Russland:Konflikt zwischen russischer Militärführung und Wagner-Truppen eskaliert

Lesezeit: 4 min

Militärische Fahrzeuge der Wagner-Gruppe vor dem Hauptquartier der russischen Arme in Rostow am 24. Juni 2023. (Foto: Erik Romanenko/IMAGO/ITAR-TASS)

Während der russische Geheimdienst ein Verfahren gegen Wagner-Chef Prigoschin wegen versuchten bewaffneten Aufstands einleitet, marschiert die Söldnertruppe in Russland ein.

Der seit Monaten schwelende Konflikt zwischen der russischen Militärführung und dem Chef der Söldnergruppe Wagner, Jewgenij Prigoschin, eskaliert zu einer der schwersten innenpolitischen Krisen Russlands seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs vor 16 Monaten. Nach eigenen Angaben hat Prigoschin mit seinen Truppen die Grenze von der Ukraine nach Russland überquert. Sie hätten die südrussische Stadt Rostow erreicht, sagte der Wagner-Chef in einer auf Telegram veröffentlichten Audioaufnahme. Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Blockade wichtiger Objekte in Rostow am Don inzwischen in einer Fernsehansprache bestätigt. Auch im Gebiet Woronesch im Südwesten des Landes melden die Behörden inzwischen Kämpfe. Putin sprach von einer Meuterei und kündigte die Bestrafung der Aufständischen an.

"Unter unserer Kontrolle befinden sich Militärobjekte Rostows, darunter auch der Flugplatz", sagte Prigoschin in einem am Morgen veröffentlichten Video. Er behauptete, in der Stadt in der Grenzregion zur Ukraine kontrollierten seine Kämpfer auch das Hauptquartier der russischen Armee für den Süden des Landes. Unabhängig überprüfen ließ sich das zunächst nicht. Auf Bildern sind militärische Fahrzeuge der Söldnergruppe Wagner vor dem Hauptquartier der russischen Armee in Rostow zu sehen.

Arte-Dokumentation über Wagner-Gruppe
:Wo sie sind, wird es düster

Eine zweiteilige Arte-Doku über die Wagner-Gruppe bietet viel sorgfältiges Hintergrundwissen. Aber sie vernachlässigt die aktuelle Rolle im Ukraine-Krieg.

Von Frank Nienhuysen

Prigoschin sagte, seine Leute seien bereit, "bis zum Äußersten" gegen das russische Militär vorzugehen. "Wer versucht, uns Widerstand zu leisten, den werden wir als Bedrohung betrachten und sofort töten", drohte er. Er habe 25 000 Männer unter Befehl, die nun aufklären würden, warum solch eine Willkür im Land herrsche.

Der Gouverneur der Region Rostow rief die Bevölkerung dazu auf, Ruhe zu bewahren und nach Möglichkeit die Häuser nicht zu verlassen. Die Behörden ergriffen alle notwendigen Maßnahmen, um die Sicherheit der Einwohner zu gewährleisten, sagte Wassili Golubew auf seinem Telegram-Kanal. Weitere Kämpfer der Söldnergruppe Wagner bewegen sich nach Erkenntnissen des britischen Verteidigungsministeriums im Bezirk Woronesch nach Norden. Sie seien höchstwahrscheinlich nach Moskau unterwegs. Am Mittag gab es Berichte über Kämpfe im Gebiet Woronesch. Dieses liegt etwa 470 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, ungefähr auf halber Strecke zwischen Moskau und Rostow am Don.

Putin ordnet Bestrafung von Aufständischen an

Russlands Präsident Putin wirft den Wagner-Söldnern "Verrat" und Meuterei vor und forderte sie auf, ihre Aktionen umgehend zu beenden. Die Streitkräfte hätten den Befehl erhalten, jene zu bestrafen, die den Aufstand organisiert hätten, sagte Putin in einer kurzfristig anberaumten TV-Ansprache an die Nation am Samstag. "All jene, die sich bewusst auf den Weg des Verrats begeben haben, die einen bewaffneten Aufstand vorbereitet haben, die den Weg der Erpressung und der terroristischen Methoden eingeschlagen haben, werden unvermeidlich bestraft werden", so Putin. "Sie werden sich sowohl vor dem Gesetz als auch vor unserem Volk verantworten."

Prigoschin widersprach umgehend - und warf Putin eine Fehleinschätzung der Lage vor: "Der Präsident irrt sich schwer", sagte er in einer Sprachnachricht auf seinem Telegram-Kanal. "Wir sind Patrioten unserer Heimat." Er und seine Männer würden nicht aufgeben, wie von Putin befohlen. Russland solle nicht länger mit Korruption, Lügen und Bürokratie leben müssen. Am Freitag hatte er bereits erklärt: "Das ist kein bewaffneter Aufstand, sondern ein Marsch für Gerechtigkeit"

Zuvor hatte der russische Geheimdienst FSB ein Strafverfahren wegen eines versuchten bewaffneten Aufstands gegen Prigoschin eingeleitet. "Für so ein Verbrechen ist ein Freiheitsentzug zwischen 12 und 20 Jahren als Strafe vorgesehen", heißt es in einer Erklärung der russischen Generalstaatsanwaltschaft.

Zu der Eskalation kam es, weil Prigoschin in einer von seinem Pressedienst auf Telegram verbreiteten Sprachnachricht dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu vorgeworfen hatte, dieser habe Wagner-Lager im Hinterland mit Artillerie, Hubschraubern und Raketen angreifen lassen. Das russische Verteidigungsministerium bestritt einen Angriff - und rief die Söldner zum Aufgeben auf. Sie seien in ein "kriminelles Abenteuer" hineingezogen worden. "Bitte seien Sie vernünftig und nehmen Sie schnellstmöglich Kontakt mit Vertretern des russischen Verteidigungsministeriums oder den Ordnungsorganen auf. Wir garantieren die Sicherheit aller."

Auch das Nationale Anti-Terror-Komitee nannte die Vorwürfe haltlos. "Die Behauptungen, die im Namen von Jewgenij Prigoschin verbreitet werden, entbehren jeder Grundlage", heißt es. Der FSB rief die Söldner auf, "keine nicht wieder gutzumachenden Fehler zu begehen, alle Kampfhandlungen gegen das russische Volk einzustellen, die verbrecherischen und verräterischen Befehle Prigoschins nicht zu befolgen und Maßnahmen zu seiner Festnahme zu ergreifen".

Moskau ruft Anti-Terror-Notstand aus

In Moskau und Umgebung haben die Behörden unterdessen den Anti-Terror-Notstand ausgerufen. "Um mögliche Terroranschläge in der Stadt und dem Gebiet Moskau zu verhindern, ist ein Regime für Operationen zur Terrorbekämpfung eingeführt worden", teilte das nationale Anti-Terror-Komitee mit. Die Sicherheitsvorkehrungen in Regierungsgebäuden, Transportmitteln und anderen wichtigen Orten wurden verschärft. Auf Aufnahmen in den sozialen Medien kursieren Videos von gepanzerten Fahrzeugen im Stadtzentrum von Moskau. Es würden zusätzliche Straßenkontrollen eingeführt, sagte Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin.

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Die US-Regierung in Washington behält die Vorgänge nach Angaben des Senders CNN im Blick: "Wir beobachten die Situation und werden uns mit Verbündeten und Partnern über diese Entwicklungen beraten", wurde der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Adam Hodge, zitiert. Präsident Joe Biden sei über die Lage unterrichtet worden. Die Bundesregierung und die britische Regierung verschärften ihre Reisehinweise für Russland.

In der Ukraine nahm man die Berichte über den internen Machtkampf mit Genugtuung und Spott auf. Die ukrainische Armee schrieb auf Twitter: "Wir schauen zu." Ein führender Berater des ukrainischen Präsidenten nannte den Vorstoß des Söldnerführers eine "Antiterror-Operation". Einer müsse auf jeden Fall verlieren, entweder Prigoschin oder seine Gegner, twitterte Mychailo Podoljak: "In Russland fängt alles gerade erst an."

Zwischen Prigoschin und der Moskauer Militärführung herrscht seit Monaten ein sich stetig zuspitzender Konkurrenzkampf. Der Wagner-Chef ist mit seinen Botschaften quasi dauerpräsent in den Medien, er wirft der russischen Armeeführung fast täglich militärisches Versagen vor. Etwa 50 000 Kämpfer sollen seinem Kommando unterstehen. Prigoschin hat sich immer wieder mit der Eroberung ukrainischer Orte durch seine Soldaten gebrüstet, auch bei der Einnahme der Stadt Bachmut. Schon dabei klagte er über Sabotage vonseiten der regulären Truppen.

Zuletzt hatte der Generalstab in Moskau durchgesetzt, dass die vielen Privatarmeen, die aufseiten Moskaus im Angriffskrieg gegen die Ukraine kämpfen, sich per Vertrag dem Verteidigungsministerium unterstellen. Prigoschin hatte sich dagegen gewehrt. Erst am Freitag bezeichnete der Wagner-Chef die russische Invasion als völlig ungerechtfertigt, weil die Ukraine gar nicht die Absicht gehabt habe, Russland mit Hilfe der Nato anzugreifen.

© SZ/dpa/Reuters/hij/afis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungRussland
:Dem Kreml reicht's

Seit Wochen wettert der Chef der Söldnergruppe Wagner gegen die russische Armeeführung und den Verteidigungsminister. Präsident Putin ließ ihn gewähren, bis jetzt.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: