Kommunalwahlen in NRW:Die Allmacht schwindet

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Spannende Oberbürgermeisterwahl: Wahlplakate von Thomas Westphal (SPD) und CDU-Kandidat Andreas Hollstein in Dortmund. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Seit 74 Jahren regiert die SPD in Dortmund. Doch bei der Stichwahl des Oberbürgermeisters am Sonntag droht den Sozialdemokraten eine Niederlage - weil die Grünen den Kandidaten der CDU unterstützen.

Von Christian Wernicke, Dortmund

Hier in Eving dürfen Sozialdemokraten noch auf Morgenröte hoffen. "Zur Sonnenseite" heißt der Kleingartenverein im Dortmunder Norden, und Roland Fröhling, der muntere Vorsitzende der Schreber, hat gerade das SPD-Plakat an die gelbe Hauswand des Vereinsheims geklebt. Der Spielplatz neben den Holzbänken auf der Terrasse, der gepflegte Naschgarten für die Besucher aus dem nahen Altenheim der Arbeiter-Wohlfahrt - "das gäb's nicht ohne die Hilfe der Stadt." Und die Stadt, der Bezirk - "das war immer die SPD."

Die Partei gehört hier zur Familie, auch Roland Fröhling ist Genosse. Vor drei Jahren ist der 49jährige Müllmann eingetreten, kurz nachdem sein Vater gestorben war. "Der war sein Leben lang in der SPD," erzählt Fröhling, da habe er sich als Sohn in der Pflicht gefühlt: "Ja, irgendwie aus Tradition - wir müssen ja gucken, dass es vorwärts geht mit Eving." Meckern könne jeder, "ich will anpacken," sagt er, rückt die tiefrote Maske im Gesicht zurecht, um dann per Corona-Gruß mit dem Ellbogen "den Thomas" zu begrüßen.

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Genosse Thomas heißt mit Nachnamen Westphal, stammt aus Lübeck, war früher mal ein sehr linker Bundesvorsitzender der Jusos. Aber weil der 53-jährige Volkswirt fast die Hälfte seines Lebens in der Ruhr-Metropole wohnt und hier zum anerkannten Wirtschaftsförderer der einstigen Stahl-, Kohle- und Bierstadt aufstieg, geht er in Eving als Einheimischer durch.

Zur Besuch auf der "Sonnenseite": SPD-OB-Kandidat Thomas Westphal (links) zu Gast bei der Schrebergärtner-Gruppe um Roland Fröhling. (Foto: Christian Wernicke)

Nun will er Oberbürgermeister werden, am Sonntag lauert die Stichwahl. "Du bist Dortmunder, Du kennst die Stadt", lobt Fröhling, der sich ärgert, dass die Schwarzen von der CDU mit ihrem Gegenkandidaten Andreas Hollstein "da einen aus dem Sauerland geholt haben." Westphal nickt, lächelt, genießt dieses Heimspiel in der Herbstsonne von Eving, wo die SPD zwar nicht mehr wie einst fette 60 Prozent einfährt - aber wo er vor zwei Wochen im ersten Wahlgang immerhin 45 Prozent der Stimmen ergatterte. Besser lief's nirgendwo in der einstigen "Herzkammer der SPD", in der die Roten seit 74 Jahren regieren.

Eine Niederlage wäre ein Fanal für die SPD

Westphal ist mehr Manager als Menschenfischer, mehr Verwalter als Verführer. Später beim Small-Talk am Gartenzaun wirkt es, als würde er ein wenig fremdeln zwischen Apfelbäumen und säuberlich geharkten Beeten voller Kürbisse und Studentenblumen. Westphal bringt es fertig, so schildern Augenzeugen, an einem Samstag drei Stunden durch die Stadt zu marschieren, ohne dabei mit mehr als einem Dutzend Wählern zu reden.

Verliert er nun Dortmund, es wäre noch ein Fanal des Niedergangs seiner Partei. Westphal weiß das, Ende August hat er die bundespolitische Bedeutung dieser SPD-Trutzburg selbst hochgespielt. Da war Olaf Scholz zu Besuch, der SPD-Kanzlerkandidat, und dem versprach Westphal per Fußball-Metapher einen Sieg mit Folgen: "Wir in Dortmund machen das nächste Tor, dann kann Olaf nächstes Jahr die Bundesliga gewinnen." Die Bundestagswahl also.

Leicht wird das nicht. Die SPD in NRW kriselt chronisch, wie der Wahlforscher Manfred Güllner ihr kürzlich brutal vorrechnete: Anno 1998, bei der Wahl von Gerhard Schröder zum Kanzler, habe die SPD noch die Stimmen von 39 Prozent aller Wahlberechtigten an Rhein und Ruhr errungen. Seither habe die SPD zwei von drei Wählern im Land verloren: Am 13. September, bei der ersten Runde der Rathauswahlen, votierten nur noch zwölf Prozent der NRW-Wahlberechtigten für die Sozis.

Westphal bezweifelt den Wert solcher Vergleiche. "Das ist Geschichte," winkt er im Gespräch ab, "ich muss die Leute heute abholen, ihnen etwas für die Zukunft anbieten." Was ihn besorgt, ist die niedrige Wahlbeteiligung: in manchen Quartieren der verarmten Dortmunder Nordstadt verweigern inzwischen drei von vier Wähler den Urnengang. Auch dies ist ein Trend, der die SPD schwächt: In den besseren Gegenden, im Kreuzviertel oder im Dortmunder Süden, gehen weit mehr Bürger wählen - und votieren für die CDU und die Grünen.

Seit Mittwoch plagt Westphal nun noch eine Sorge: Die Grünen, die als Drittplatzierte mit 21,8 Prozent raus sind aus dem Rennen um die Stadtspitze, haben zur Wahl des CDU-Kandidaten Hollstein aufgerufen - also gegen ihn, gegen die dauerregierende SPD. Westphal muss um seinen Vorsprung aus dem ersten Wahlgang (exakt zehn Prozentpunkte) bangen. Plötzlich scheint Unmögliches möglich - eine Niederlage der SPD in Dortmund.

Die Triebkräfte hinter Schwarz-Grün haben viel auch mit seiner SPD zu tun. Westphal weiß das. Er glaubt nicht, was die Grünen in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Hollstein ausgerechnet vorm Schmelzofen eines früheren Hüttenwerks erklärten: Dass die CDU weit mehr Konzessionen gemacht habe als die SPD bei der Verkehrswende, also beim Ausbau von Radwegen oder beim Stopp einer geplanten Umgehungsstraße durch ein Naturschutzgebiet im Dortmunder Osten. Beim Verkauf der städtischen Anteile am Steag-Konzern, der Kohlekraftwerke betreibt. Oder gar beim Dortmunder Flughafen, den die Grünen am liebsten schließen wollen, und für den der CDU-Kandidat nun immerhin eine Studie zur "alternativen Nutzung" zusagte.

Die Grünen wollen den Wechsel

Der Zufall will es, dass der SPD-Kandidat an der Evinger "Sonnenseite" gerade jene Parzelle betritt, in der ein türkischer Kleingärtner als Imker seinen Honig produziert: "Bienen Airport" steht auf dem Holzschild am Eingang. Dass Schwarzgrün mit dem realen Airport jetzt 3200 Jobs infrage stelle, empört den Sozialdemokraten. Aber egal, selbst das sei "nicht der Knackpunkt," warum Rotgrün scheiterte. Sondern? Den Grünen, so Westphal, gehe es eigentlich nur um eins: "Deren Grundsatz ist: Wir wollen keine SPD mehr - es sind die 74 Jahre." Die gefühlte Ewigkeit seit anno 1946, in der immer die SPD regierte.

Viele Grüne im Ruhrpott kannten bis Ende der neunziger Jahre nur eine Obrigkeit - die SPD. Ohne rotes Parteibuch kam man nicht weit. Diese Allmacht in den Amtsstuben wurde in anderen Städten des Potts - in Duisburg oder Gelsenkirchen, in Oberhausen wie in Essen - wenigstens phasenweise mal durchbrochen. In Dortmund - nie! Ingrid Reuter, die Fraktionschefin im Stadtrat, sitzt vorm kalten Schmelzofen und erinnert das Flehen mancher Anhänger im Straßen-Wahlkampf: "Es muss sich was ändern," berichtet Reuter händeringend, "es könne doch nicht so weitergehen wie die letzten 74 Jahre."

Nein, das sei "keine gefühlsmäßige Frage - das ist eine Frage der Demokratie." Dortmund brauche "den Wechsel." Exakt das, den Wechsel, verlangt auch Felix Banaczak, der grüne Landesvorsitzende und fordert die SPD in ihrem Stammland heraus: Als "zentrale Kraft der linken Mitte" seien die Grünen nun stärker denn je, "und wir haben keinen Nerv mehr, im Ruhrgebiet als Stimmvieh der SPD betrachtet zu werden."

Da schwingt auch die Lust mit, es den Genossen heimzuzahlen. Sie belächeln ihren "last man standing" als Macho, verspotten Westphals Kleidung - Sakko und Sommerhose, T-Shirt und Sneakers - als "Out-fit eines FDP-Mannes aus Düsseldorf" (was im Revier den Tatbestand übler Nachrede erfüllt). Wochenlang kursierte in Dortmunds alternativer Stadtgesellschaft der Link zum Video einer Kandidaten-Debatte bei den "Parents for Future."

Als da ein Rollstuhlfahrer dem Sozialdemokraten den geringen Anteil des Radverkehrs in Dortmund vorhielt, monierte Westphal die "manipulativste Fragetechnik" und fügte hinzu: "Ich bin hier um auszureden." Tatsächlich bekam der SPD-Mann die kritischsten Fragen, aber jener Auftritt, so glaubt ein führender Grüne, "hat Westphal enorm viel Sympathien gekostet." Eine Parteifreundin sagt es drastischer: "Da war sie live - die breitbeinige, allzeit arrogante SPD."

Westphal selbst fand sich "einfach ehrlich" in dem Moment: "Sonst heißt es immer, wir Politiker seien alle aalglatt." Der Sozialdemokrat ahnt, "dass da auch viel auf mich projiziert wird", was andere meint. Seine Partei etwa, oder auch den Amtsinhaber Uli Sierau, der im Stadtrat gern mit rauem Ton durchregierte. Nur, das sagt Westphal so natürlich nicht.

Beim Abschied von der "Sonnenseite" in Eving klingt der SPD-Kandidat dann eher bescheiden: "Bitte nicht vergessen - am Sonntag wählen", mahnt er die Genossen. Die nicken, auch noch, als Roland Fröhling sein Wort gibt: "Is ja klar - das wird diesmal ne knappe Geschichte."

© SZ vom 26.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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