Münchner Neueste Nachrichten vom 7. Juli 1914:Von müden Mördern und Wiener Hofschranzen

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Im Zentrum des Schranzentums am Wiener Hof: Österreichs Kaiser Franz Joseph I., hier mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. im Jahre 1908. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die SZ-Vorgängerzeitung berichtet am 7. Juli 1914 von allerlei Wut: In Wien zürnt das Militär dem Hof, in Würzburg mokieren sich Protestanten über Bayerns König. Und in Frankreich fliegen zwei Attentäter auf, bevor sie einen Monarchen meucheln können.

Von Oliver Das Gupta

SZ.de dokumentiert, wie die Münchner Neuesten Nachrichten vor 100 Jahren über den Weg in den Ersten Weltkrieg berichtet haben. Die Tageszeitung war die Vorgängerin der Süddeutschen Zeitung.

Der Kaiser ist abgereist, vermelden die Zeitungen heute vor 100 Jahren. Wilhelm II. hat sich in Kiel auf seine Yacht Hohenzollern begeben, um seine jährliche "Nordlandfahrt" anzutreten. Wie wir heute wissen, drängen die Berliner Strippenzieher in Regierung und Militär den Kaiser die Reise trotz des abzeichnenden Krieges zu unternehmen. So soll dem In- und Ausland Normalität suggiert werden - die Vorbereitungen für das große Gemetzel laufen im Hintergrund weiter ( hier mehr dazu).

Außerdem sehen die kriegstreibenden Männer noch einen weiteren Vorteil: Auf hoher See kann der sprunghafte Kaiser, der zwischen Friedensreden und Kampfgefasel schwankt, nicht stören.

Die Zeitungsleser erfahren an diesem 7. Juli allerdings nur, welche hohen Offiziere den Kaiser in Kiel verabschiedet haben, und dass die Flotte "den Salut von 33 Schuss" abgab, als Wilhelms Standarte auf seinem Schiff hochgezogen wurde.

Von anderen Fürstenhöfen gibt es indes Unerqickliches zu berichten: In Wien wütet das Militär über das Schmalspur-Begräbnis für den ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand.

Der Kaiser wird gelobt, sein Hofmeister gescholten

Die einfachen Trauerfeierlichkeiten mögen dem spanischen Hofzeremoniell der Habsburger geschuldet sein, wird die Militärische Rundschau zitiert, doch "die Armee versteht solche peinlichen und starre Erwägungen nicht". Die Soldaten seien tief verletzt über dieses Schranzentum, das sich "immer und überall zwischen sie und den Thron drängt."

Lobend wird der österreichische Kaiser Franz Joseph I. genannt, der in letzter Minute dafür gesorgt habe, dass das Militär der Reichshauptstadt Wien komplett ausrückt und so dem toten Erzherzog und seiner Frau die letzte Ehre erweisen konnte.

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Dabei spricht der backenbärtige Herrscher in jenen Tagen ausgerechnet noch dem arg gescholtenen Oberhofmeister Alfred von Montenuovo demonstrativ das Vertrauen aus. Kein Wunder: Gerade dieser Kaiser hält die Etikette hoch und außerdem demütigte Franz Joseph seinen Nachfolger Franz Ferdinand immer wieder, weil er eine nicht ebenbürtige Frau geheiratet hatte. Doch dies bleibt in der Zeitung von damals unerwähnt - es gehört sich eben nicht, Majestät direkt zu kritisieren.

Dafür wird auf derselben Seite sehr offen vom Groll auf einen anderen Monarchen berichtet: Die evangelische Gemeinde von Würzburg sei "erheblich erregt" über den bayerischen König Ludwig III. Bei Ludwigs Besuch in der Residenzstadt am Main seien die Protestanten "vollständig ignoriert worden". Weder habe der katholische Wittelbacher eine evangelische Kirche besucht, noch sei im Gegensatz zu den übrigen Religionsgemeinschaften ein "evangelischer Geistlicher mit einer Auszeichnung bedacht worden".

Auch Kunstbefliessene dürfen sich an diesem Tag in Bayern über die Obrigkeit ärgern. In München darf Frank Wedekinds Werk "Simson" nach wie vor nicht aufgeführt werden. Einen Bann der bayerischen Zensurbehörde hat das königliche Innenministerium nun bestätigt. "Was in Berlin und Wien erlaubt ist - in diesen Städten wurde Simson anstandlos gegeben - ist also nach Meinung unserer Behörden für München schädlich", schreibt die SZ-Vorgängerzeitung.

Titelseite der Münchner Neuesten Nachrichten vom 7. Juli 1914 (Foto: Daniel Hofer)

Aus Frankreich kommt die Meldung, dass ein weiterer versuchter Fürstenmord verhindert worden ist. Zwei "russische Terroristen" hätten gestanden, dass sie ein Attentat auf den russischen Zaren Nikolaus II. planten, der im September auf "französischen Boden weilen" wolle. Je zwei Bomben und "scharf geladene" Pistolen (vom gleichen Hersteller der Waffe, die der Sarajevo-Attentäter verwendet hatte) seien bei den beiden gefunden worden.

Festgenommen wurden die Männer, als sie französchen Gendarmen in der Gemeinde Beaumont auf einer Landstraße auffielen: Die Möchtegern-Mörder fielen demnach auf, weil sie mit großer Vorsicht die Pakete mit den Bomben transportierten, außerdem scheinen sie mit ihren Kräften am Ende gewesen zu sein: Die Russen hätten einen "müden, verstörten Eindruck" gemacht. Trotz Bewaffnung ließen sie sich widerstandslos festnehmen.

"Diesmal ist der Krieg gewiss"

Weitere Nachrichten des Tages: Fünf Arbeiter in Brandenburg durch Starkstrom getötet; die Versorgung der Soldaten beim anstehenden Kaisermanöver wird problematisch; in Berlin sorgt ein Fall von Polizeigewalt gegen Nachtschwärmer für Aufregung; in Leipzig bleibt eine Dienstmagd mit einem "Stöckelschuh" in einer Straßenbahnschiene stecken und wurde von einem Wagen erfasst; ein Münchner Wanderer saß sieben Tage in der Schweizer Bergwelt fest - er war von einem Schneesturm überrascht worden und konnte sich in eine Hütte retten.

In München tritt der bisherige serbische Generalkonsul Julius Aufpitzer ab. Der österreichische Staatsbürger habe seine Demission bekannt gegeben "wegen der traurigen Ereignisse" von Sarajevo. In Wien führt Kaiser Franz Joseph I. derweil wichtige Gespräche, unter anderem darf ihm Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorff "acht Stunden" vortragen, wie die Zeitung berichtet. Heute ist bekannt, dass der Militärführer damals den greisen Monarchen vehement zum Militärschlag gegen Serbien drängt.

Von einem seiner Generalstabsoffiziere ist eine Äußerung erhalten, die er dem deutschen Militärbevollmächtigten mit "triumphierenden Lächeln" an jenem 7. Juli sagt: "Diesmal ist der Krieg gewiss."

Dieser Ausspruch findet sich 100 Jahre später in der Fachliteratur. Die Leser denken damals weder in Wien, noch in München oder woanders in Deutschland an den großen Weltenbrand, sondern nehmen von den kolportierten Krisen genauso Notiz, wie von Kurzgeschichten und Familiennachrichten wie folgende, die in Dortmunder Zeitungen gedruckt wird.

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Mit Aufnahmen von SZ Photo.

Bergassessor Waldemar Wilke (der Urgroßvater des Autors dieses Textes) beehrt sich bekannt zu geben, dass seine Gattin Helene den zweiten Sohn - Eberhard - am 7. Juli zur Welt gebracht hat. Die frische Vaterschaft hält Wilke wenige Wochen später nicht davon ab, sich freiwillig für den Kriegseinsatz zu melden. Er bitte darum, an dem "Feldzug" teilnehmen zu dürfen.

Sein Gesuch wird abgelehnt, was Waldemar Wilkes Kaisertreue keinen Abbruch tut. Bis an sein Lebensende 1959 trägt der alte Herr einen Schnauzbart, der so aussieht wie der von Wilhelm II.

Die Tageszeitung Münchner Neueste Nachrichten erschien von 1848 bis 1945 in der bayerischen Landeshauptstadt. Das Blatt war zeitweise die auflagenstärkste tagesaktuelle Publikation in Süddeutschland. Während des Kaiserreiches war die Zeitung liberal ausgerichtet, in der Weimarer Zeit war sie konservativ-monarchistisch, nach der Machtergreifung der Nazis wurde das Blatt gleichgeschaltet. Süddeutsche Zeitung nannten sich die Münchner Neuesten Nachrichten als Untertitel, einen Namen, den die SZ bei ihrer Gründung 1945 annahm. Bis heute trägt der SZ-Regionalteil den Titel Münchner Neueste Nachrichten.

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Gastbeitrag von John C. G. Röhl
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