Myanmar:Rote Protestwelle

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Befreit Mutter Suu - das ist eine Forderung der Demonstranten in Yangon, nachdem das Militär vor einer Woche die Macht in Myanmar an sich gerissen hat. (Foto: Ye Aung Thu/AFP)

Mehr als eine Woche nach dem Militärputsch protestieren Zehntausende im ganzen Land, immer mehr Menschen schließen sich an und fordern die Rückkehr der Regierung unter Aung San Suu Kyi. Die Auseinandersetzung spitzt sich zu.

Von David Pfeifer, Bangkok

Die Mönche sind auf der Straße, die Lehrerinnen, Taxifahrer, Ärztinnen und Krankenpfleger, ebenso wie Kinder und Jugendliche. Auch Bankangestellte sind am Montag nicht zur Arbeit erschienen und gingen stattdessen demonstrieren. Zumindest waren viele Banken in Yangon geschlossen, das berichteten Blogger und Journalisten in Myanmar. Zehntausende protestierten seit dem Morgen gegen das Militär, das vor einer Woche die Macht übernommen hatte. Die Demonstrierenden trugen rote T-Shirts, Schals und Fahnen, die Farbe der bis vor Kurzem regierenden Partei Aung Sang Suu Kyis, der "Nationalen Demokratischen Liga" (NLD).

Sie forderten die sofortige Freilassung von "Mutter Suu", wie die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin genannt wird, und sie zeigten den Drei-Finger-Gruß aus den "Tribute von Panem"-Filmen, mit dem bereits die Demonstranten in Thailand gegen ihre Militärregierung protestiert hatten. Auch vor der Botschaft Myanmars und der UN-Vertretung in Bangkok versammelten sich am Wochenende viele Menschen, bevor die Polizei die Kundgebungen rasch auflöste. Viele Myanmarer leben und arbeiten in Thailand. Am Montag sammelten sich Gastarbeiter in Chiang Mai, im Norden Thailands, nahe der Grenze zu Myanmar, ebenfalls mit Drei-Finger-Gruß und Sicherheitsabstand.

Die thailändische Regierung betrachtet den Putsch im Nachbarland als "innere Angelegenheit." Genau wie China, der viel größere Nachbar im Norden. Gemeinsam mit Russland hatte China vergangene Woche gegen eine Verurteilung der Generäle durch die Vereinten Nationen gestimmt. Das war den alten und neuen Machthabern sicher wichtig, denn ohne China geht in der Region nichts.

Trotz Mobilfunksperre gelangten Nachrichten ins Ausland

Aber ohne das Volk wird es auch schwierig. Und das Volk scheint nach einer Woche eher mehr als weniger aufgebracht zu sein. Jeden Tag demonstrieren mehr Menschen. Es waren auch Unterstützer des Militärs auf den Straßen, die sich am Montag, teilweise auf Militär-Transportern, in die Innenstadt von Yangon begaben, wo sie von den Demonstranten mit "Wir brauchen keine K5000-Protestierer"-Schmähungen begrüßt wurden, wie das Online-Magazin Frontier Myanmar berichtete. 5000 Kyat entsprechen etwa drei Euro, die den Pro-Militär-Demonstranten womöglich bezahlt worden sind.

Am Wochenende hatten die alten und neuen Machthaber das Internet und den Mobilfunkverkehr blockiert, am Sonntag aber langsam wieder hochgefahren. Doch auch so waren Nachrichten ins Ausland gelangt, durch VPN-Kanäle und Verbindungen von Sim-Karten aus Thailand und Singapur. Die Protestierer filmten mit ihren Smartphones und fanden Wege, die Bilder in die Welt zu verbreiten. Wie den Clip des Einsatzes der Wasserwerfer in der Hauptstadt Naypyidaw, mit denen Demonstranten vor dem Regierungssitz in Schach gehalten wurden.

Wie es "Mutter Suu" einstweilen geht, ist unklar. Die Journalistin Aye Min Thant, die seit mehr als einer Woche bis zur Erschöpfung live über den Coup twittert, schrieb am Sonntag, dass die Straße zu San Kyis Haus, in dem diese 15 Jahre lang unter Arrest gestanden hatte, von der Polizei gesperrt worden sei. Auch andere ehemalige Regierungsvertreter sitzen im Hausarrest fest.

Die Mönche geben den Protesten Wucht

Dass auch Mönche in Mandalay auf die Straße gingen, gibt den Kundgebungen zusätzlich Wucht, denn von ihnen gingen die Proteste im Jahr 2007 aus, die sogenannte Safran-Revolution, die sich auf die leuchtend orangerote Farbe ihrer Gewänder bezog. Bei der Niederschlagung der Proteste wurden einige Nonnen und Mönche getötet, am Ende aber gab das Militär die Macht aus der Hand. Zumindest ein Stück weit. Ein Beobachter berichtet, dass es Schießereien in Myawaddy gegeben haben soll, aber sonst seien die Proteste bisher "weitgehend friedlich" verlaufen. Sogar Beamte schließen sich dem "Civil Disobedience Movement" an - dem Zusammenschluss für zivilen Ungehorsam.

Nachdem die Generäle die Macht wieder an sich gerissen haben, gingen sie in der vergangenen Woche daran, die Covid-19-Maßnahmen zu lockern, Parks zu öffnen. Vermutlich um gute Stimmung beim Volk zu machen. Die Ansteckungsraten waren gerade erst sanft gesunken. Versammeln allerdings darf man sich seit Montagabend nicht mehr in Gruppen von mehr als fünf Personen, öffentliche Ansprachen sind ebenfalls verboten. Die Generäle haben eine Ausgangssperre von 20 bis vier Uhr erlassen. Die Auseinandersetzung spitzt sich zu, denn es ist nicht anzunehmen, dass die Protestierenden sich dem beugen werden.

General Min Aung Hlaing wendete sich am Montagabend im Fernsehen an die Myanmarer und wiederholte seinen Verdacht, die Wahl sei nicht korrekt gelaufen. Unter anderem zweifelte er die hohe Wahlbeteiligung von über 70 Prozent an, in Zeiten einer Pandemie. Nach dem bemerkenswert schlechten Abschneiden der Militär-Partei hatte er Zweifel an der Rechtmäßigkeit geäußert, aber keine Belege dafür vorlegen können. Er versuchte, ausländische Investoren zu beruhigen und stellte sogar eine Rückkehrmöglichkeit für die Rohingya in Aussicht. Die waren vom Militär mit äußerster Brutalität aus dem Land getrieben worden.

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