Nahles im Interview:"Wir brauchen jetzt eine Grundgesetzänderung"

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Andrea Nahles, SPD-Schattenministerin für Bildung, über Integration, Wählertäuschung und eine stärkere Rolle des Bundes in der Schulpolitik.

Susanne Höll

Die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles hat im Wahlkampfteam von Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier überraschend die Rolle einer Schattenministerin für Bildung übernommen. Die 39 Jahre alte Bundestagsabgeordnete ist die bekannteste Vertreterin des linken SPD-Flügels.

Hoffnungsträgerin der SPD: Andrea Nahles (Foto: Foto: AP)

SZ: Man kennt Sie als Arbeits- und Sozialexpertin. Im SPD-Wahlkampfteam kümmern Sie sich um Bildung und Integration. Warum?

Nahles: Weil Integration oft mehr ein soziales Problem ist als eines der Herkunft. Konkret ist Integration durch Arbeit sehr erfolgreich. Man kann das in der Region Stuttgart sehen. Das Problem ist, dass dieser Weg in Deutschland noch nicht oft genug gelingt. Kinder aus Migrantenfamilien sind doppelt so häufig ohne Schulabschluss und Ausbildung. Deshalb: Bildung, Arbeit und Integration gehören zusammen.

SZ: Aber Bildung ist weit mehr als Arbeitsmarktpolitik?

Nahles: Stimmt. Bildung und Integration sind eine gesellschaftliche Aufgabe. Deshalb muss das System insgesamt verbessert werden. Es gibt zu viele Bruchstellen. Beim Übergang von der Kita in die Schule geht zu viel Wissen über die Kinder verloren. Anderes Beispiel: Wir müssen den Eltern mehr den Rücken stärken, damit Erziehung zu Hause und in der Kita besser ineinandergreifen. In den Schulen reicht die Berufsorientierung trotz aller Bemühungen nicht aus. Das Ressortdenken, bei der sich einer um Bildung, der andere um Integration kümmert, funktioniert nicht.

SZ: Die SPD wirbt wie alle anderen Parteien im Bundestagswahlkampf mit dem Thema Bildung. Die ist aber Aufgabe der Länder. Täuschen Sie die Wähler?

Nahles: Ein Ministerium für Bildung und Integration bringt Schwung in die Integrationsbemühungen. Schulpolitik ist und bleibt Ländersache, aber es gibt eine nationale Verantwortung, deshalb mischen wir uns ein, wo es sinnvoll ist: Das haben wir bei der Kita-Förderung gemacht, und das wollen wir fortführen.

SZ: Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Länder das Sagen haben. Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde in der ersten Föderalismusreform ein Kooperationsverbot des Bundes und der Länder in der Verfassung festgeschrieben. Wollen Sie das rückgängig machen?

Nahles: Das Kooperationsverbot war ein hoher Preis für das Zustandekommen der Reform. Es hat sich in dieser Form nicht bewährt. In einem föderalen System muss die Zusammenarbeit aller zu jeder Zeit möglich sein. Und deshalb brauchen wir eine Grundgesetzänderung.

SZ: Dazu benötigen Sie die Zustimmung der Länder im Bundesrat, die ihre Zuständigkeit sicher nicht aufgeben werden.

Nahles: Kooperation heißt ja nicht Bundesschulamt. Aber es gibt eine gemeinsame Bildungsverantwortung von Bund, Ländern und Kommunen. Und ich sehe durchaus einen Weg. Bislang ist die Kooperation von Bund und Ländern in Notfällen möglich. Das kann man ändern, indem man den Artikel 104 des Grundgesetzes ändert und eine generelle Zusammenarbeit ermöglicht - vorausgesetzt, die Länder sind damit einverstanden.

SZ: Was sagt denn Ihr Ministerpräsident Kurt Beck zu diesem Plan?

Nahles: Kurt Beck hält einen Wettstreit der Länder um die besten Wege in der Bildung für richtig, und er hat in Rheinland-Pfalz gezeigt, was möglich ist, wenn man Bildung zur Priorität in einem Land macht. Aber auch er ist mit mir einer Meinung: Fortschritte bei der Bildung dürfen nicht am Streit um Zuständigkeiten scheitern.

SZ: Wenn Bildung eines der wichtigsten nationalen Anliegen ist, dann gehört sie doch ganz in die Hände des Bundes.

Nahles: Nein. Ich glaube nicht, dass Bildung in einem zentralistischen System automatisch besser gelingt. Da hilft es nicht, vom Kooperationsverbot in ein anderes Extrem zu fallen. Und: Wir würden jahrelang um Zuständigkeiten streiten und Zeit verlieren. Die Menschen erwarten aber zu Recht Ergebnisse und keinen Streit um Kompetenzen. Bessere Zusammenarbeit, das ist die Lösung.

SZ: Stichwort Studiengebühren. Sie sagen, wer kostenlose Bildung will, soll in Ihre Heimat Rheinland-Pfalz kommen oder dafür sorgen, dass die SPD die Bundestagswahl gewinnt. Dabei kann der Bund Studiengebühren nicht abschaffen. Also doch Wählertäuschung?

Nahles: Warum? In Ländern mit SPD-Regierungen gibt es keine Studiengebühren. Außerdem können wir die Bafög-Zahlungen erhöhen und durch eine gute Hochschulfinanzierung das Argument entkräften, Studiengebühren seien für erfolgreiche Universitäten nötig.

SZ: Die SPD will zur Bildungsfinanzierung den Spitzensteuersatz erhöhen. Das bringt zwei bis drei Milliarden Euro. Zugleich gibt es viele Versprechen: Mehr Lehrer, Sozialarbeiter für alle Schulen, jeder der älter ist als 20 Jahre soll einen Rechtsanspruch auf eine Berufsausbildung erhalten. Dafür reicht das Geld nicht aus.

Nahles: Der Bund bezahlt nicht die Lehrer. Wir machen den Ländern ein Angebot: Aber wir beteiligen uns an den Ausgaben für Sozialarbeiter an Schulen, obwohl es nicht die Aufgabe des Bundes ist. Genau so stelle ich mir einen neuen Bildungsaufbruch vor: Nicht Ressort und Zuständigkeiten stehen im Zentrum, sondern der gemeinsame Wille, die Probleme in unserem Bildungssystem zu lösen.

© SZ vom 19.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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