Neonazis in Ostdeutschland:Eine Stadt bekämpft den rechten Pöbel

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Mit Molotowcocktails und Pflastersteinen zog vor 20 Jahren ein Mob von Neonazis durch Hoyerswerda. 32 Menschen wurden damals bei den Ausschreitungen verletzt. Heute ist die Stadt eine andere: kleiner, freundlicher, wirtschaftlich gesünder. Doch Ausländer werden in Hoyerswerda weiterhin angefeindet.

Christiane Kohl

"Mitwisser gesucht", heißt es neuerdings im Schulunterricht der sächsischen Kleinstadt Hoyerswerda. Jugendliche aus drei Schulklassen wollen erkunden, was an jenen Septembertagen vor genau 20 Jahren geschah, als ein brauner Mob durch die Industriestadt tobte und die Bewohner eines Ausländerwohnheims tagelang mit Molotowcocktails und Pflastersteinen bewarf.

Hoyerswerda im September 1991: Ein Asylbewerber schaut durch das eingeschlagene Fenster eines Wohnheims, das von Neonazis angegriffen wurde. (Foto: dpa)

32 Menschen wurden damals verletzt, es waren die ersten Krawalle dieser Art in den neuen Bundesländern, weitere folgten in Rostock und anderswo. In Hoyerswerda aber hat sich viel getan seit den Ereignissen von 1991. "Wir können und wollen nicht vergessen, was geschehen ist, es gehört leider zu unserer Stadtgeschichte", sagt Oberbürgermeister Stefan Skora, "doch die Stadt ist eine andere geworden."

Schon am Stadtbild ist erkennbar, wie sehr der Ort, der im alten Siedlungsraum der Sorben liegt, sich verändert hat in den vergangenen Jahren. Wo einst bröckelnde Fassaden die löchrigen Straßen säumten, gruppieren sich nun fein restaurierte Häuser um das historische Stadtschloss und den sorgfältig gepflasterten Markt. Wo graue, endlose Plattenbauten die Sicht verdüsterten, haben Stadtplaner Schneisen in den DDR-Beton geschlagen, sie öffneten Sichtachsen und bildeten neue, wohnliche Zentren in der Plattenbausiedlung.

"Wir sind nicht gegen etwas"

Doch die wichtigsten Veränderungen stießen die Bewohner selber an. So bildeten sich zahlreiche Initiativen, in denen sich Bürger heute für Demokratie, Toleranz und kulturelle Vielfalt engagieren.

In der "Initiative Zivilcourage" haben sie sich locker zusammengeschlossen. Da arbeiten Mitglieder des Sportvereins mit Aktivisten des Verbandes der Verfolgten des Naziregimes zusammen, Umweltschützer kooperieren mit Kirchenleuten, und auch Firmen sind aktiv. "Wir sind nicht gegen etwas, sondern für ein tolerantes Miteinander", sagt Sabine Proksch von der Kulturfabrik Hoyerswerda.

Auch das Projekt "Mitwisser gesucht" wird von der Kulturfabrik mit organisiert. Es erreicht etwa 30 Jugendliche, die, zwischen 13 und 15 Jahre alt, zum Zeitpunkt der Krawalle noch gar nicht geboren waren. In den kommenden Monaten wollen sie Polizisten und Bürger wie auch Asylbewerber und Betroffene von einst nach Erinnerungen befragen.

Asylbewerber gibt es heute keine mehr in Hoyerswerda. Doch erst vor wenigen Tagen hat Bürgermeister Skora zwei Opfer der Krawalle von damals begrüßt. Gemeinsam besuchte er mit ihnen eine Ausstellung, die an die Ereignisse von 1991 erinnert: Lageberichte der Polizei sind da zu sehen, auch einige Fotos, auf denen sich einer der beiden Schwarzen gleich wiedererkennt.

Oberbürgermeister Skora nimmt die Eröffnung der Ausstellung zum Anlass, um sich noch einmal zu entschuldigen für das, was damals geschah. Einige junge Leute aber sehen das offenbar anders. Sie stoßen Affenlaute aus, rufen den beiden Besuchern "Bimbo" und "Neger" hinterher, es fallen noch schlimmere Worte.

Offenbar sind Projekte wie "Mitwisser gesucht" bitter nötig. Auch versuchen rechtsradikale Gruppen immer wieder, in der Region Fuß zu fassen. So war am 1. Mai des vergangenen Jahres ein Aufmarsch von Rechtsradikalen in Hoyerswerda geplant. Ein Bündnis aus Vertretern aller Parteien stemmte sich dagegen, Bürger und Politiker besetzten den zum Aufmarsch vorgesehenen Platz, und der Oberbürgermeister, ein CDU-Mitglied, trat auf einer Kundgebung der Linkspartei den Rechten entgegen.

"Ich war wohl der erste CDU-Bürgermeister in Sachsen, der das gewagt hat", sagt Skora heute. Seine Stadt sei "kein Schwerpunkt der Rechtsradikalen mehr", sagt Skora. Andere sächsische Kommunen seien schlimmer betroffen. Seit der letzten Kommunalwahl sitzt jedoch auch im Stadtrat von Hoyerswerda ein NPD-Vertreter - eines von 30 Mitgliedern des Rates.

Im Schatten der "Schwarzen Pumpe"

Hoyerswerda gehört zu jenen Städten in Ostdeutschland, die nach dem Untergang der DDR mit besonderer Wucht von den Umbrüchen getroffen wurden. Ursprünglich ein Städtchen mit etwa 7000 Einwohnern, wurde der Ort nach dem Zweiten Weltkrieg zur sozialistischen Mustersiedlung ausgebaut: Es gab Braunkohletagebau in der Gegend, ein paar Kilometer entfernt entstand das Gaskombinat "Schwarze Pumpe" - und so zog es mehr und mehr Menschen in die Region. Anfang der achtziger Jahre war eine neue Stadt entstanden, die Kommune zählte 72.000 Einwohner.

Nach der Wende aber brachen die alten Industriezweige der Region zusammen, bis zu 150.000 Arbeitsplätze verschwanden, die Arbeitslosenquote kletterte auf 25 Prozent. Der Wiederaufbau war mühsam. Zunächst musste die Stadt sich gesundschrumpfen: "Wir haben die Ränder aufgegeben und versucht, die Lebensqualität in der Mitte zu stärken", sagt Skora.

Etwa 10.000 Wohnungen wurden abgerissen, mittlerweile zählt die Stadt nur noch 36.000 Einwohner. Auch die Arbeitslosenquote ist auf 12 Prozent gesunken. Die Situation hat sich stabilisiert, doch die Vergangenheit bleibt ein Vermächtnis. "Wir müssen tagtäglich an die Ereignisse von 1991 erinnern", sagt Bürgermeister Skora, "und nicht nur an runden Jahrestagen".

© SZ vom 16.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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