, werden zu dem Thema weitere Zeugen aus den beteiligten Behörden gehört. Und gegen den Verfassungsschutz-Mitarbeiter Reiner G. müsste strafrechtlich wegen Falschaussage ermittelt werden. Der Beamte war bereits im NSU-Prozess als Zeuge befragt worden und dabei nicht nur wegen seiner Maskerade (Perücke) aufgefallen, sondern auch durch sein renitentes Verhalten (Kaugummi kauend, widerwillig antwortend). Die Nebenkläger geben sich überzeugt, dass Reiner G. auch nicht die volle Wahrheit gesagt habe. Sie glauben, dass er seine Behörde habe schützen wollen und daher verheimlicht habe, dass der Verfassungsschutz damals noch weitere Informationen über eine mögliche Waffenbeschaffung für das Trio erhalten habe.
Die Beweisanträge dienen vor allem dazu, weitere Akten aus dem Verfassungsschutz zu erhalten und durch die Befragung weiterer Zeugen zu klären, was die Behörden damals alles noch gewusst haben. Dass sich am Ende Reiner G. als Angeklagter vor einem Gericht wiederfindet, ist dagegen kaum zu erwarten.