Mord im Holocaust-Museum:Ein angekündigtes Verbrechen

Lesezeit: 6 min

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass ein 88-Jähriger zum rassistisch motivierten Mörder wird. Doch der Mann, der in Washington tötete, passt in das Muster, das die fanatische rechte Szene gefährlich macht.

Reymer Klüver

Sie hatten ihn im Auge. Lange schon. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Sie wussten, dass James von Brunn ein Antisemit ist, ein unbelehrbarer Judenhasser, einer, der Schwarze verabscheut und hinter allen persönlichen Fehlschlägen das Wirken einer großen Verschwörung wittert, die nichts anderes im Sinn hat, als ihn und seinesgleichen klein zu halten.

Ermittler sichern Spuren im Holocaust-Museum. (Foto: Foto: AFP)

Wer allerdings erwartet von einem 88-Jährigen noch, der sich mit Malen über Wasser zu halten versucht, dass er seinen Tiraden Taten folgen lässt - selbst wenn er schon mal damit geprahlt hatte, "mit den Stiefeln voran" aus dem Leben scheiden zu wollen?

Am Mittwoch aber schritt dieser hasserfüllte Greis zur Tat, wie er es wohl geplant hatte, zur letzten Tat seines Lebens, um an einem Mahnmal des Leides neues Leid über trauernde oder auch nur der Opfer von Hass und Gewalt gedenkende Menschen zu bringen.

Es ging rasend schnell

Es war zwanzig vor eins am Mittwoch, die umtriebigste Zeit im Holocaust Museum, der Gedenkstätte für die Judenverfolgung durch Nazi-Deutschland, als ein roter Kleinwagen vor dem Eingangsatrium des Museums an der 14. Straße in Washington hielt. Fast in Sichtweite des Weißen Hauses. In zweiter Reihe parkte das Auto, das war schon ungewöhnlich. Aber als ein hagerer, weißer, alter Mann aussteigt, muss man sich eigentlich nicht weiter Gedanken machen. Vielleicht will er nur schnell jemanden abholen. Dann geht es rasend schnell. In Sekunden ist alles vorbei und zwei Menschen liegen in ihrem Blut.

Van Brunn stürmt in die Sicherheitsschleuse am Eingang, wo Museumsbesucher wie im Flughafen auf Waffen untersucht werden. Er hat ein Kleinkalibergewehr in der Hand, feuert aus nächster Nähe auf einen Wachmann - einen Schwarzen. Stephen Johns, ein großer Mann und deswegen von Kollegen Big John genannt, bricht in der Brust getroffen zusammen. Er wird wenig später im Krankenhaus sterben. Zwei seiner Kollegen schießen sofort zurück und verhindern so vielleicht ein Blutbad. 2000 Menschen, so schätzt der Direktor, sind zu der Stunde im Holocaust Museum, viele im Bereich der Eingangshalle, es ist Lunch-Zeit.

Im Auto des Attentäters finden Beamte des sofort herbeigerufenen, schwarz-uniformierten Sondereinsatzkommandos der Polizei eine Liste mit zehn weiteren Adressen in Washington, Orten mit symbolhafter Bedeutung, an denen tagsüber zu jeder Zeit sich Menschen in großer Zahl aufhalten, unter anderem die National Cathedral. Sofort fahren auch dort Streifenwagen vor, werden die Gebäude auf Bomben abgesucht. Doch nichts wird gefunden.

Sehr schnell wird klar, dass es sich um die Tat eines Einzelgängers handelt. Lone Wolves nennen die Experten in Amerika solche Typen, einsame Wölfe. Sie sind, wie die ehemalige Anti-Terror-Beraterin von Präsident George W. Bush, Fran Townsend, am Donnerstagmorgen im Fernsehen sagt, die "gefährlichste Tätergruppe" der Terrorszene. "Es ist so schwer, auf die Spur eines solchen einsamen Wölfen zu kommen. Das ist mehr eine Kunst als eine Wissenschaft."

Klare Warnsignale

Hinterher ist man immer klüger. Aber es gab doch Warnsignale, dass dieser Mann des Hasses es noch einmal wissen wollte. Und es gibt unübersehbare Anzeichen dafür, dass die Saat der rechten Hassprediger in den USA in letzter Zeit im großen Stil aufgegangen ist. Dass die rechte Szene in Amerika enormen Zulauf findet, weil es der Wirtschaft schlecht geht, weil ein Schwarzer Präsident geworden ist und überhaupt, weil immer mehr Leute rechte Parolen verbreiten.

Noch in der Nacht nach dem Anschlag versuchten sich die Behörden ein Bild von dem greisen Attentäter zu machen, der nun mit lebensgefährlichen Schusswunden im Krankenhaus der George Washington University liegt, dem Hospital, in das einst auch Präsident Ronald Reagan nach dem Schusswaffenattentat auf ihn eingeliefert wurde.

Vor allem suchten sie fieberhaft nach der Herkunft des Kleinkalibergewehrs, das Brunn bei dem Anschlag benutzte. Klar ist, dass ihn die Behörden nicht unter Beobachtung hatten - wie auch. Grantelnde Anti-Semiten gibt es in den USA zuhauf, auch solche, die wie Brunn ihre Ansichten im Internet verbreiten wollen.

Aber ganz und gar nicht klar ist, wie dieser Mann zum Wiederholungstäter hat werden können. Denn aufgefallen ist Brunn schon einmal. So sehr, dass er dafür sogar mehrere Jahre im Gefängnis saß.

James von Brunn unterhielt oder belieferte zumindest eine Website unter dem Namen Holy Western Empire. Sie wurde in der Nacht zum Donnerstag aus dem Internet genommen. Auf der Website warb er für sein Traktat "Kill the Best Gentiles", tötet die herausragenden Heiden, wobei er den jüdischen Begriff für Nicht-Juden aufgriff. Darin beklagte er die "Bräunung" Amerikas, womit er die Zunahme der nicht-weißen Bevölkerung in den USA meinte, und machte eine jüdische Verschwörung aus, die den "weißen Genpool zerstören" wolle.

"Der arische Genpool stirbt unbeweint, ungeehrt und unbesungen", schwafelte er. Das Übliche eben, was anti-semitische Verschwörungstheoretiker verbreiten. Das war nachzulesen und ekelhaft. Aber solche Sachen gibt es seit Jahrzehnten. Und solche Ansichten hat Brunn in der Tat seit Jahrzehnten verbreitet.

Schon lange rechts außen

Vor dem Holocaust-Museum wurden Blumen für den ermordeten Wachmann niedergelegt. (Foto: Foto: AFP)

Das Southern Poverty Law Center ist eine Institution der Bürgerrechtsszene, sie informiert seit Jahren die Öffentlichkeit über die Aktivitäten der Rechten in den USA, der sogenannten Suprematisten. Es hatte Brunn seit 1981 im Visier. Zu recht, wie sich damals bald herausstellte.

Denn am 7. Dezember 1981 stürmte von Brunn - fast so wie am Mittwoch - in das Foyer der Federal Reserve, der US-Notenbank, in Washington. Er konnte aber von Wachleuten gestoppt werden. In einer braunen Papiertüte hatte er ein Gewehr, eine Pistole, ein Messer und ein Elf-Seiten-Traktat, in dem er eine "internationale Verschwörung der Banker" beklagte. In seiner Website rechtfertigt er die Tat noch heute. Er habe versucht, den "verräterischen Notenbankrat unter legalen, gewaltfreien Bürgerarrest zu stellen". Dafür kam er acht Jahre ins Gefängnis.

Danach verkaufte er in Altenheimen, bei Waffenschauen und in Restaurants ein in rechten Kreisen verbreitetes Blatt der antisemitischen Liberty Lobby. Zeitweise lebte er bei seinem Sohn in Florida, weil er offenbar in Geldnöten steckte. Seine 20 Jahre jüngere Frau hatte sich bereits Ende der siebziger Jahre von ihm scheiden lassen, weil sie, wie sie dem Fernsehsender CNN sagte, seine Tiraden gegen Juden und Schwarze nicht mehr ertragen konnte.

Einzelgänger und Künstler

Zuletzt wohnte Brunn in Annapolis, eine Autostunde östlich von Washington und versuchte sich als Künstler. Ein Galerist in der Kleinstadt Easton nahe Annapolis sagte der Nachrichtenagentur Associated Press, Brunn habe vor allem Tierbilder gemalt, Pferde und Büffel im amerikanischen Westen, auch mal einen Adler, der die amerikanische Flagge hält. "Er war ein Mann, der als Einzelgänger alt wurde", sagt Mark Potok, der Leiter des Southern Poverty Law Centers, "er schien nicht Teil zu haben an den Aktivitäten der Szene."

Doch, wer wie Potok diese Szene seit Jahrzehnten verfolgt, dem ist nicht entgangen, wie viel Zulauf die " hate groups" in den vergangenen Jahren und besonders in den vergangenen Monaten gefunden haben. Seit 2000 hat sich die Zahl der rechten Gruppierungen, die Rassenhass und Antisemitismus predigen, mehr als verdoppelt. Das Center zählte im vergangenen Jahr 926 solcher Gruppen in den USA. Der Ku-Klux-Klan hat wieder Zulauf. Rassistische Skinhead-Gruppen nehmen zu. Neo-Nazi-Trupps finden sich praktisch in jedem Bundesstaat. Die Suprematisten, die die Überlegenheit der weißen Rasse predigen, legen zu. Und die Anschläge, oft mit tödlichem Ausgang, häufen sich seit einem Jahr. "Es gibt erschreckende Hinweise auf die Gewalttätigkeit, die mit dem Anwachsen der radikalen Rechten droht", sagt Potok. Und die meisten Zwischenfälle machen kaum Schlagzeilen, ganz und gar etwa im Unterschied zu dem Mord an dem Abtreibungsarzt in Kansas vor ein paar Tagen.

Zunehmende Gewaltbereitschaft

Doch erst im April erschoss ein Mann in Okaloosa in Florida zwei Sheriffs. Der Täter gehörte zur rechten Szene und war, wie seine Frau der Polizei sagte, "extrem verstört" durch die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten. In Pittsburgh wurden, ebenfalls im April, drei Polizisten von einem Mann erschossen, der im Internet antisemitische Parolen verbreitet hatte und davor gewarnt hatte, dass Obama das Recht auf Waffenbesitz einschränken könnte. Im Januar erschoss ein junger Mann zwei Schwarze und gab später als Motiv zu Protokoll, er habe im Internet gelesen, dass die Weißen in Amerika davor stünden, Opfer eines Völkermordes zu werden. Und im Oktober waren in Tennessee zwei junge Skinheads festgenommen worden, nachdem ihr Plan aufgeflogen war, hundert schwarze Kinder zu töten und Barack Obama zu ermorden. Damals wurde das als Spinnerei verirrter Einzelgänger abgetan.

Doch offenbar gibt es einen Trend zunehmender rechter Gewaltbereitschaft in rechten Kreisen in den USA. So beunruhigend ist er, dass das Heimatschutzministerium unter neuer Führung im April einen Bericht verlegen wollte über den Rechtsextremismus in den Vereinigten Staaten. Darin heißt es: "Das gegenwärtige wirtschaftliche und politische Klima heizt die Radikalisierung und neue Rekrutierung der Szene an."

Eine gefährliche Zeit

Dahinter verbergen sich drei Warnungen. Die Wirtschaftkrise mit Hunderttausenden Zwangsversteigerungen von Eigenheimen, die steigende Arbeitslosigkeit und die Kreditknappheit könnten ein "fruchtbares Rekrutierungsumfeld" für die weißen Suprematisten schaffen. Die Rechtsextremisten hätten eindeutig auch von der Wahl Obamas zum Präsidenten profitiert, hätten neue Mitglieder gewinnen und die alten mobilisieren können.

Kriegsveteranen aus dem Irak und Afghanistan, die oft Schwierigkeiten hätten, sich wieder einzugliedern, könnten zur Bildung terroristischer Vereinigungen führen. Vor allem Letzteres zog einen Aufschrei bei Republikanern in Washington nach sich - so laut, dass die neue Heimatschutzministerin Janet Napolitano den noch nicht einmal offiziell veröffentlichten Bericht verschreckt gleich wieder in den Schubladen verschwinden ließ.

Wie sich jetzt herausstellt, vielleicht zu Unrecht. Denn in der Studie wird ausdrücklich genau vor einem Täter wie James von Brunn gewarnt: "Das Heimatschutzministerium hält einsame Wölfe und kleine Terrorzellen, die einer gewaltbereite rechtsextreme Ideologie anhängen, für die gefährlichste Terrorgefahr von innen in den Vereinigten Staaten." Und noch eine Warnung ist in dem Papier zu lesen. Die gegenwärtige Entwicklung erinnere sehr an das Erstarken der Rechten in den USA Anfang der neunziger Jahre. An dessen Ende stand der schreckliche Anschlag von Oklahoma im April 1995: 168 Menschen starben damals.

© SZ vom 12.6.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: