Wagt Mohammed Mursi tatsächlich die Machtprobe mit dem Militär? Oder ist die Entlassung von Verteidigungsminister Hussein Tantawi, der dem ägyptischen Präsidenten in Zukunft als Berater dienen soll, mit dem Militärrat abgesprochen? Fest steht: Mursi entledigt sich damit eines langjährigen Vertrauten des gestürzten Machthabers Mubarak - und ernennt einen Reformer zu seinem Vizepräsidenten. Ein Überblick über die Personalrochade.
[] Der 76-jährige Feldmarschall Hussein Tantawi galt lange Zeit als enger Vertrauter Hosni Mubaraks und war unter diesem fast 20 Jahre lang ägyptischer Verteidigungsminister. Nach dem Sturz Mubaraks übernahm Tantawi als Leiter des Militärrats de facto die Macht in Ägypten. Ende Juni 2012 hatte Tantawi zwar formell die oberste Staatsgewalt an den gewählten Präsidenten Mursi übergeben. Doch der Militärrat hatte sich die zentralen Machtbefugnisse im Land gesichert. Mursi hob gleichzeitig mit der Entlassung Tantawis auch die Sonderrechte des Militärs auf. Die Hintergründe der Personalie sind rätselhaft: Einerseits wurde schon länger spekuliert, der 76-Jährige würde sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurückziehen. Andererseits hatte Mursi ihn gerade erst zum Verteidigungsminister ernannt, höchstwahrscheinlich jedoch nicht ganz freiwillig.
[] Auch Stabschef Sami Anan galt einst als enger Vertrauter Mubaraks - und muss nun gehen. Der 64-Jährige unterhielt enge Beziehungen zu den USA, die das ägyptische Militär vor, während und nach dem Machtwechsel unterstützt haben. Als der Aufstand gegen Mubarak begann, hielt sich Anan gerade in den USA auf.
[] Präsident Mursi setzte am Sonntag den ehemaligen Richter Mahmud Mekki als seinen Vizepräsidenten ein, einen Bruder von Justizminister Ahmed Mekki. Der Richter hatte sich unter Mubarak bereits 2006 öffentlich gegen Wahlbetrug ausgesprochen und tritt seitdem als Verfechter von Reformen auf.
[] Neuer Verteidigungsminister und Kopf des Militärrats wird Abdel Fattah al-Sisi. Der bisherige Geheimdienstchef des Militärs gilt als fromm, soll aber kein Mitglied der Muslimbruderschaft sein, aus der Mursi kommt, aber selbst kein Mitglied mehr ist. Aus seiner bisherigen Arbeit kennt er die Akten vieler Kameraden, auch jener, die dem Präsidenten gefährlich werden könnten. Öffentlich trat er - unrühmlich - im Juni 2011 in Erscheinung, als er der Menschenrechtsorganisation Amnesty International bestätigte, das Militär habe an Demonstrantinnen "Jungfrauentests" vornehmen lassen. Der General verteidigte die Tests: Die Armee habe sich so vor Vergewaltigungsvorwürfen schützen wollen.
Die ägyptische Öffentlichkeit hat die Entmachtung der Armeeführung mit großer Zustimmung aufgenommen. Der frühere Dissident und Generaldirektor der Atomenergiebehörde (IAEA), Mohammed ElBaradei, sprach am Montag von einem "Schritt in die richtige Richtung".
Auch Vertreter der Protestbewegung, die im Februar 2011 zum Sturz des damaligen Präsidenten Hosni Mubarak geführt hatten, äußerten sich positiv. Kritik kam aus Juristenkreisen. Tenor: Mursi habe kein Recht, die provisorische Verfassung zu ändern.
Berichten amtlicher Medien zufolge war der Schritt mit den Generälen abgesprochen. Beobachter bezweifeln allerdings, dass Mursi den politischen Machtkampf damit bereits endgültig für sich entscheiden konnte. Der bislang mitherrschende Militärrat äußerte sich zunächst nicht zu den Ereignissen. Damit bleibt unklar, in welchem Umfang Tantawi und andere Generäle vorab über ihre Entmachtung informiert worden waren.
Die personellen Entscheidungen wurden auch als Reaktion auf ein offensichtliches Versagen der ägyptischen Sicherheitskräfte in der vergangenen Woche interpretiert. Bei einem Überfall auf einen israelisch-ägyptischen Grenzübergang auf der Halbinsel Sinai waren 16 Soldaten getötet worden. Dabei hatte selbst der ungeliebte Nachbar Israel vor einem bevorstehenden Angriff gewarnt. Dass die ägyptischen Sicherheitskräfte keine entsprechenden Vorkehrungen trafen, kostete in der vergangenen Woche bereits dem Geheimdienstchef und Gouverneur der Region den Job.
In einer Ansprache am späten Sonntagabend bemühte sich Mursi, den Streitkräften zu schmeicheln. Er werde sie stets bei der Erfüllung "ihrer geheiligten Aufgabe zum Schutz der Nation" unterstützen, sagte er blumig. "Meine Entscheidungen zielten nie darauf ab, irgendeine staatliche Institution zu beleidigen", fügte er hinzu. Das wäre wohl auch zu gefährlich. Und dazu passt auch, dass er Tantawi und Anan zu seinen Beratern ernennt - und ihnen zum Abschied Orden verleiht.