Terror-Vorwurf gegen Erdoğan-Gegner Gülen
Gut drei Monate vor der Parlamentswahl in der Türkei geht die Justiz weiter gegen Gegner des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor. Ein Istanbuler Gericht erließ am Dienstag Haftbefehl gegen Erdoğans Erzfeind Fethullah Gülen, wie die Zeitung Cumhuriyet meldete. Die Staatsanwaltschaft werfe dem muslimischen Prediger sowie dem regierungskritischen Journalisten und früheren Polizisten Emre Uslu "Gründung und Führung einer bewaffneten Terrororganisation" vor. Beide leben in den USA.
Damit nimmt die Schwere der Vorwürfe gegen Gülen zu. Bereits im Dezember hatte ein Istanbuler Gericht Haftbefehl gegen ihn erlassen. Die Anklage beschuldigte Gülens "Hismet"-Bewegung damals, eine "kriminelle Vereinigung" zu sein. Unklar ist, ob die Türkei die Auslieferung Gülens und Uslus bei den USA beantragt hat.
Regierungsnahe Medien hatten Uslu vor wenigen Tagen beschuldigt, hinter dem Pseudonym Fuat Avni zu stecken. Unter diesem Namen verrät ein Whistleblower seit mehr als einem Jahr über Twitter Interna aus Regierung und Behörden. Dazu gehören beispielsweise bevorstehende Festnahmen von angeblichen Regierungsgegnern. Uslu wies das zurück.
Prediger Gülen vs. Erdoğan:"Beifall für einen Leuchtkäfer"
Fethullah Gülen, 72, ist der wichtigste Prediger der islamischen Moderne - nun wirft ihm der türkische Ministerpräsident Erdoğan vor, aus dem US-Exil einen Staatsstreich zu planen. Porträt eines gemäßigten Mannes, dessen Bewegung schon öfter verteufelt wurde.
Im Dezember waren auch der Chefredakteur der Gülen-nahen Zeitung Zaman, Ekrem Dumanli, und der Chef des Gülen-nahen Medienkonzerns Samanyolu, Hidayet Karaca, unter Terrorverdacht festgenommen worden. Dumanli wurde unter Auflagen freigelassen, Karaca sitzt weiter in Haft.
Haftbefehle und Festnahmen nach Abhörskandal
Die Haftbefehle gegen Gülen, Uslu und mehrere weitere Verdächtige wurden im Zuge von Ermittlungen wegen hunderter abgehörter Telefongespräche erlassen, bei denen Erdoğan - damals noch als Ministerpräsident - und andere Regierungsvertreter ausspioniert worden waren. Vor rund einem Jahr über soziale Medien veröffentlichte Mitschnitte brachten die Regierung vor wichtigen Kommunalwahlen unter Korruptionsverdacht.
Auch jetzt stehen wieder Wahlen an, am 7. Juni wählt die Türkei ein neues Parlament. Erdoğan verfolgt das Ziel, ein Präsidialsystem mit ihm an der Spitze einzuführen, wofür eine Verfassungsänderung notwendig wäre. Dafür müsste die islamisch-konservative AKP, zu deren Mitbegründern Erdoğan zählt, eine Zweidrittelmehrheit der Sitze gewinnen. Eine 60-Prozent-Mehrheit würde für ein Referendum über eine Verfassungsänderung ausreichen.