Niedersachsen:Rot-schwarz in Niedersachsen: ein Bündnis aus uralten Zeiten

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Niedersachsen in schwarz-weiß: 1970 bekommt der CDU-Kultusminister und frühere NSDAP-Kreisleiter Richard Langeheine (links) vom SPD-Ministerpräsidenten Georg Diederichs das große Bundesverdienstkreuz verliehen. (Foto: dpa-Bildarchiv)
  • Zuletzt reagierten SPD und CDU in Niedersachsen im Jahr 1970 gemeinsam. Notgedrungen müssen sie sich nun erneut zusammenschließen.
  • Für die Alternative Rot-Grün fehlen zwei Sitze, die FDP lehnt eine Ampelkoaliton ab und Minderheitenregierungen sind in Deutschland unpopulär.
  • Wie die Wahlkampfthemen zeigten, sind SPD und CDU inhaltlich gar nicht so weit voneinander entfernt. Nun beginnt das Gerangel um Posten.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Man muss etwas tiefer in die neue deutsche Geschichte eintauchen, um in Niedersachsen auf einen Verbund von SPD und CDU zu treffen. Von 1967 bis 1970 gab es zwischen Ostfriesland und dem Harz letztmals eine große Koalition, der Ministerpräsident hieß Georg Diederichs. Der Sozialdemokrat Diederichs hatte für seinen Widerstand gegen die NS-Diktatur im Gefängnis gesessen - nun saßen in seinem Kabinett auch ehemalige Mitglieder der NSDAP, die sich der CDU angeschlossen hatten, unter ihnen der stellvertretende Ministerpräsident und Kultusminister Richard Langeheine (CDU). So waren die Zeiten, lange her.

Die zehn Regierungsmänner, je fünf aus beiden Parteien, sind längst tot. Nur ältere Menschen haben das am Ende gescheiterte Experiment noch vor Augen. "Da war eine gewisse Akzeptanz und Stabilität", erzählt Herbert Schmalstieg, der damals Juso war und nachher 34 Jahre lang Hannovers SPD-Bürgermeister. "Bis seinerzeit die CDU Rechte aufnahm." Sogar einen NPD-Abgeordneten holte sich die CDU damals in die Fraktion, die alte GroKo zerbrach. Fast ein halbes Jahrhundert später beobachtet Schmalstieg, inzwischen 74, nun, wie eine neue GroKo erwacht, während sie im Reichstag gerade eindämmert. Begeistert ist auch er nicht, aber: "Es scheint der einzige Ausweg zu sein."

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So sieht es aus. Ministerpräsident Stephan Weil und die SPD gewannen die vorgezogenen Landtagswahlen am 15. Oktober zwar klar, für eine Mehrheit hat Rot-Grün allerdings zwei Sitze zu wenig. Die FDP lehnt die rechnerisch mögliche Alternative Ampel ab, für Schmalstieg ein Fehler. Von einer ebenfalls arithmetisch denkbaren Variante Jamaika der drei Wahlverlierer CDU, FDP und Grüne wollen die Grünen nichts wissen. Eine Minderheitsregierung wiederum ist in Deutschland anders als in Skandinavien unpopulär. Das alles hat zur Folge, dass SPD und CDU seit Dienstag offiziell verhandeln und sich rasch einigen wollen, obwohl das auch für Schmalstieg eine Zweckehe ist.

Ein Offizier und ein Bücherfreund: Unterschiedliche Charaktere müssen zusammenfinden

"Ein erste Lesung" sei dies gewesen, informierte Weil nach Beginn der Gespräche. CDU-Spitzenmann Bernd Althusmann erlebte eine "sportliche Sitzung" und eine "tragfähige und vertrauensvolle Beratung", in Kürze wird weiter über Finanzen, Umwelt, Sicherheit oder Volkswagen diskutiert.

Waren die beiden Erzrivalen in Niedersachsen nicht bis zuletzt verkracht? Verfeindet? Seit 47 Jahren wechselten sich SPD und CDU in diesem weiten Bundesland ungefähr alle zwei Legislaturperioden ab, stets im heftigen Konkurrenzkampf. Auf Diederichs und Alfred Kubel von der SPD folgte Ernst Albrecht von der CDU, der Vater der heutigen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Dann kam Gerhard Schröder von der SPD, abgelöst von den Genossen Gerhard Glogowski und Sigmar Gabriel. Danach war Christian Wulff und anschließend David McAllister von der CDU an der Reihe, seit 2013 führt Weils SPD das Kommando.

Manche dieser Niedersachsen wurden nachher Kanzler, Bundespräsident oder Außenminister. Vielleicht trugen auch die verschiedenen Milieus der Region dazu bei, die politischen Lager zu schärfen. Hier Industriearbeiter, vor allem bei VW. Dort Großbauern und Massentierhaltung versus Ökologie. Die niedersächsische CDU wirkt ein wenig konservativer und die niedersächsische SPD latent progressiver als im Bundesschnitt. Dazu kam "eine Reihe von persönlichen Dingen", sagt Herbert Schmalstieg. Vor allem aus der Ära Wulff entsinnt er sich schwerer Attacken der CDU, "das war zum Teil verletzend".

Bis vor Kurzem hatten sich Amtsinhaber Weil und sein CDU-Herausforderer Althusmann eifrig gefetzt. Althusmann trägt seit seiner Offizierslaufbahn den Spitznamen Panzer. Herbert Schmalstieg weiß noch, wie der Reservist, Pädagoge und Betriebswirt Althusmann 1994 von der Bundeswehr in den Landtag kam. Der Jurist und Bücherfreund Weil dagegen war Schmalstiegs Stadtkämmerer und sein Nachfolger im Rathaus - zwei eher unterschiedliche Typen also.

Im Wahlkampf stritten sich die beiden unter anderem über VW und über die Flucht der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU. Ihr Fernsehduell war so lebendig, wie man es sich von Angela Merkel und Martin Schulz gewünscht hätte. Das Ergebnis: SPD und CDU blieben mehr oder weniger stark, die AfD zog nur knapp in den Landtag ein, die Linken bleiben draußen. Jetzt berichtet Weil auf Facebook von einer "beiderseits bestehenden Bereitschaft, das Kriegsbeil zu begraben". Auch Althusmann ist guter Dinge. Noch im November soll die Regierung stehen.

"Letztlich sind das alles Profis", sagt der Politologe Simon Fink, Professor an der Uni Göttingen. Er hat das mit der großen Koalition schon in der Wahlnacht geahnt, als Althusmann bekannt gab, Regierungsmitverantwortung übernehmen zu wollen. Genaugenommen habe er bereits als Wähler den Eindruck gehabt, als seien viele Sprüche auf den Plakaten so unterschiedlich gar nicht gewesen. Mehr Bildung, mehr Kitas, mehr Polizei, da sind sich die vormaligen Widersacher relativ einig. Und Fink gibt zu bedenken, dass zum Beispiel auch Schwarz-Grün in Hessen geräuscharm zusammenarbeite, obwohl das in den Anfängen eines Joschka Fischer dort kaum vorstellbar gewesen wäre.

Die große Koalition könnte nach Belieben regieren - anders als die Vorgänger

Inhaltlich gebe es keine größeren Probleme, glaubt ein Christdemokrat, der seinen Namen lieber für sich behält. Es gehe eher um Posten. Zum Beispiel um den des Innenministers, den Boris Pistorius aus der SPD robust besetzt und den der in Sachen innere Sicherheit auch bewanderte CDU-Althusmann gerne hätte. "Mit Weil hatten wir nie echte Probleme", behauptet der Eingeweihte. Und der Zwist um Twesten und um VW habe "uns auch nicht geholfen".

Drei Viertel der Stühle werden SPD und CDU im frisch renovierten Landtag von Hannover besetzen. Gemeinsam könnten sie - anders als zuvor die mit knappem Vorsprung regierende Kombination Rot-Grün - nach Belieben entscheiden. "Für eine lebendige parlamentarische Demokratie ist das sicher kein Idealzustand", schreibt Stephan Weil, doch es brauche eben "eine stabile und handlungsfähige Landesregierung." Eine GroKo könnte den rechten Rand stärken, befürchtet Herbert Schmalstieg, so ähnlich hatte man das ja zuletzt in Berlin erlebt. Der Unterschied: In Niedersachsen wird die SPD das Kommando führen und die CDU der Juniorpartner sein.

Die niedersächsischen Jusos sind gegen den Deal mit der Union. Schmalstieg spricht von staatspolitischer Verantwortung, doch eine große Koalition müsse eine Ausnahme "in absoluten Notsituationen" sein. Niemand will Neuwahlen. Und Schmalstieg mag sich nicht ausmalen, wenn bei einer Kampfabstimmung im Parlament die AfD über Niedersachsens Ministerpräsidenten mitbestimmen dürfte.

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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