Israel:Netanjahu meldet Regierungsbildung - und läutet damit erneut unruhige Zeiten ein

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Fast in letzter Minute informiert der designierte Premier den israelischen Präsidenten über einen erfolgreichen Abschluss der Koalitionsverhandlungen. Doch für Netanjahu dürften die Probleme nun erst beginnen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Regierungsbildung in Israel ist Nervensache. Bis um Mitternacht am Mittwoch hatte der designierte israelische Premierminister Benjamin Netanjahu Zeit, dem Staatspräsidenten Isaac Herzog Vollzug zu melden - und er nutzte diese Frist fast bis zum Ende. Exakt 30 Minuten vor Ablauf informierte er Herzog am Telefon darüber, dass er die Koalitionsverhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss geführt hat. Nun ist der Weg frei dafür, dass in Kürze ein neues Kabinett in Jerusalem vereidigt werden kann. Doch dass sich der Prozess der Regierungsbildung nun fast schon zwei Monate hingezogen hat, kann als Indiz dafür gelten, dass die Atmosphäre unter den Koalitionären von Beginn an angespannt ist.

Unmittelbar nach der Parlamentswahl am 1. November hatte noch Triumphstimmung geherrscht im rechts-religiösen Block, den Netanjahu um sich geschart hat. Nur anderthalb Jahre nach dem Machtverlust war Israels Langzeitpremier bei dieser fünften Wahl innerhalb von dreieinhalb Jahren ein überzeugendes Comeback gelungen: 64 Sitze für sein Lager im 120-köpfigen Parlament sind eine für israelische Verhältnisse recht komfortable Mehrheit. Exakt die Hälfte dieser Sitze entfällt auf Netanjahus Likud, die andere auf die ultraorthodoxen und rechtsextremen Partner.

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Die klare Ansage lautete: Nun wird durchregiert mit einer komplett rechten Koalition. In israelischen Oppositionskreisen und auch im Ausland hat das gleich einige Besorgnis ausgelöst. Schließlich bekennt sich niemand im künftigen Regierungslager mehr zu einer geforderten Zweistaatenlösung mit den Palästinensern, propagiert wird stattdessen ein intensivierter Siedlungsbau. Teile der Regierung sind offen rassistisch, homophob und illiberal in gesellschaftlichen wie religiösen Fragen.

Alle Mitarbeiter Netanjahus mussten zum Lügendetektortest

Vollmundig war zunächst eine Regierungsbildung binnen zweier Wochen angekündigt worden, doch dann wucherte das Misstrauen auf allen Ebenen - bis ins unmittelbare Umfeld Netanjahus. Dessen Mitarbeiter mussten sich in den vergangenen Tagen allesamt einem Lügendetektortest unterziehen, um eine undichte Stelle zu finden, nachdem Interna an die Medien durchgestochen worden waren.

Netanjahu selbst hat sich in seinen langen Jahren in der Politik den Ruf erworben, noch jeden Partner hintergangen oder über den Tisch gezogen zu haben. Dies schlug nun durch auf die Koalitionsverhandlungen, bei denen sich niemand auf bloße Versprechungen des künftigen Regierungschefs verlassen wollte. Nicht einmal schriftliche Absprachen waren genug. Stattdessen wurde eine ganze Palette an gesetzlichen Regelungen ersonnen, die nun noch vor Vereidigung der neuen Ministerriege durchs Parlament gepeitscht werden müssen.

Diese Gesetzesvorhaben sind allesamt auf einzelne Minister zugeschnitten. So gibt es eine Regelung, die klarstellt, dass nur eine Haft hinter Gittern die Ernennung zum Minister verhindert. Dies erlaubt es dem Chef der ultraorthodoxen Schas-Partei, Arye Deri, der zu Jahresbeginn wegen Steuerhinterziehung eine Bewährungsstrafe aufgebrummt bekam, im neuen Kabinett Innen- und Gesundheitsminister zu werden.

Voraussichtlich kommende Woche wird er wieder Israels Regierungschef sein: der designierte Premier Benjamin Netanjahu. (Foto: Ilia Yefimovich/picture alliance/dpa)

Für Itamar Ben-Gvir von der rechtsradikalen Partei Jüdische Stärke wird per Gesetz geregelt, dass er als Minister für Nationale Sicherheit eine weitgehende Kontrolle über die Polizei erhält. Dem künftigen Finanzminister Bezalel Smotrich von den Religiösen Zionisten wird gesetzlich noch ein zweiter Ministerposten im Verteidigungsressort zugesichert, der ihm alle zivilen Angelegenheiten im Westjordanland - darunter auch den Siedlungsbau - unterstellt.

Er will alles lenken. Damit ist er für alles in der Verantwortung

All dies wollen Netanjahus Partner erst in trockenen Tüchern haben, bevor im Parlament über den neuen Premier abgestimmt wird. Nach derzeitigem Plan kann die Regierung demnach frühestens Mitte nächster Woche vereidigt werden. Danach erst soll es ans Regieren gehen - und dem Land dürften dann unruhige Zeiten bevorstehen. Zu den Vorhaben der Koalition zählt zum Beispiel eine Beschneidung der Kompetenzen des Obersten Gerichts. Kritiker sehen darin einen direkten Angriff auf Israels Demokratie und haben eine Welle von Protesten angekündigt.

Unter scharfer Beobachtung wird die neue Regierung zudem auch von außen stehen, vor allem bei Israels engstem Verbündeten, den USA. Dort gibt es deutliche Vorbehalte gegen Ministerämter für die beiden Rechtsausleger Ben-Gvir und Smotrich. Zur Beruhigung hat Netanjahu in Richtung Washington zwar bereits verkündet, dass er in dieser Regierung die Hände am Lenkrad haben werde. Dies aber bedeutet auch, dass er für alles, was diese Regierung tut, die alleinige Verantwortung wird übernehmen müssen.

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