Die Einheitlichkeit macht den Übergang Ägyptens in ruhige Verhältnisse sicher leichter. Anders als in Syrien oder Irak gibt es in Ägypten kein Völkergemisch, die größte religiöse Minderheit sind die Christen, das bewohnte Territorium ist seit Jahrtausenden dasselbe.
Der Sinai ist eine Ausnahme. Zwischen Sueskanal und israelischer Grenze erstreckt sich ein Wüstenstreifen, anderthalbmal so groß wie die Schweiz, durch dessen Täler Beduinen ziehen, die den ägyptischen Staat - den alten wie den neuen - als Besatzungsmacht betrachten. Das Misstrauen zwischen den Beduinen und den Machthabern am Nil könnte nicht größer sein. Die Beduinen sind verelendet und deklassiert. Nach Anschlägen auf Hotels litten sie schon in der Vergangenheit unter willkürlichen Festnahmen.
Nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak entglitt die Region der Kontrolle Ägyptens, dessen Militär durch den Friedensvertrag auf dem Sinai zugegebenermaßen nicht so operieren kann, wie es möchte. Angesichts der Konzentration auf eigene Wirtschaftsinteressen und den Machterhalt ist es oft aber auch abgelenkt. Entführungen von Touristen, Menschenhandel nach Israel, Schmuggel in den nahen Gaza-Streifen waren eine Folge. Nun aber gibt es eine neue Dimension: Islamisten auf dem Sinai haben einen Grenzposten nach Israel überfallen, die ägyptische Armee hat ägyptische Dörfer mit Kampfhubschraubern bombardiert.
Dschihadisten aus dem Gaza-Streifen oder aus dem lokalen Beduinen-Volk zündeln an einer der heikelsten Grenzen der Welt. Was, wenn es ihnen gelingt - nicht mit diesem, aber vielleicht mit einem der nächsten Anschläge -, Ägypten und Israel gegeneinander aufzuhetzen? Die Ägypter, ausgelaugt durch mehr als ein Jahr postrevolutionärer Wirren, sind ohnehin bereit, Israel Schlimmstes zuzutrauen. Niemand will einen Krieg, aber in der Vergangenheit hat man gesehen, wie leicht selbst kalkulierte antiisraelische Empörung außer Kontrolle geraten kann.
Elendsquartier für globale Gotteskrieger
Monat für Monat ist die Anarchie auf dem Sinai gewachsen. Inzwischen heißt es, die Halbinsel könne ein neuer Jemen werden, ein Elendsquartier für globale Gotteskrieger, die sich in einem gescheiterten Beduinen-Rumpfstaat einrichten und von dort aus vor allem Israel bedrohen, aber auch die im Vergleich fast zivile Hamas im Gaza-Streifen. Vor allem aber bedroht sie die Einheit Ägyptens.
Dass die Gegner des islamistischen Präsidenten Mursi nach den Anschlägen Morgenluft wittern, sollte niemanden trösten. Sie werfen ihm angesichts seines Kuschelkurses gegenüber verurteilten Militanten vor, er hätschele Gesinnungsgenossen der Angreifer und könne keine glaubwürdige Operation gegen die Radikalen durchführen. Aber ein säkularer Präsident hätte es auf der Halbinsel nicht leichter. Zu lange hat die Regierung die Region mehr bekämpft als entwickelt. Ägypten muss den Sinai zurückerobern. Das wird lange dauern. Und Kampfhubschrauber allein werden dafür nicht reichen.