Münchner Neueste Nachrichten vom 6. Juli 1914:Spionage am Gardasee

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Münchner Neueste Nachrichten (Foto: Daniel Hofer)

Einen Monat vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges preisen deutsche und britische Offiziere einander in Kiel. In New York tötet eine Bombe einen Anarchisten statt eines Tycoons. Und manches deutet auf das große Unheil hin.

Von Oliver Das Gupta

SZ.de dokumentiert, wie die Münchner Neuesten Nachrichten vor 100 Jahren über den Weg in den Ersten Weltkrieg berichtet haben. Die Tageszeitung war die Vorgängerin der Süddeutschen Zeitung.

Das erste Juli-Wochenende des Jahres 1914 ist vorbei, die neue Arbeitswoche hat indes für die Redakteure Münchner Neuesten Nachrichten schon längst begonnen, zumindest diejenigen, die Sonntagsschicht hatten. Die Kollegen haben eine Ausgabe produziert, die auch 100 Jahre später zum Lesen einlädt.

Politik, Finanzen, Medien, Kultur und Vermischtes - all diese Bereiche finden sich auf der Titelseite.

Panik in der 103. Straße

Dort ist etwa eine Meldung aus New York gedruckt: Es habe einen "Hauseinsturz infolge einer Bombenexplosion" gegeben. Ein Anarchist sei damit beschäftigt gewesen, in seiner Wohnung in der 103. Straße eine Bombe zu füllen, "als der ganze Brennstoff explodierte".

Der Mann und zwei Helferinnen seien "in Stücke gerissen worden", die oberen drei Stockwerke seien durch die Wucht eingestürzt, unter anderen Menschen im Umfeld sei Panik ausgebrochen. Offensichtlich wollten der Anarchist "Artur Carron" (dessen Namen man eigentlich Arthur Caron schrieb) und seine Helfer mit der Bombe einen schwerreichen Industriellen töten: den superreichen Unternehmer John D. Rockefeller.

An diesem 6. Juli vor 100 Jahren konnten die Leser der SZ-Vorgängerin allerdings auch von friedlicheren Dingen erfahren. In einem langen Text über den Kopenhagener Journalistenkongress lässt der Autor nicht nur ahnen, wie es es den Presseleuten zwei Wochen lang bei "lukullischen Banketten", "glänzenden Festabenden" und "märchenhaften Feuerwerken" ergehen musste. Es wurde auch debattiert über einen "Minimallohn für Berufsjournalisten" und die "Schaffung einer internationalen Identitätskarte", eines Presseausweises.

Der Sportteil macht mit einer Meldung zur "Nationalenballonwettfahrt" auf, die sich auf der Münchner Theresienwiese in die Luft erhoben. Bei der Landshuter Hochzeit des Jahres1914 blieb - anders als befürchtet - der Regenguß aus. Die "kostbaren Kostüme" seien nicht "auf der Straße gewaschen worden", vermerkte der ungenannte "Sonderberichterstatter" aus Niederbayern.

Ausbruch des Ersten Weltkriegs
:Wie Deutschland 1914 den Krieg plante

Kaiser Wilhelm II. und sein Umfeld ersehnten sich einen Krieg gegen Frankreich und Russland. Im Sommer 1914 taten diese Männer alles, um den Frieden zu sabotieren. Die These von der "Unschuld" Berlins kann nur vertreten werden, wenn man die Ergebnisse penibler Archivforschung ignoriert.

Gastbeitrag von John C. G. Röhl

Aus Kiel kommt per Privattelegramm ein abermaliger Beleg, wie eng die Bande zwischen Großbritannien und dem Deutschen Kaiserreich sind. Ein englisches Geschwader, das die deutsche Flotte an der Förde besucht hatte, nahm herzlich Abschied. Vizeadmiral Sir George Warrender pries die "großartige Gastfreundschaft" und beschwörte die tiefe Freundschaft mit den Worten: "Kameraden in der Vergangenheit und allewege!"

Der deutsche Admiral Carl von Coerper - als Diplomat selbst vom britischen König geschätzt - antwortete den "Kameraden und Freunden" mit ähnlichen Worten, schickte "beste Wünsche und glückliche Fahrt".

Nicht einmal einen Monat später herrschte Krieg zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland. Doch zu dieser Zeit schlüpfte Kaiser Wilhelm II., Sohn einer britischen Prinzessin, noch in deren Uniformen und versuchte die Royal Navy gleichzeitig mit seiner deutschen Hochseeflotte zu übertrumpfen.

Sein wahnwitziges Rüstungsprogramm sollte den Deutschen bis heute die Sektsteuer bescheren, seine Schiffe sich im Krieg als weitgehend wirkungslos herausstellen. 1918 meuterten auch in Deutschland frustierte Matrosen seiner Majestät und lösten die Revolution aus.

Noch mehr als vier Jahre zuvor ist sowas noch schier undenkbar. Doch Hinweise auf internationale Spannungen sind für die Zeitungsleser erkennbar. Nach der Ermordung des österreichisch-ungarischen Erzherzogs Franz Ferdinand dringen aus Budapest harsche Worte in Richtung Serbien (ausgerechnet von den Ungarn, mit denen der Thronfolger in tiefer Abneigung verbunden war!):

Der Pester Lloyd, ein offiziöses Organ der königlich ungarischen Regierung, richteten eine "nicht missverständliche Warnung an die Machthaber in Belgrad", heißt es. Man wolle zwar keinen Krieg gegen Serbien, aber erwarte "internationale Wohlanständigkeit". Das Blatt bezieht sich auf halbamtliche serbische Medien, die den Doppelmord von Sarajevo "verherrlichen" würden.

Ermordung von Franz Ferdinand
:Diese Schüsse lösten den Ersten Weltkrieg aus

Der Verbrechen folgte der Weltenbrand: 1914 starben Österreichs Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie in Sarajevo durch Pistolenschüsse. Historische Fotos einer verhängnisvollen Reise.

Direkt darunter sind Äußerungen des österreichischen Armee-Kommandanten von Sarajevo gedruckt, die wohl Grimm und Stärke demonstrieren sollen: "Die Mordbuben, vor allem ihre lichtscheuen Hintermänner, sollten wissen, dass sie ihr dunkles Ziel nie erreichen werden."

Eine Seite zeigt eine kurze Meldung, wie schlecht es um den Dreibund bestellt ist, einem Abwehrbündnis von Deutschland, Italien und Österreich-Ungarn. In der Notiz ist von einer "Spionageaffäre" die Rede. Zwei italienische Offiziere sind demnach in Riva von den österreichischen Militärbehörden festgenommen worden. Der Ort am Nordende des Gardasees gehörte damals noch zur austriakischen Donau-Monarchie und war mit Befestigungsanlangen gesichert, die auch heute noch existieren. Die beiden Italiener hätten sich bei Bauarbeiten an den Bollwerken als "Handlanger" anheuern lassen - offenkundig um zu spitzeln.

Tatsächlich trat Rom 1915 auf Seite der Gegner Wiens und Berlins in den Krieg ein, die Festungen in Riva wurden massiv beschossen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Gebiet sowie andere Teile Österreichs wie Südtirol und Friaul den Italienern zugesprochen.

In der Juli-Krise 1914, in denen die Führungen in Wien und Berlin im Geheimen für den Krieg planten, ließen sie ihren Bundesgenossen Italien bei vielen Informationen außen vor - diese Ignoranz sollte sich später rächen.

Der Kaiser ist für die "radikalste" Lösung

Doch an einen weltumspannenden Krieg dachte in Österreich und Deutschland in jenen Sommertagen vor 100 Jahren kaum jemand, wohl aber an einen Angriff auf Serbien.

Der österreichische Botschafter telegraphierte am 6. Juli geheim nach Wien: Der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg und "sein kaiserlicher Herr" befürworteten "ein sofortiges Einschreiten unsererseits gegen Serbien als radikalste und beste Lösung unserer gegenwärtigen Probleme am Balkan."

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