Frankreich:Macron will Krawalle stoppen

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Die berühmte Pariser Einkaufsmeile Champs Élysées wurde von mehreren hundert Polizisten geschützt. (Foto: Nacho Doce/Reuters)

Die Welle der Gewalt nach dem Tod eines 17-Jährigen ebbt leicht ab. Doch es kommt weiterhin zu bedrohlichen Gewaltexzessen. Der Präsident will seinen Staatsbesuch in Deutschland nachholen.

Von Thomas Kirchner, München

Nach dem Tod eines 17-Jährigen durch eine Polizeikugel halten die Ausschreitungen in ganz Frankreich an. Diese schwächten sich in der Nacht zu Sonntag nur leicht ab, die Lage bleibt instabil. Präsident Emmanuel Macron sagte den geplanten Staatsbesuch in Deutschland wegen der Unruhen ab.

Die Behörden setzten in der Nacht zu Sonntag wieder 45 000 Polizisten sowie gepanzerte Fahrzeuge ein. Nach 1311 Festnahmen in der Nacht zuvor wurden bis Sonntagmorgen 719 gezählt. Während es in Paris und den Vorstädten ruhiger war als zuvor, kam es vor allem in Marseille wieder zu Gewaltexzessen und langen Straßenschlachten mit der Polizei. Dort und anderswo wurden viele Geschäfte zerstört und geplündert.

In der Hauptstadt wollten Randalierer auf die Prachtstraße Champs-Élysées ziehen, was die Polizei mit mehreren hundert Mann verhindern konnte. Schaufenster waren mit Brettern vernagelt worden. Laut Finanzminister Bruno Le Maire sind seit Dienstag mehr als 700 Läden, Supermärkte, Restaurants und Bankfilialen geplündert oder zerstört worden.

Die Großmutter des Jugendlichen sprach sich nach der fünften Krawallnacht für ein Ende der landesweiten Ausschreitungen aus. Die von französischen Medien Nadia genannte Frau sagt, dass die Randalierer den Tod des 17-jährigen Nahel als Vorwand nutzten, um Unruhe zu stiften. Die Familie wolle aber Ruhe. "Nahel ist tot. Meine Tochter ist verloren ... sie hat kein Leben mehr", sagt Nadia dem Sender BFM TV. "Zerstört nicht die Schulen, zerstört nicht die Busse ... Ich fordere sie [die Randalierer] auf, aufzuhören."

Die Regierung schreckt weiterhin davor zurück, den Notstand auszurufen

Präsident Macron wollte am Sonntagabend im Élysée-Palast einen Situationsbericht abgeben. Die Regierung schreckt weiterhin davor zurück, den Notstand auszurufen. In vielen Städten haben Behörden jedoch Demonstrationen verboten und angeordnet, dass die öffentlichen Verkehrsmittel am Abend nicht mehr fahren dürfen. Der getötete Nahel M. wurde, begleitet von Tausenden Menschen, am Samstag ohne Zwischenfälle in seinem Wohnort Nanterre bei Paris beerdigt.

Äußerungen in der Presse zufolge ist bei vielen Franzosen die Empörung über die Tat des Polizisten der Empörung über die Zerstörungswut der Jugendlichen gewichen. In den sozialen Medien sehen sie, wie Randalierer mit einem Lamborghini unter Gejohle in einen Supermarkt rasen oder in einem Dutzend neuer Volkswagen ein geplündertes Autohaus verlassen. Die Videos laufen unter den Hashtags "Gerechtigkeit für Nahel" oder "Polizeigewalt".

Doch inhaltlich lässt sich das aus Sicht vieler Franzosen nur noch mit Mühe miteinander verbinden. Das gilt auch für den schockierenden Angriff, von dem Vincent Jeanbrun, Bürgermeister von L'Haÿ-les-Roses bei Paris, am Sonntagmorgen erzählte. Sein Haus war in der Nacht mit einem brennenden Auto gerammt worden. Seine Familie floh vor der Meute in den Garten; beim Versuch, eine Mauer zu überwinden, verletzten sich seine Frau und eines seiner Kinder. Die Staatsanwaltschaft sprach von einem "extrem schweren Vorfall" und ermittelt wegen versuchten Mordes.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bedauerte laut einer Sprecherin Macrons Absage, äußerte aber "vollstes Verständnis". Der Besuch soll nachgeholt werden. Sein Gast hatte von Sonntag bis Dienstag mit Terminen in Marbach, Ludwigsburg, Berlin und Dresden ein umfangreiches Programm absolvieren wollen. Steinmeier will nun trotzdem in Ludwigsburg an der Feier zu 75 Jahre Deutsch-Französisches Institut teilnehmen. In Berlin wird das vorgekochte Essen statt auf dem geplanten Staatsbankett nun bei einem Sommerfest serviert.

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